SummerTalk 2021: Von der Baupolitik zur Erinnerungskultur

Das beliebte Sommerfest der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen musste in diesem Jahr leider zum zweiten Mal pandemiebedingt ausfallen. Um dennoch einen inspirierenden Abend mit zahlreichen Gästen aus Politik, Institutionen, Wirtschaft und Kultur mit Fokus auf den Planungs- und Bausektor zu ermöglichen, lud die AKNW am 15. Juni alle Interessierten ein, einen bunten „SummerTalk“ mit AKNW-Präsident Ernst Uhing und – als Gast im Haus der Architekten – NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach live zu verfolgen.

16. Juni 2021von Christof Rose

Einen satirischen Aufschlag machte der Dortmund Kabarettist Fritz Eckenga, der sich Gedanken über die „Post-Corona-City“ machte. „Tot war meine Fußgängerzone doch schon vor der Pandemie“, brachte Eckenga die Problematik der Innenstadtentwicklung auf den Punkt. Er wünsche sich nicht nur wieder Leben auf den Plätzen, sondern überhaupt Plätze, die lebenswert seien. „Macht alles aus der Innenstadt –aber bitte keine neue Zone“, so der Appell des kritischen Stadtmenschen aus dem Ruhrgebiet.

Unter der Moderation von Matthias Bongard (u.a. WDR) griffen der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW das Thema „Innenstadtentwicklung“ unmittelbar auf.

Innenstädte als „Marktplätze des 21. Jahrhunderts“

Ministerin Ina Scharrenbach bezeichnete die Wiederbelebung der Cities nach der Corona-Pandemie, vor allem aber in Reaktion auf das Schwinden des Einzelhandels, als eine zentrale Aufgabe der kommenden Jahre. „Wir denken darüber nach, die Innenstädte zu den Marktplätzen des 21. Jahrhunderts zu machen“, führte die nordrhein-westfälische Bauministerin aus. In einer gemeinsamen Innenstadtoffensive, an der sich auch die Architektenkammer NRW beteilige, würden gegenwärtig Instrumente entwickelt, die Cities zukunftsfähig zu gestalten; dazu gehörten finanzielle Fördermittel, aber auch neue Gestaltungsmöglichkeiten durch Anpassungen im Bauordnungsrecht.

Materialmangel und Kostensteigerungen

Zu den aktuellen Themen, die einführend zum SummerTalk aufgerufen wurden, gehörten die dramatischen Kostensteigerungen vieler Baustoffe. Für Kammerpräsident Ernst Uhing ein großes Problem für die Planungsbüros im Lande: Wenn die Kosten für Beton sich innerhalb der ersten Jahreshälfte verdoppelt und die für Bauholz verdreifacht hätten, ergäben sich für Architektinnen und Architekten gleich zwei Probleme: „Baustellen kommen nicht voran, und wir stehen als Planerinnen und Planer zwischen den Bauherren und den Firmen und müssen erklären, warum Material fehlt.“
Niemand könne gegenwärtig vorhersagen, wie sich globale Baustoffströme entwickelten. Ministerin Scharrenbach stellte allerdings die Frage, wozu die Gesellschaft bereit sei: „Wir müssen diskutieren, welches regional vorhandene Material wir nutzen wollen – bei Sand und Kies, bei Farben und Stahl.“ Grundsätzlich zeigten sich Ina Scharrenbach und Ernst Uhing einig, dass es sinnvoll sei, auf heimische Materialien zu setzen. Es bleibe eine Herausforderung, Mangelmaterialien sinnvoll zu substituieren. Dazu müsse die Forschung in diesem Sektor gezielt vorangetrieben werden, forderte der Kammerpräsident.

Versorgung mit Wohnraum

Einen weiteren politischen Impuls brachte der Vorsitzende des NRW-Landtagsausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen, Hans-Willi Körfges, in die Debatte ein. „Nichts ist für die Menschen so wichtig wie ihr Wohnumfeld und ihr Wohnraum“, unterstrich Körfges. Der Landtagsausschuss diskutiere gegenwärtig verschiedene Themen, die darauf abzielten, mehr Wohnungsbau möglich zu machen und bezahlbaren Wohnraum in den Städten zu sichern. Dazu gehöre das Wohnraumförderungsprogramm des Landes, ein konsequentes Vorgehen gegen die Zweckentfremdung von Wohnungen durch touristische Nutzung sowie der barrierearme Umbau des Gebäudebestandes.

Neuer Umgang mit dem Gut „Boden“

Wer bauen will, muss über Baugrund verfügen. „Wir brauchen Regulierungen und Instrumente, um Boden als Daseinsgrundlage zu betrachten und für die Gesellschaft nutzbar zu machen“, forderte die Münchener Stadtbaurätin und Vorsitzende des „Bündnis Bodenwende“, Prof. Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk. „Wenn in Städten wie bei uns in München sich Bodenpreise innerhalb weniger Jahre verzigfachen, läuft etwas schief“, so die Münchener Stadtbaurätin. „Wir erwarten uns politische Setzungen und Steuerungen, um den Kommunen Spielräume zu schaffen und durchmischte Städte zu erhalten.“ Es gehe dem Bündnis Bodenwende, in dem auch die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen mitwirkt, nicht darum, zu enteignen, sondern politisch zu steuern im Sinne der Allgemeinheit. „Boden sollte für alle verfügbar sein und gerecht genutzt werden. Der Boden als frei verfügbare Aktie auf dem Weltmarkt: nein“, so die pointierte Aussage von Professorin Merk, die auch Vorsitzende der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) ist.

Neues Denkmalschutzrecht für NRW

Kontrovers diskutiert wurde im „SummerTalk“ die laufende Novellierung des nordrhein-westfälischen Denkmalschutzrechts: „Wir müssen den künftigen Generationen ein Erbe hinterlassen, das ihnen gebaute Geschichte vermittelt“, erklärte Landeskonservatorin Dr. Andrea Pufke. Wenn die bisherige Pflicht, ein „Einvernehmen“ mit den Ämtern für Denkmalpflege der Landschaftsverbände LVR und LWL herzustellen, auf eine bloße „Anhörung“ reduziert würden, werde man „den Denkmälern im Lande die unabhängigen Anwälte“ nehmen, meinte die oberste Denkmalschützerin des Landschaftsverbandes Rheinland.
Es gehe nicht um Zuständigkeiten, sondern darum, Eigentümer qualifiziert zu beraten und darum, dass Denkmäler den größtmöglichen Schutz haben sollen. Der LVR halte das von Ministerin Scharrenbach in den Landtag eingebrachte Novellierungsgesetz für verfassungswidrig.

Auch der Präsident der Architektenkammer, Ernst Uhing, warnte davor, die bewährten Systeme des Denkmalschutzes im Lande zu gefährden. Viele untere Denkmalbehörden seien nicht ausreichend personell-fachlich aufgestellt und auf die anerkannte Expertise der Ämter für Denkmalpflege angewiesen. Positiv bewerte die AKNW die geplante Einrichtung eines Landesdenkmalrates sowie die gesetzliche Verankerung eines Landesdenkmalpreises.

Erinnerungskultur: „Stalag 326“

Ein neues Projekt der Erinnerungskultur in Deutschland ist „Stalag 326“. Wie die Kulturdezernentin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, erläuterte, handelt es sich um die Planung einer Gedenkstätte bei Schloß Holte-Stukenbrock auf dem Gelände eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers der Nationalsozialisten. Im Zweiten Weltkrieg waren dort bis zu 350 000 russische Kriegsgefangene eingesperrt, die als Zwangsarbeiter ins Ruhrgebiet geschickt wurden; viele wurden durch Hunger und Entkräftung systematisch umgebracht. „Diese Gräueltaten sind in unserer Nachbarschaft passiert“, mahnte Rüschoff-Parzinger. Bund, Land und Projektpartner würden nun insgesamt 60 Millionen Euro aufbringen, um eine Gedenkstätte von internationaler Wirkung zu realisieren. Dazu werde noch im laufenden Jahr eine Stiftung gegründet, die auch Architektenwettbewerbe ausloben werde. „Es wird eine Herausforderung, angemessene Bauformen für die notwendige Darstellung der Erinnerungskultur zu finden.“

Architektur als gesellschaftlicher Auftrag

Die Realisierung architektonischer Konzepte für eine positive gesellschaftliche Entwicklung sah auch Anna Constanze Mersmann als wichtigen Auftrag für den Berufsstand. Die Trägerin eines der Förderpreise 2021 der Stiftung Deutscher Architekten stellte im SummerTalk ihre Masterarbeit vor, in der sie sich mit der Planung eines Kinderhospizes befasst hatte. „Die Zuerkennung des Preises an Sie zeigt, dass Architektur nicht nur ein Handwerk, sondern auch eine Haltung ist“, resümierte Moderator Matthias Bongard.

Ausgleich von Stadt und Land

Die neue Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK), Andrea Gebhard, nutzte den „SummerTalk“ der AKNW, um sich in NRW vorzustellen. Für sie stünden viele Fragen, die im Verlauf des SummerTalks besprochen wurden, auf der politischen Agenda. „Wir müssen an das ganze Land denken, vom ländlichen Raum bis zur Großstadt.“ Für sie als Bayerin habe NRW gezeigt, wie der Wandel angegangen werden kann. „Man sieht an vielen Projekten in Nordrhein-Westfalen, wie der Strukturwandel gelingen kann – insbesondere dort, wo Instrumente der Bürgerbeteiligung eingesetzt wurden“, lobte Andrea Gebhard, die Ende Mai zur neuen Präsidentin der BAK gewählt worden war.

Leitthema Klimaschutz

Moderator Matthias Bongard stellte zum Schluss die Frage, ob die Architektenschaft – wie viele andere auch – nicht den Klimawandel als zentrale Aufgabe betrachten müsse, um der jungen Generation gerecht zu werden. Der Präsident der Architektenkammer NRW unterstützte diese Haltung, die sich in den meisten der besprochenen Themenfelder ja wiederfinde. „Es ist richtig: Wir alle müssen immer noch mehr wollen, denn das Klimaziel ist die entscheidende Herausforderung der aktiven gegenüber den künftigen Generationen“, schloss Ernst Uhing.

„SummerTalk“: Aufzeichnung des Livestreams

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