Vernetzt, digital, innovativ! Neue Tourismusstrategie des Landes

NRW gestaltet analoge Erlebnisse in der digitalen Welt – als attraktives Reiseland. Diese Haltung steht im Kern der neuen Tourismusstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen. Das generelle Ziel lautet dabei, die Standortentwicklung durch Tourismus zu stärken. Zu den Erfolgsfaktoren sollen Individualisierung und Profilierung, Internationalisierung, Innovationen und eine bessere Vernetzung gehören. - Das waren die Kernaussagen auf dem „Tourismustag NRW“, zu dem das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium und die Landestochter „Tourismus NRW“ am 19. Juni in die Stadthalle nach Mülheim an der Ruhr eingeladen hatten. Mit mehr als 350 Teilnehmern war die Veranstaltung vollständig ausgebucht. „Das riesige Interesse der Branche freut uns - und ist uns Auftrag, gemeinsam noch mehr Menschen für unser Bundesland zu begeistern“, begrüßte Dr. Heike Döll-König, die Geschäftsführerin von Tourismus NRW, die Gäste in Mülheim.

16. Juli 2019von Christof Rose

Grundsätzlich hat sich der Tourismus in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren positiv entwickelt. „Der Tourismussektor ist inzwischen ein genauso großer Arbeitgeber in NRW wie die Bauwirtschaft“, verglich Prof. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, die Bedeutung des Wirtschaftszweiges. Im Jahr 2018 wurden 51,9 Millionen Übernachtungsgäste in NRW gezählt (+ 0,8 %); zwei Drittel der nordrhein-westfälischen Reisegebiete erzielten mehr Übernachtungen als im Vorjahr, allen voran mit rund 7,7 Millionen Übernachtungen die Region Köln und der Rhein-Erft-Kreis. Seit dem Jahr 2009, so bilanzierte Minister Pinkwart, habe ein Übernachtungszuwachs von 11,7 Millionen Gästen stattgefunden.

Der gesamte touristische Konsum in Nordrhein-Westfalen belief sich schon im Jahr 2013 nach Berechnungen des Landes auf 41,1 Milliarden Euro. Warum also eine Neuausrichtung der Tourismusstrategie des Landes?  

Digitalisierung konsequent nutzen!  

Viele Gäste besuchen Nordrhein-Westfalen als Tagungs- und Messebesucher oder aus beruflichen Gründen. „Im ländlichen Raum braucht es dagegen neue Impulse, z. B. in den Mittelgebirgen“, heißt es im neuen Strategiekonzept der Landesregierung. Besonders in den ausländischen Quellmärkten könne Nordrhein-Westfalen gegenwärtig nicht mithalten. „Es geht uns darum, das Land und seine Regionen durch den Tourismus stärker zu machen“, führte Prof. Andreas Pinkwart in Mülheim aus. „Hierfür wollen wir die Chancen der Digitalisierung konsequent nutzen.“

Was das für die Praxis bedeuten wird, erläuterte auf dem Fachkongress Dr. Mathias Feige, Geschäftsführer der dwif-Consulting GmbH, die mit der Erarbeitung des neuen Tourismuskonzepts beauftragt war. Die neue Tourismusstrategie definiert für die Landesebene fünf Aufgabenfelder, die konsequent bearbeitet werden und die als Basis für die regionalen und lokalen Touristiker und ihre Angebote dienen sollen:  

Fünf Erfolgsfaktoren definiert

1. Gemeinsame Datenbanken und Marktforschung: Es sollten neue digitale Datenanalysesysteme aufgebaut werden, von denen auch lokale Anbieter profitieren können. Bevölkerungs- und Gästebefragungen könnten künftig ein verlässlicheres Bild für individuelle Strategien bereitstellen. „Marktforschung wird zu einer Daueraufgabe, das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für die tägliche Arbeit der Branche“, betonte Feige.  

2. Profilierung und Individualisierung: Neu ist künftig ein themenorientiertes Zielgruppenmarketing. „Der Tourismus in NRW muss individueller und profilierter werden“, lautet einer der neuen Leitsätze. Anhand der Milieu-Studien der SINUS Markt und Sozialforschung GmbH wird sich die landesweite Tourismusförderung in den kommenden Jahren vor allem auf drei Zielgruppen konzentrieren: auf Expeditive, d. h. die „ambitionierte kreative Avantgarde“; Performer, die „effizienzorientierte Leistungselite“; sowie Adaptiv-Pragmatische, die „moderne junge Mitte“. Die Vertreter dieser drei Milieus werden als kaufkräftiger und unternehmungsfreudiger als der Durchschnitt eingestuft; perspektivisch wächst ihre Zahl an, und sie wirken vielfach als Leitmilieus für andere Bevölkerungsgruppen. Hier sollen „Schaufensterprodukte“ generiert werden, um insbesondere im Ausland werben zu können. „DEIN NRW“ soll dabei als Herkunftsmarke weiter etabliert werden. Die Basis dazu sei hochwertiger Content, der in regionalen Datenbanken abrufbar sei und in einer neuen landesweiten Datenbank zusammengeführt werde. Die Inhalte werden dann intern und extern in den verschiedenen, auch sich ändernden Plattformen ausgespielt.  

3. Internationalisierung: Der Schwerpunkt der Vermarktung des Landes NRW lag in den vergangenen Jahren im Inland. Nun soll die Perspektive auf ausgewählte Märkte in Europa ausgeweitet werden. „Wir haben abgeprüft, wo Marktchancen für Nordrhein-Westfalen liegen“, erläuterte Mathias Feige. Deutschland selbst bleibe der Hauptquellmarkt für Touristen, die nach NRW kommen. Zu den Hauptquellmärkten im Ausland zählt das neue Konzept die Niederlande, Belgien (vor allem Flandern), Japan und Polen. Zu den B-Märkten, die es deutlich stärker zu erschließen gelte, gehören Österreich, die Schweiz, Großbritannien, USA und China. Das Land soll dabei einige Märkte gezielt bearbeiten – andere sollen durch die Regionen oder einzelne Städte erschlossen werden. Dazu sollen Events genutzt oder gezielt neu kreiert werden.  

4. Innovationen: „Das Industrieland NRW und das Reiseland NRW sind keine Widersprüche, sondern bieten attraktive Synergien“, unterstrich Mathias Feige. Neue Allianzen sollen hier geschmiedet werden, etwa zwischen dem Tourismus, der regionalen Wirtschaft und der Industrie. Akteure sollen branchenübergreifend vernetzt werden, woraus sich auch neue touristische Produkte ergeben könnten. Beispiele sind innovative Start-ups, kreative Arbeitsräume, Co-Working-Spaces u.ä., die für urbane Entdecker hochspannend sein können. Teilweise gebe es dazu bereits Förderprogramme über die NRW.BANK, die besser vermarktet werden sollen und beispielsweise „Gastgeber fördern“ können.  

5. Vernetzung: Die bisherige Dreiteiligkeit der Zuständigkeiten in der Tourismuswirtschaft NRW soll beibehalten, aber im Sinne agiler Strukturen weiterentwickelt werden. Auf Landesebene gibt Tourismus NRW zentrale Linien vor und kümmert sich um Marktschließungen; es folgen die Ebene der Regionen (einschließlich Düsseldorf und Köln) und der lokalen Tourismusorganisationen. Alle drei Ebenen müssten sich aber eng vernetzen, gemeinsame Datenbanken aufbauen und nutzen und bei Bedarf agile projektbezogene Einheiten einrichten.  

The Winner takes it all!

Für eine bessere Vernetzung und große Offenheit gegenüber den vielfältigen Möglichkeiten, welche die neuen Medien für die Tourismusbranche böten, warb Michael Buller vom Verband Internet Reisevertrieb e.V.. In seinem Impulsvortrag hob er die große Bedeutung des interkulturellen Austausches hervor. „Es ist wunderbar, dass die Menschen sich verstehen. Dazu trägt der Tourismus bei.“ Der Tourismus habe auch - als eine der ersten Branchen - die Digitalisierung vorangetrieben. Heute werde die Marketingwelt immer komplexer, immer vielfältiger. „Man kann nicht sagen: Ich mache nur dieses oder jenes. Sie müssen alles machen, parallel“, beschrieb Buller seine Wahrnehmung der aktuellen Lage der Branche.

In der analogen Welt stünden die Menschen vor beliebten Angeboten in der Schlange, wobei immer einige zu Alternativangeboten gingen. „In der digitalen Welt müssen Sie der Erste sein – der Kundenandrang verteilt sich eben nicht, es gibt keine Warteschlangen. - The Winner takes it all!“ Michael Buller rief die Branche auf, Innovation zu wagen und nicht auf Angebote der großen Konzerne zu warten. „Es gibt zu Recht viele Start-ups; erfolgreiche Ideen sind keine Frage der Größe.“  

Zum Beispiel: FLOW.NRW

Exemplarisch stellte die Geschäftsführerin von Tourismus NRW, Dr. Heike Döll-König, das neue Projekt „FLOW.NRW“ vor, das sich auf integriertes Tourismus- und Standortmarketing für die kreative und digitale Wirtschaft in NRW konzentrieren werde. Nordrhein-Westfalen sei in vielen Bereichen nicht durch Verwaltungsgrenzen charakterisiert, sondern durch thematische Clusterbildung: Wissenschaft, Kultur, Verkehr. Hier entstünden jeweils fließende Übergänge, sogenannte Flows, die sich in regionalen Häufungen abbildeten. Vieles konzentriere sich in NRW in der „urbanana“ genannten Region, die sich in Form einer Banane von Bonn-Köln-Düsseldorf quer durch das Ruhrgebiet ziehe. Der Ballungsraum Rhein-Ruhr liege genau in der produktiven Mitte Europas, die wiederum von London bis Mailand und von Leipzig bis Paris reiche. Hier sollen Lebens-, Arbeits- und Kulturtrends herausgestellt und kommuniziert werden.

„Wir wollen mit diesem Projekt bewusst auf den internationalen Markt abzielen“, betonte Dr. Döll-König. Die Contents sollen international entwickelt und erst dann für den deutschen Markt übersetzt werden. „Wir müssen verstärkt vom Kunden her denken“, warb Döll-König. „Polyzentrik ist kompliziert, aber sexy.“ Zielgruppe seien hier insbesondere die Expeditiven, die urbanen Entdecker. Dr. Döll-König: „Mit diesem Ansatz nehmen wir Abschied von dem Tourismus, der einmal Fremdenverkehr hieß. Wir sagen: Hallo, Einwohner auf Zeit!“  

Mittelfristiger Prozess

Olaf Offers, Vorsitzender des Vorstands Tourismus NRW e.V., betonte, dass die neue Strategie keinen radikalen Bruch für die Tourismuswirtschaft in Nordrhein-Westfalen bedeute. „Wir legen heute keinen Hebel um, und alles läuft.“ Vielmehr müssten in den kommenden Monaten und Jahren auf den drei Ebenen Land-Region-Kommune eine Vielzahl von Detailvereinbarungen getroffen werden. Die neue Strategie berücksichtige auch die immer rascheren Innovationszyklen in der Branche. „Unsere Branche ist eine junge Branche. Wir können viel von unseren Kolleginnen und Kollegen lernen, die ja auch selbst unterwegs sind.“ Eine der zentralen Fragen laute: „Wie erreichen wir junge Zielgruppen, die weltweit unterwegs sind?“

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