Von Bräuten und Bäckern: Generationen-Wechsel im Architekturbüro als Wachstumschance
Vor der Frage, wie man seine Firma erfolgreich in neue Hände gibt und dabei der ursprünglichen Gründungsidee treu bleibt, stehen viele Inhaber von Architekturbüros. Bei NattlerArchitekten in Essen lässt sich aktuell nachvollziehen, wie der Generationenwechsel geplant und umgesetzt werden kann.
Oft scheitert der Übergabeprozess in inhabergeführten Architekturbüros an einer schlechten Organisation des Übergangs, an Mangel an geeigneten Nachfolgern oder an einem Nicht-Loslassen-Können der älteren Generation – das weiß auch Heinz Nattler, der auf eine lange Karriere als Architekt zurückblicken kann. Ende Januar 2017 hat Nattler sein Büro gleich an zwei Nachfolger übergeben. „Ich kenne die Problemfelder aus eigener Erfahrung und wollte es selbst anders gestalten.“
Nachdem er bereits als Student gegen Gottfried Böhm einen städtebaulichen Wettbewerb gewann und als selbstständiger Architekt mit zwei Büros aktiv war, stieg Heinz Nattler in den frühen 1990er-Jahren im Büro von Ric Stiens ein, das zu der Zeit fast exklusiv für den damaligen Textilgiganten C&A baute. „Spannende Zeiten“, nennt der heute 68-Jährige Nattler diese Phase. „Nach der Wende konnten wir im wirklich großen Stil in den ostdeutschen Innenstädten Neubauten entwickeln.“ Nattler übernahm das Büro von Ric Stiens und navigierte es durch einen drastischen Marktwandel, indem er das Unternehmen umorientierte und das große Know-how im Handel zunächst für große Warenhäuser und Shopping Center bis hin nach Moskau, später aber auch für Arbeitswelten, Verwaltungs- und Firmensitze, große Kulturprojekte und Wohnungsbau aktivierte. Mit heute 45 Mitarbeitern hat sein Team ein umfassendes Portfolio vorzuweisen, darunter Projekte, die man eher bei den Großbüros der deutschen Architekturszene vermuten würde.
Zum Abschluss seiner Karriere blickt Heinz Nattler entsprechend nicht auf das eigene Œuvre zurück, sondern befasst sich intensiv mit Zukunftsfragen seiner Branche. In einer Publikation macht er sich Gedanken darüber, wie wir wohnen, arbeiten und leben möchten, wie sich Städte und der Beruf des Architekten insgesamt entwickeln werden. Das 160 Seiten starke Buch widmet ein ganzes Kapitel dem Generationenwechsel, der Übergabe des Büros an Heinz Nattlers Nachfolger Heinz-Georg Guth und Thomas Höxtermann.
Auf die Frage nach einem Geheimrezept für einen gelungenen Übergang erklärt Heinz Nattler, dass dieser Prozess mit einer Hochzeit zu vergleichen sei: „Something old, something new, something borrowed, something blue …“. Ein wichtiger Baustein des Erfolgs sei etwas „Altes“, im Falle des Büros NattlerArchitekten der bereits seit 23 Jahren im Büro aktive Heinz-Georg Guth, der sich bei Kunden und Mitarbeitern eine große Wertschätzung erarbeitet haben. Der Inhaber sollte immer auch der beste Architekt im Büro sein, mit großer persönlicher Integrität und Persönlichkeit.
Das „Neue“ sieht Heinz Nattler in Thomas Höxtermann, der seit 1998 bei Christoph Ingenhoven gearbeitet hat, zuletzt als Geschäftsführer der Niederlassung Schweiz, und dort große Projekte betreute - vom Lufthansa-Aviation Center über Swarovski am Zürichsee bis zum Lanserhof Tegernsee. „Thomas kenne und mag ich bereits seit Jahren und hätte ihn am liebsten schon damals eingestellt, als er noch bei Ingenhoven war, wo er seine große Erfahrung und Intuition immer wieder bewiesen hat. Wir haben uns dann zufällig beim Bäcker getroffen und es hat gefunkt“, berichtet Heinz Nattler. Thomas Höxtermann bringt aus Nattlers Sicht eine externe Perspektive, Kreativität und einen internationalen Horizont in das Unternehmen und hat sich in den drei Jahren vor Nattlers Ausscheiden aus der aktiven Arbeit bereits im Büro als Geschäftsführer beweisen können.
Die Mischung aus „old“ und „new“ liegt Nattler am Herzen, für ihn war es eine Grundsatzentscheidung, dass eine Doppelspitze sein Büro in die Zukunft führt. Dies sei produktiver („und weniger einsam“). Zudem könnten zwei Partner auf Augenhöhe kontinuierlich nicht nur Entwürfe, sondern auch den wirtschaftlichen Aspekt des Büros abstimmen – Kosten, Ziele, Finanzen – und zugleich gemeinsam souveräner mit Auftraggebern verhandeln.
Die Aspekte „borrowed“ und „blue“, also die geliehene und blauen Zutaten eines erfolgreichen „Partnerings“, sieht Heinz Nattler in seinem eigenen „Gründungsmythos“. „Ich bin Architekt geworden, weil ich etwas verändern wollte: Bauen, Umwelten schaffen, Menschen mit Lösungen überraschen und gestalterische Antworten auf gesellschaftliche Fragen finden. Ich glaube, es ist wichtig, an diese Wurzeln von Neugier und Lösungskompetenz anzuknüpfen und sie mit moderner Technologie und fluidem Denken neu zu beleben. Um dann damit abzuheben, eben in den blauen Himmel.“ Die Kunst sei es, auf der Basis einer etablierten Firmenstruktur mit einem phantastisch eingespielten Team richtig mutig und mit innerem Kompass ins Blaue zu fliegen. „Vielleicht erst mit kleinen Schwingen, und dann mit immer größeren.“ Thomas Höxtermann
Das Buch „Begegnungen“ von Heinz Nattler ist aus Gesprächen des Architekten hervorgegangen, u.a. mit Vitra-Trendscout Raphael Gielgen oder Architekturhistoriker Dr. Holger Pump-Uhlmann, aber auch mit Wegbegleitern wie dem Landschaftsarchitekten Johannes Reinders und dem früheren Dortmunder Stadtdirektor Klaus Fehlemann. Die kurzweiligen Schlaglichter beleuchten die Entstehung der Shopping Mall ebenso wie die Themenfelder Digitalisierung, neue urbane Lifestyles, Arbeits- und Büroorganisation von morgen oder die Rückkehr von mehr Grün in die Metropolen. Interessierte können das Buch kostenfrei bestellen unter info@nattlerarchitekten.de (solange der Vorrat reicht).
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