Zukunftslabor: Wie wollen wir leben?
Die Metropole Ruhr ist geprägt von einer lebendigen und allgegenwärtigen Geschichte, die von Wandel, Entwicklung und Resilienz erzählt. Erfolgsprojekte wie die „Internationale Bauausstellung Emscher Park“ (IBA, 1989 – 1999) und die Europäische Kulturhauptstadt „Ruhr.2010“ haben diesen Wandel aktiv mitgesteuert und gestaltet. Nun soll die Region mit einem weiteren Großereignis den „big push“ in eine grüne klimafreundliche Zukunft erhalten, und das Ruhrgebiet soll zur grünsten Industrieregion der Welt werden – mit der Internationalen Gartenausstellung IGA 2027.
Den Beginn auf diesem Weg markierte bereits Essen als Grüne Hauptstadt Europas 2017. Als Format hat die Region nun in der Fortsetzung eine Internationale Gartenausstellung gewählt und sich erfolgreich um deren Ausrichtung im Jahr 2027 beworben.
Im Transformationsprozess des Ruhrgebiets spielt seit jeher die Landschaft eine prägende Rolle für das Image und die Identität der Region, für die Lebens- und Umweltqualität wie auch für die wirtschaftliche Prosperität. Wie sehr eine Landschaft in Transformation Motor für diese Entwicklungen über eine Kontinuität von dreißig Jahren ist, zeigt der Emscher-Umbau.
Thema von wachsender Dringlichkeit
Als mit der IGA-2027-Konzeption in der Machbarkeitsstudie 2015/16 die programmatische Frage „Wie wollen wir morgen leben?“ aufgeworfen wurde, war nicht vorauszusehen, in welch hohem Maß uns die globalen Einflüsse in unserer Arbeit auf dem Weg zur Realisierung dieser Internationalen Gartenausstellung 2027 bestimmen würden. Allein der Klimawandel äußert sich in den wenigen Jahren seit dem Zuschlag für die IGA Ende 2016 in immer häufigeren und ständig wechselnden Witterungsextremen mit Unwetter- und Starkregenereignissen auf der einen Seite, monatelanger Trockenheit mit hohen Temperaturen auf der anderen Seite. Auch eine Pandemie, wie sie mit dem Coronavirus die Welt aus den Fugen gerissen und uns vor Augen geführt hat, dass wir global denken und handeln müssen, war vor 2020 nicht vorauszusehen.
Die krisenhaften Erfahrungen der letzten Jahre haben einmal mehr dazu geführt, sich mit der weltweiten Vernetzung des Ökosystems auseinanderzusetzen. Unsere Weltgemeinschaft steht am Scheideweg, und wir alle, jede und jeder Einzelne von uns, trägt eine Mitverantwortung für die weltweiten Veränderungsprozesse.
Eine Internationale Gartenausstellung kann Schaufenster, Bühne und Austragungsort für einen gesellschaftlichen Diskurs über Zukunftsperspektiven sein. Die Rolle der Landschaft und Freiräume, ihre Nähe zum Wohnort, Gestaltung, Ausstattung und ökologische Funktion gewinnen an Bedeutung. Auch ihre Produktivität für Umwelt- und Lebensqualität, für den Gartenbau und die Landwirtschaft wirft wesentliche Fragen auf: über Verteilung und Zuordnung zu den Wohngebieten, Produktion, Distribution und nachhaltige Bewirtschaftung. Diese Themen der wieder engeren und stärkeren Vernetzung von Produzieren, Verteilen, Leben und Arbeiten, einer Mobilität der kurzen Wege sowohl physisch als auch virtuell über die Digitalisierung beschäftigen die IGA 2027 in der Verknüpfung der städtebaulichen Entwicklungen im Kontext dreier Ebenen: „Zukunftsgärten“, „Unsere Gärten“ und „Mein Garten“. Diese drei Ebenen der IGA 2027 erfüllen in mehrfacher Funktion eine wichtige Rolle.
Drei Ebenen der IGA 2027
Als Laborräume der Transformation und Stärkung der regionalen Zusammenarbeit verknüpfen alle drei Ebenen gemeinsam urbane Nachhaltigkeit und Stadtentwicklung, Grüne und Blaue Infrastruktur mit Biodiversität und den Herausforderungen der Klimaresilienz. Lösungsansätze für ein gutes Zusammenleben und für gesunde und ausgeglichene Lebensverhältnisse sollen unter Einbeziehung der Bevölkerung aufgezeigt werden. Auf der Grundlage einer nachhaltigen und umweltgerechten Mobilität möchte die IGA-Durchführungsgesellschaft eine niedrigschwellige Zugänglichkeit zu den Schaustandorten schaffen und zusätzlich ein attraktives touristisches und kulturelles Angebot machen.
„Mein Garten“
Der Ebene „Mein Garten“ kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie möchte das zivilgesellschaftliche Engagement mobilisieren, bietet die Möglichkeit zur Teilhabe an der IGA, regt dazu an, eigene grüne Projekte einzubringen und somit Teil der Internationalen Gartenausstellung 2027 zu werden. Damit gelangt die IGA 2027 ins Quartier. Innovative Ideen ermöglichen individuelle Antworten auf die Frage „Wie wollen wir morgen leben?“ und können zu neuen Denkanstößen führen. In vielfältigen Kooperationen mit und der Vernetzung von stadtgestaltenden Institutionen werden breite Bündnisse mit Rückhalt geschaffen, die den Entwicklungsschub durch die Internationale Gartenausstellung auch nach 2027 erhalten und ausbauen sollen.
„Unsere Gärten“
Die Ebene „Unsere Gärten“ qualifiziert Parks und Gärten in Städten, die keinen Zukunftsgarten in ihrem Stadtgebiet beherbergen, durch Investitionen in die grüne Infrastruktur. Die Kommunen leisten im Rahmen von circa vierzig Maßnahmen einen Beitrag zur Aufwertung der Stadtteile, ertüchtigen vorhandene Grünanlagen, schaffen neue Parks und Gärten und schließen Lücken im Freiraumverbundsystem.
„Die Zukunftsgärten“
Die fünf „Zukunftsgärten“ der IGA 2027 spiegeln in besonderem Maß die Programmatik der IGA und die Frage „Wie wollen wir morgen leben“ in der auf Dauer errichteten freiräumlichen Infrastruktur und in dem temporären Ausstellungskonzept. Die drei eintrittspflichtigen Zukunftsgärten Dortmund, Gelsenkirchen und Duisburg bieten zusätzlich die Kulisse für die Präsentation des Garten- und Landschaftsbaus und der Pflanzenproduktion. Die beiden nicht eintrittspflichtigen Zukunftsgärten in Castrop-Rauxel/Recklinghausen und Bergkamen/Lünen greifen programmatische Sonderthemen auf.
In allen Schaugärten gibt die IGA 2027 Anstöße unter anderem für den Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels. Experimentierflächen setzen sich mit Zukunftsthemen wie dem Wohnen, der Produktion, nachhaltiger Mobilität, neuen nachwachsenden Rohstoffen, Schutz der Böden, Umgang mit Wasser, Digitalisierung und vielen anderen Themen auseinander.
In den Zukunftsgärten sollen gleich einem Schaufenster beispielhaft die brennenden Themen für eine lebenswerte Zukunft bewusst gemacht werden. An diesen gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen haben sich die Inhalte und die Ausstattung der zu gestaltenden Freiflächen zu orientieren. Die gesamte Metropolregion soll mitgenommen werden, und es sollen Impulse für eine ganzheitliche Entwicklung gesetzt werden.
Verbindung zur IBA
Im Mittelpunkt der IGA stehen die Themen der Wasserwirtschaft und Gewässerökologie, der Biodiversität und Ökosystemleistungen sowie der achtsame Umgang mit Natur, Umwelt, Ernährung und Gesundheit. Diese Merkmale bilden eine Grundlage für den gesellschaftlichen Anspruch, die Lebensqualität im Emschertal nachhaltig zu erhöhen. Die Menschen werden eingeladen, sich aktiv in die Entwicklung des Parks einzubringen und ihn mitzugestalten.
Im Emscherland bietet die Errichtung und Bewirtschaftung des Parks darüber hinaus die Möglichkeit der Aus- und Weiterbildung in
einer außerbetrieblichen Einrichtung für Gärtner*innen und Gartenbauer. Entsprechend der Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts verbinden sich in einem genossenschaftlich geführten landwirtschaftlichen Mustergut die Schönheit und das Nützliche mit einem hohen gesellschaftlichen Anspruch.
Mit diesen Akzenten stellt sich die IGA 2027 in die Tradition der IBA Emscher Park, für deren Projekte Aspekte der Nachhaltigkeit bereits eine große Rolle spielten. Die IGA 2027 fokussiert auf die brisanten gesellschaftlichen und politischen Aufgaben des Klimaschutzes mit den Themen der blau-grünen Infrastruktur – für die Gegenwart und die Zukunft.
Dr. Martina Oldengott ist Landschaftsarchitektin und Kunsthistorikerin. Seit 2005 ist sie Mitarbeiterin der Emschergenossenschaft, zuletzt als Gruppenleiterin für Stadt- und Raumentwicklung. Seit 2020 leitet sie die Abteilung Planung, Bau und Betrieb der Durchführungsgesellschaft der Internationalen Gartenausstellung Metropole Ruhr 2027.
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