Denkmalschutz für die Bauten der 1960er

Pressefahrt mit den Landeskonservatoren in NRW: Das Deutsche Nationalkomitee Denkmalschutz (DNK) wollte in einer Fachexkursion am 28. Juni das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die Bauprojekte der 1960er und 1970er Jahre richten.

01. August 2018von Christof Rose

Sie sind oftmals groß, in die Jahre gekommen und in der breiten Öffentlichkeit nicht sehr beliebt. „Trotzdem oder gerade deshalb müssen wir uns intensiv um jedes einzelne Bauwerk aus der Nachkriegsmoderne kümmern“, bekräftigte Dr. Andrea Pufke, Landeskonservatorin des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), im Rahmen einer Pressefahrt am 28. Juni auf einem der Turmbauten des Rathauskomplexes in Marl.

Das Deutsche Nationalkomitee Denkmalschutz (DNK), das alljährlich bundesweit im Sommer die Medien zu einer Fachexkursion einlädt, wollte dieses Mal in Kooperation mit dem LVR und dem Amt für Denkmalpflege, Landschaftsschutz und Baukultur in Westfalen beim LWL das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die Bauprojekte der 1960er und 1970er Jahre richten. Dr. Uwe Koch, Geschäftsführer des DNK, ergänzte, das Europäische Kulturerbejahr unter dem Motto „Sharing Heritage“ sei ein passender Anlass, um sich mit der Nachkriegsarchitektur zu befassen. 

Eine Stadt mit mehreren aktuellen Beispielen, in der die Frage nach dem Umgang mit der Nachkriegsmoderne strittig war, am Ende aber positiv beschieden wurde, ist Marl. Die Kommune am nördlichen Rand des Ruhrgebiets erlebte in der Nachkriegszeit eine Phase des Wohlstandes und des Wachstums, ermöglicht durch die prosperierende Chemieindustrie und den Bergbau. Mit bis zu 160 000 Einwohnern rechnete man in jenen Jahren, und entwickelte eine Modellstadt, die überwiegend auf der grünen Wiese neu gebaut wurde. Zentrale Elemente waren der Rathauskomplex mit horizontal angelegtem Ratssaal und vier Verwaltungstürmen, das Einkaufszentrum „Marler Stern“ und verschiedene große Wohnscheiben.

Da die Stadt aber über den Höchstwert von 92.676 Einwohnern nicht hinauskam (1976), wurde nicht alle Pläne realisiert. Und mit dem Niedergang der Steinkohleförderung erlebte die Stadt eine schwere Strukturkrise, die u.a. dazu führte, dass eine angemessene Pflege vieler öffentlicher Bauwerke ausblieb.

Etwa bei dem innovativen Schulbau von Hans Scharoun (1964 - 69), der lange Jahre brachgefallen und vom Abriss bedroht war. Dank eines umfassenden Bürgerengagements wurde schließlich doch eine umfassende Sanierung in Auftrag gegeben, und seit 2009 wird diese Ikone der Nachkriegsmoderne und des organischen Bauens von einer Grundschule und der städtischen Musikschule wieder mit Leben gefüllt. „Eine Pauschallösung für den Umgang mit der Nachkriegsmoderne und mit Denkmälern allgemein kann es nicht geben, denn die Schwerpunkte können für jedes Bauwerk unterschiedlich sein“, erklärte Cornelia Zuschke, Planungsdezernentin der Landeshauptstadt Düsseldorf, im Rahmen der Pressefahrt.

Die Tour führte hier zum Dreischeibenhaus von Hentrich, Petschnigg mit Eller, Moser, Walter, das 2012 - 14 von HPP umfassend saniert wurde. „Mein Anliegen ist, dass alle Beteiligten um die beste Lösung ringen. Das kann ruhig ein leidenschaftlicher fachlicher Disput sein“, so Cornelia Zuschke. Diskutiert wurde an diesem Objektbeispiel unter anderem, inwieweit ein Ersatz von Originalbauteilen durch moderne Werkstoffe mit ähnlichem Erscheinungsbild zulässig sei. „Originalbauteile strahlen eine große Authentizität aus, deshalb ist es immer ein Ziel der Denkmalpflege, solche Materialien zu erhalten“, erläuterte Dr. Holger Mertens, Landeskonservator des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. „Wenn das nicht gelingen kann - etwa aus technischen Gründen oder aus finanziellen Erwägungen - muss auch ein 1 zu 1-Ersatz möglich sein.“

Besucht wurden in Düsseldorf auch das Schauspielhaus von Bernhard Pfau (1965 - 69), das gegenwärtig saniert wird, die Kunsthalle (Beckmann und Brockes, 1967), die Kunstsammlung NRW (Dissing + Weitling, 1986) sowie in Dortmund das Sonnensegel im Westfalenpark von Behnisch + Partner von 1969. Diskutiert wurde mit den Fachjournalisten auch die allgemeine Wertschätzung für das Thema Denkmalschutz in der Öffentlichkeit. „Ich denke schon, dass den Menschen der Schutz wichtiger Bauwerke ein Anliegen ist“, meinte Dr. Uwe Koch, der Geschäftsführer des Deutschen Nationalkomitees Denkmalschutz. Er sehe eher eine Krise der institutionellen Denkmalpflege: „Die gerät schon einmal schnell unter Beschuss oder wird als Bedrohung der Freiheit des Bauherrn wahrgenommen.“ Ein Lösungsansatz sei die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zum Umgang mit ihrer gebauten Umwelt.

Eine Anregung, die auch Anne Katrin Bohle, Ministerialdirigentin im NRW-Heimat- und Bauministerium, im Gespräch mit den Journalisten aufgriff. „Wir müssen schon früh vermitteln, dass Denkmalschutz keine Frage des Geschmacks ist, sondern anhand klarer Kriterien erfolgt.“ Nordrhein-Westfalen verfüge über ein reiches Erbe an Nachkriegsbeständen. Dennoch sei keine „Welle an Unterschutzstellungen“ zu erwarten. Sorge mache ihr der große Instandsetzungsstau in diesem Bausegment, betonte Anne Katrin Bohle. Insgesamt seien in NRW lediglich drei Prozent der Gebäude als Denkmal eingetragen. „Es ist unsere Aufgabe und Pflicht, im Interesse der nachfolgenden Generationen um die beste Lösung und um den Erhalt wichtiger Bauwerke zu ringen“, unterstrich der Geschäftsführer des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Dr. Uwe Koch. Die Nachkriegsmoderne stelle dabei eine besondere Herausforderung dar.

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