Vorsicht bei Beratungstätigkeiten zur Einschätzung von Bestandsgebäuden

Die Höhe des Schadensersatzrisikos hängt nicht von der Höhe des Honorars ab. Gerade vermeintlich „kleine Aufträge“ zur Beratung sind besonders haftungsträchtig. Zum Beispiel bei der Einschätzung von Sanierungskosten bei Bestandsgebäuden.

17. März 2022

Architekt A wendet sich mit folgender Frage an die Kammer:
„Vor zwei Jahren kam ein Bauherr zu mir, der überlegte, ein Grundstück mit einem in den 1960er-Jahren in Holzständerbauweise errichteten Fertighaus zu erwerben. Ich sollte zwei Kostenprognosen vorlegen: zum einen für Sanierung und Umbau des Objekts (Alternative 1) und zum anderen für Abriss und Neubau (Alternative 2). Ich kam, ohne mit vertieften planerischen Überlegungen betraut gewesen zu sein, zu dem Ergebnis, dass die Alternative 1 mit rund 180 000 Euro die deutlich billigere sein würde. Der Bauherr hat sich dann auch für diese Alternative entschieden; ich war hierbei aber nicht weiter tätig. Als die Sanierung schon weitgehend abgeschlossen war, stellte sich heraus, dass die alten Spanplatten eine zu hohe Formaldehydbelastung aufweisen. Der Bauherr nimmt mich auf Ersatz der zusätzlichen Sanierungskosten in Höhe von rund 250 000 Euro in Anspruch. Das erscheint mir absurd. Ich bin ich doch kein Hellseher. Außerdem habe ich für meine Beratungstätigkeit nur 238 Euro als Zeithonorar erhalten. - Besteht die Gefahr, gleichwohl in der genannten Höhe haften zu müssen?“

Ja! Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe (Urteil vom 30.04.2020 – 8 U 92/18; Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BGH, Beschluss vom 10.02.202 – VII ZR 80/20) bejaht den Schadensersatzanspruch aus dem Grunde, dass die Prognose, obgleich sie sich kaum einer der klassischen Stufen der Kostenermittlung nach DIN 276 zuordnen lassen wird, unvollständig, dadurch unbrauchbar und mangelhaft war.

Das Gericht führt aus: „Das Bestehen und der Umfang von Hinweispflichten (…) hängt von den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Dient die Erstellung der Kostenschätzung (sic!) der Entscheidungsfindung des Auftraggebers, so muss der Architekt die zum Ausdruck gebrachten wirtschaftlichen Belange des Auftraggebers beachten. Das erfasst auch die Verpflichtung, auf die konkrete Gefahr von wesentlichen Kostensteigerungen rechtzeitig vor der Investitionsentscheidung hinzuweisen. Bei einem Modernisierungs- oder Sanierungsvorhaben muss er zwar nicht allgemein auf das Risiko von Kostensteigerungen hinweisen, die sich aus bislang unentdeckt gebliebenen Gebäudeschäden ergeben können. Wirtschaftlich nicht unbedeutende Kostengruppen, mit deren Anfall ernsthaft zu rechnen ist, darf er allerdings nicht unerwähnt lassen.“
Wenngleich beim Besichtigungstermin äußerlich keine Anzeichen auf Formaldehydbelastung wahrnehmbar gewesen seien, so hätten mit Blick auf das Herstellungsjahr und die einfache Ausführungsart doch klare Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass das Gebäude mit schadstoffbelasteten Bauteilen errichtet worden sein könnte. Bei derartigen Gebäuden sei es, so auch der vom Gericht hinzugezogene Sachverständige, naheliegend und sehr wahrscheinlich, dass eine Schadstoffbelastung vorliege, die zu einem erheblichen zusätzlichen Sanierungsaufwand führen werde. Wenngleich dieser ohne Bauteilöffnung nicht zu beziffern gewesen wäre, hätte der Architekt zumindest auf das Risiko solcher (erheblicher) Zusatzkosten aufmerksam machen müssen.

Praxistipp

Die Höhe des Schadensersatzrisikos hängt nicht von der Höhe des Honorars ab. Daher sind gerade vermeintlich „kleine Aufträge“ zur Beratung beim Erwerb von Immobilien besonders haftungsträchtig. Da zugleich die formularmäßige Vereinbarung von Haftungsausschlüssen kaum weiterhilft, bleibt die nur ungefähre Bezifferung von Sanierungskosten ohne technische Substanzerkundung und genauere Planung ein Vabanquespiel. Wer sich darauf einlässt, sollte zumindest deutlich und nachweisbar auf die verbleibenden Unsicherheiten aufmerksam machen und auch auf nicht kalkulierbare, aber wahrscheinliche Risiken explizit hinweisen.p

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