07. Architekturquartett NRW diskutierte "Identität" - Aufzeichnung im Fernsehen zu sehen
„Architektur ist nicht nur eine Frage von Technik, Kosten und Nutzen. Architektur ist auch eine Frage des Herzens und des Gefühls.“ Mit diesen Worten beschrieb AKNW-Vizepräsident Dr. Christian Schramm das Thema des 07. Architekturquartetts der Architektenkammer NRW, das am 19. März in der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste in Düsseldorf stattfand. "Identität!" war der Diskussionsabend überschrieben. Rund 250 Besucherinnen und Besucher fanden den Weg in die Landeshauptstadt - ein Zeichen dafür, dass sich die Veranstaltungsreihe, in der der Architekturdiskurs anhand dreier aktueller Bauprojekte gepflegt wird, weiterhin großer Beliebtheit erfreut. Der Lokalsender center.tv sendet in dieser und der nächsten Woche die Aufzeichnung der Veranstaltung.
Inwieweit stehen Bauwerke für Identität, für das Heimatgefühl von Menschen? Welche Bauwerke können Identität vermitteln? Und vor allem wie? Diese und andere Fragen wollten Dr. Dieter Bartetzko (Architekturkritiker der F.A.Z.), Dr. Tom Schoper (Architekt und Dozent an der TU Dresden), Prof. Kunibert Wachten (RWTH Aachen) und Marten Wassmann (Architekt/Amsterdam) diskutieren. Thematisiert wurden die Erneuerung des Hans-Sachs-Hauses in Gelsenkirchen (gmp Architekten, Hamburg), der Vodafone-Campus in Düsseldorf (HPP Architekten, Düsseldorf) sowie das Einkaufszentrum Limbecker Platz in Essen (ECE mit Henn Architekten, München). Eine erste These brachte Dr. Christian Schramm in den Diskurs ein. „Nicht nur Denkmäler prägen das Gesicht einer Stadt. In den letzten Jahren verzeichnen wir auch einen Zuwachs expressiver zeitgenössischer Architektur", stellte er in seiner Begrüßung fest. Erfolgreich seien Bauwerke, wenn sie Erinnerungspotenzial ausweisen und zum Charakter ihrer Stadt passen. Trifft dies auf die drei Objekte zu?
Im Falle des Hans-Sachs-Hauses war sich das Architekturquartett einig, dass das Gebäude nach dem von gmp geplanten Umbau, bei dem lediglich die historische Backstein-Fassade erhalten bleibt, vor allem im Inneren nicht mehr die Atmosphäre ausstrahlt, die es vorher besaß. „Aber man kann für die Stadt froh sein, dass das Bauwerk bestehen geblieben ist", sagte Tom Schoper. Das planerische Konzept für das Rathaus der Stadt, das dem historischen Äußeren eine hochmoderne, lichte und offene Architektur im Inneren entgegengesetzt wird, sei stimmig. Journalist Dieter Bartetzko ging sogar noch weiter: „Das Hans-Sachs-Haus gibt jetzt mehr denn je die Identität Gelsenkirchens wieder - einer Stadt, die sich mit den Folgen des Krieges arrangieren musste. Das Gebäude drückt das aus.“
Das Thema „Corporate Identity“ als Ausdruck in der Architektur beschäftigte das Architekturquartett bei der Betrachtung des Vodafone-Campus in Düsseldorf. Im Rahmen eines städtebaulichen Wettbewerbes ist für die Deutschlandzentrale des Telekommunikationsunternehmens ein Entwurf entstanden, bei dem sich mehrere Büroriegel in Form eines Dreiecks auf einen elliptisch geformten Büroturm hin ausrichten - ein abgeschlossener Bereich am Rande einer der meistbefahrenen Verkehrsachsen der Landeshauptstadt. Als Gebäudekomplex ein Solitär, der sich kaum auf sein Umfeld bezieht, urteilte das Architekturquartett. Dabei sei das planerische Konzept mit Blick auf die Marke des Unternehmens jedoch schlüssig. Gläserne Fassaden und Aluminium-Elemente prägen diese Insel im Stadtraum - das habe eine „gezwungene Herausgeputztheit", die allerdings zur Handykultur der heutigen Zeit passe. Architekt Marten Wassmann hätte sich für den Bereich mehr Abwechslung gewünscht. „Eventuell eine Gebäudeidee, die in verschiedenen Volumina weitergeführt worden wäre." Identität stiften könne der Vodafone-Campus allerdings - wenn nicht für die Stadt, so doch für die rund 5000 Mitarbeiter.
Eher kritisch beurteilte das Architekturquartett das dritte Objekt des Abends: das Einkaufszentrum Limbecker Platz in Essen. Als eines der größten seiner Art in Europa ersetzt es in der Essener Fußgängerzone das historische Karstadt-Kaufhaus samt Vorplatz. Die Bauherren (u. a. die ECE Projektentwicklung) haben viel Aufwand betrieben, dem Center einen expressiven Charakter zu verleihen - von einer ausladend geschwungenen und futuristisch gestalteten Fassade bis hin zur Wiederaufnahme von Bauelementen im Stil der Sandsteinfassade des Vorgängerbaus. Kann so etwas Identität stiften?
„Nein", lautete die klare Aussage von Tom Schoper. „Und ich verstehe nicht, warum man mit dem Ursprungsgebäude so lieblos umgegangen ist.“ Moderator und Stadtplaner Prof. Kunibert Wachten hinterfragte, welche Verbindung die geschwungene Fassade zum Ort habe, verwies jedoch auch auf gesellschaftliche Realitäten. „Gerade jüngere Leute werden mit dem Einkaufstempel Essen verbinden.“ Eine These, der Marten Wassmann beipflichtete. Die Stadt Essen habe sich gewünscht, dass an Ort und Stelle ein Solitär entstehe. „So etwas ist eine anstrengende zeitgenössische Entwurfsaufgabe, die wir Architekten annehmen und ernst nehmen müssen.“ Problematisch allerdings sei, dass der Limbecker Platz der Innenstadt einen „Pfropf“ aufsetze, der die Entwicklung der Stadt an einer wichtigen Stelle behindere. „Hier geht es um die Konversion alter Industrieflächen, die sich rückwärtig anschließen", so Wassmann. „Da ist die Stadtstruktur an einer bestimmenden Stelle mit wenig Potenzial überformt worden.“
Was ist Identität in der Architektur? Die Beantwortung dieser Frage ist genau so komplex wie die nach der Qualität - darin war sich das Architekturquartett einig. Das wichtigste für Architekten und Bauherren in dieser Hinsicht sei, in der Planung begründet zu handeln. Dies mache die Qualität eines Gebäudes aus. Und dies könne schließlich auch Identität stiften.
Wer das Architekturquartett verpasst hat, kann eine Aufzeichnung der Veranstaltung im Lokalsender center.tv verfolgen. Die Sendetermine:
- Freitag, 05.04.2013: 21.00 Uhr
- Sonntag, 07.04.2013: 18.30 Uhr
- Montag, 08.04.2013: 21.00 Uhr
- Mittwoch, 10.04.2013: 21.45 Uhr
- Sonntag, 14.04.2013: 19.00 Uhr
- Mittwoch, 17.04.2013: 14.45 Uhr
- Donnerstag, 18.04.2013: 21.00 Uhr
- Freitag, 19.04.2013: 14.00 Uhr
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