Als Mies in Aachen wackelte

Endlich wieder „Tag der Architektur“! Diesen erleichterten Ausruf konnte man am 26. und 27. Juni an vielen Orten im Lande hören. Denn an immerhin 90 - von angemeldeten 117 - Objekten konnten Mitglieder der Architektenkammer unter Beachtung der regional gültigen Conora-Schutzbestimmungen Besucherinnen und Besucher empfangen. „Wir sind sehr froh, dass die meisten eingereichten Bauten und Objekte aus den Bereichen Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung öffnen können“, hatte der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Ernst Uhing, im Vorfeld der Veranstaltung in einer Pressemitteilung erklärt. „Denn der ‚Tag der Architektur‘ ist im Kern ein Angebot zum Dialog und zum persönlichen Austausch über das Planen, Bauen, Arbeiten und Wohnen.“ Wie Recht der Kammerpräsident hatte, zeigte sich an vielen Orten in Nordrhein-Westfalen; denn bei überwiegend sonnigem Sommerwetter nutzten viele Architekturfans und Bauinteressierte die Gelegenheit, um endlich wieder kulturelle Impulse zu erhalten und mit Menschen live und vor Ort ins Gespräch zu kommen.

28. Juni 2021von Christof Rose

Vor dem „Museum Mies van der Rohe“ im Aachener Zentrum standen die TdA-Gäste geduldig in einer Schlange, um sich das kleine, aber feine Museum zu Aachens berühmten Sohn Ludwig Mies van der Rohe von Prof. Dr. Rudolf Bertig präsentieren zu lassen. „Es hat lange gedauert, bis wir dieses Museum in dem denkmalgeschützten, ersten Elektrizitätswerk unserer alten Kaiserstadt realisieren konnten“, berichtete der Aachener Architekt, der jeweils coronagerecht nur vier Personen durch das neue Museum führen konnte. Prof. Bertig erläuterte nicht nur die Expositionsstücke, sondern auch seine persönliche Motivation, die aus einer lebenslangen Bewunderung für den genialen Architekten Mies van der Rohe erwachsen sei. „Ich habe Mies sogar einmal persönlich erlebt, im Jahr 1959“, berichtete Rudolf Bertig den beeindruckten Besucher*innen.

Denkmale aufwerten, Bestand erneuern

Dass die Arbeit mit Denkmalen ebenso beglückend wie fordernd sein kann, bekräftigen auch Architekt Frank Röttgen und Helmut Coenen vom Kirchenvorstand von St. Martinus in Grevenbroich. Sie präsentierten am „Tag der Architektur“ die Sanierung und Erweiterung des „Alten Pastorat von 1653“ im Stadtteil Wevelinghoven, das über mehrere Jahre denkmalgerecht wieder in Wert gesetzt und um einen modernen, neuen Pfarrsaal erweitert worden war. Das alte Pastorat, das kurz nach Beendigung des 30-jährigen Krieges errichtet worden war und auf eine kirchen- und regionalhistorisch vielfältige Vergangenheit zurückblickt, war über Jahrzehnte zu Wohnzwecken zwischengenutzt worden, verbaut und verfallen. Der Abriss drohte - bis der Kir-chenvorstand sich mit Unterstützung des Erzbistums Köln und der Stadt Grevenbroich dazu durchrang, das bedeutende Kleinod an der Erft zu erhalten und zu einem modernen Pfarrzentrum auszubauen, das auch von der Stadtöffentlichkeit als Veranstaltungsort genutzt werden soll.

„Es war ein langer Weg von 2015 bis heute“, berichtete Kirchenvorstand Coenen den Besucherinnen und Architekturfreunden, die am „Tag der Architektur“ vorbeischauten. Wichtig sei es gewesen, immer wieder in Vorträgen und einer Infoblattserie über den Stand des Projektes zu informieren. „Man muss regelmäßig kommunizieren und die lokale Öffentlichkeit einbinden, um so etwas über Jahre hinweg zum Erfolg zu führen“, so Manfred Coenen, der sich mit den Architekten Frank Röttgen und Andreas Thöni einig zeigte: „Es hat sich gelohnt!“

Wohnungsbau in Nachverdichtung

Neben zahlreichen Denkmal- und Sanierungsprojekten stand auch am Tag der Architektur 2021 wieder das Thema „Wohnungsbau“ im Fokus vieler Besucher*innen. „Wir wollen zeigen, dass attraktiver Wohnraum zu günstigen Preisen mitten in der Stadt realisiert werden kann“, beschrieb Architekt Benedikt Krienen vom Büro Kleszczewski + Partner seine Motivation zur Teilnahme am Tag der Architektur. Er stellte mit seinen Bauherren Hannah Driesen und Felix Fitz ein „Baumhaus“ vor: die Erweiterung eines Siedlungshauses aus den 1950er Jahren um einen lichten, modernen An- und Aufbau über der Terrasse. „Wir haben aus einen Einfamilienhaus nun ein Wohnhaus für zwei Parteien gemacht, und das mit kleinem Budget“, berichtete Architekt Krienen. Ziel war ein Tausch Alt und Jung: die junge Bauherrenfamilie konnte nun in das Ursprungshaus ziehen, die Eltern der Bauherrin wechselten in den rund 70 m2 umfassenden Anbau, der mit offenen Raumstrukturen und großzügiger Verglasung zum Garten überzeugen konnte. „Wir haben das Objekt ‚Baumhaus‘ genannt, weil es auf Anbauten an den Altbestand aufgesetzt wurde“, erzählte die Bauherrin.

Beeindruckt von dieser Lösung, die mit einer markanten, hell-blauen Aluminiumfassade einen deutlich eigenständigen Charakter aufweist, zeigte sich auch Josef Wegge, einer der Besucher des Objektes: „Ich habe selber ein altes Haus gekauft und baue immer weiter aus. Deshalb bin ich seit einigen Jahren regelmäßig am Tag der Architektur unterwegs, um mir originelle Lösungen anzusehen - im Gebäudebestand.“ Architekt Benedikt Krienen konnte viele wertvolle Tipps geben, denn er zeigte sich überzeugt: „Wir müssen im Bestand denken und arbeiten. Wenn wir boden- und ressourcenschonend bauen und leben wollen, ist das der richtige Weg. Und es gibt viel Potenzial, auch für Quartiersprojekte im Bestand.“

Ein überzeugendes Beispiel dafür lieferte auch das Büro Dr. Schrammen Architekten in Mönchengladbach. Inmitten eines belebten und dicht bebauten Stadtteils entstand hier ein neues Quartier aus sieben Mehrfamilienhäusern, die sich um großzügige Höfe gruppieren. „Wir hatten das Ziel, ein Stück niederländische Städtebaumentalität an den Niederrhein zu holen“, erläuterte Dr. Burkhard Schrammen. Das weiß gehaltene, modern gestaltete Ensemble fügt sich in den Stadtteil ein und ist öffentlich zugänglich, bietet den Bewohner*innen aber Ruhe zum Arbeiten und Wohnen; ein Konzept, das mit dem „German Design Award 2020“ honoriert wurde.

Medien berichten umfassend

Auch in diesem (Corona-dominierten) Jahr griffen die Medien den „Tag der Architektur“ umfassend auf. Die Deutsche Presseagentur (dpa) verbreite ein thematisches Interview mit der AKNW, die „Lokalzeiten“ des WDR berichteten in spannenden Reportagen, viele Regionalzeitungen und Internetforen wiesen auf den „Tag der Architektur“ hin. Zur Freude von Norbert Schnitzler, Historiker aus Aachen. Er besuchte in Aachen das „Museum Mies van der Rohe“ und zeigte sich besonders interessiert an historische Bauten, die neue Nutzungen erhielten.

„Die Besuche sind für mich immer eine große Inspiration. Ich bin sehr froh, dass ich heute hier vor Ort an der Führung teilnehmen kann“, so Norbert Schnitzler. Als Historiker interessierte er sich auch sehr für die Geschichten, mit denen Prof. Rudolf Bertig im Mies-Museum seine Gäste zu faszinieren wusste. „Als ich Mies damals in Aachen sah, war ich ein junger Student. Mies stand oben auf der Rathaustreppe. Und ich weiß noch, wie ich dachte: Hoffentlich stürzt er nicht. Denn der alte Mies war ganz schön wackelig auf den Beinen“, erzählte schmunzelnd mehr als ein halbes Jahrhundert später Prof. Rudolf Bertig. „Oral history“ am „Tag der Architektur“.

 

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