Aufgabe Quartiersmanagement: Diskussion über ein wachsendes Arbeitsfeld für Architekten und Stadtplaner

In den deutschen Städten ist seit den 1990er Jahren eine verstärkte Polarisierung festzustellen. Während einige Quartiere zunehmend beliebter werden, befinden sich andere Stadtviertel in einem Abwärtstrend und werden als Problemquartiere wahrgenommen. "Das Quartiersmanagement hat sich als wichtiges Instrument zur Stabilisierung benachteiligter Stadtteile etabliert", konstatierte Enst Uhing, der Präsident der Architektenkammer NRW, am 15. November im Haus der Architekten vor über 100 Architektinnen und Architekten, Stadtplanern und Landschaftsarchitekten. Im Rahmen einer Fachtagung tauschten wurden aktuelle Projekte vorgestellt; zudem gab es einen intensiven Austausch der Teilnehmer untereinander.

18. November 2016von Jan Schüsseler

Rolf-Egon Westerheide, Vorstandsmitglied der AKNW und Professor für Stadtplanung an der RWTH Aachen, erinnerte als Moderator der Veranstaltung einführend daran, dass der nordrhein-westfälische Bauminister Michael Groschek auf dem Architektenkongress der AKNW in Venedig 2014 erstmals die Einrichtung einer "Quartiersakademie NRW" angeregt hatte. Die Akademie der Architektenkammer NRW habe daraufhin ein Fortbildungsprogramm aufgelegt, das verschiedene Aspekte der Quartiersentwicklung thematisierte. "Das Quartier ist einer der wichtigsten lebensweltlichen Bezugspunkte der Menschen, im Quartier sind Auswirkungen von Stadtentwicklungsdynamiken unmittelbar spürbar, die Erfolge des planerischen Handels und des Investierens werden ablesbar und stellen räumlich und hochbaulich sichtbare Botschaften her", erörterte Prof. Westerheide. Er betonte, dass sich Architekten und Stadtplaner besonders berufen fühlen, die gestaltende und steuernde kommunikative Aufgabe des Quartiersmanagements zu übernehmen.

Reinhard Drees, Architekt und Stadtplaner aus Bielefeld-Sennestadt, erläuterte die Herangehensweise seines Büros an die Ausschreibung von Leistungen des Quartiersmanagements. "Das Leistungsbild ist sehr komplex", konstatierte Drees, "deshalb haben wir in Anlehnung an die HOAI und basierend auf unserer Erfahrung bei der Betreuung von Wettbewerben einen umfassenden Katalog von Grundleistungen und besonderen Leistungen erarbeitet." Drees ergänzte, dass eine sorgfältige Vorbereitung im Sinne der "Leistungsphase 0" bei der Vergabe von Leistungen des Quartiersmanagements besonders wichtig sei. Architekten und Stadtplaner sieht Drees als Quartiersmanager besser geeignet als Immobilienfachleute oder Sozialarbeiter, da in der Praxis in vielen Fällen planungsrelevante Aufgaben zu lösen seien. "Bei unseren Ausschreibungen erhielten wir nur wenige Angebote. Hier besteht also für die Mitglieder der Architektenkammer ein großer Markt", resümierte Reinhard Drees.

Aus der Sicht des Auftraggebers beschrieb Dietmar Bergmann, Bürgermeister der Gemeinde Nordkirchen, die Aufgaben und Ziele des Quartiersmanagements. "In unserem Ortsteil Südkirchen mit seinen Einfamilienhaussiedlungen der 50er und 60er Jahre sind unsere Ziele die nachhaltige Sicherung des Wohnstandortes und eine ausgewogene Bevölkerungsstruktur", erläuterte Bergmann. Im Rahmen des in die REGIONALE 2016 eingebundenen integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (ISEK) wurde auch ein Quartiersmanagement durchgeführt. "Die Aufgaben waren vielfältig, von der Organisation von Fachveranstaltungen bis hin zur Erstberatung der Bewohner zu Möglichkeiten der baulichen Nachverdichtung", führte Bergmann aus und fügte schmunzelnd hinzu: "Bei uns im ländlichen Raum mussten die Quartiersmanager dabei dicke Bretter bohren!" In der anschließenden Diskussion hob Bergmann hervor, dass die zur Wiederbelebung dörflicher Strukturen erforderlichen sozialen Prozesse auch nach dem Auslaufen des geförderten Quartiersmanagements fortgeführt werden müssen.

Die von Bauminister Michael Groschek initiierte "Quartiersakademie NRW" wurde von Marion Trautmann von NRW.URBAN vorgestellt. Die Initiative stärkt seit Jahresbeginn 2016 zivilgesellschaftlich im Quartier engagierte Menschen und Initiativen und qualifiziert sie bei der Gestaltung ihrer Quartiere zum Akteur und Mitgestalter. In der Quartiersakademie NRW begegnen sich ehrenamtlich engagierte Bürgergruppen auch mit Fachleuten aus Kommunen, Wohlfahrtsverbänden, der Wohnungswirtschaft oder aus im Quartier engagierten Unternehmen und Institutionen. "In der Pilotphase haben wir elf Veranstaltungen in verschiedenen Städten unseres Landes durchgeführt, die die Bürger in den Mittelpunkt stellten und die vielfältigen Themen und die aktuellen Herausforderungen in Quartieren widerspiegeln", erläuterte Trautmann. In einem Modellprojekt sollen engagierte Bürger befähigt werden, sich die Nutzung von digitalen Anwendungen zur Quartiersentwicklung und Vernetzung anzueignen oder diese auszubauen. "Quartiersinitiativen in NRW waren bis zum 11. September 2016 dazu eingeladen, sich als eine von 15 Bürgerwerkstätten für das Modellprojekt zu bewerben", stellte Trautmann dar. Die Auswahl werde in Kürze erfolgen.

Jörg Heinrich Penner, Dezernent für Wirtschaft, Bauen und Umwelt in Hamburg-Harburg, stellte die Untersuchungen seiner Behörde zum Erneuerungsbedarf verschiedener Quartier im großstädtischen Gefüge und die Rahmenkonzepte für die Stadterneuerung vor. "Besonders wichtig ist die langfristig angelegte Planung. Stadtplanern fällt es deutlich leichter, in die Zukunft zu denken, als Sozialarbeitern, die eher die Lösung akuter Probleme  beherrschen", hob Penner hervor. Leistungen des Quartiersmanagement erbrachte das Dezernat mit eigenem Personal. Kritisch äußerte sich Penner zu Stadtteilbeiräten. "Sie sorgen zwar für Kontinuität im Umsetzungsprozess. Aber gelegentlich sind sie durch pensionierte Ingenieure dominiert, die aufwändige und teure Projekte verfolgen. Im Stadtteil Neugraben haben wir aufgrund der kontinuierlichen Diskussion derartiger unrealistischer Vorschläge drei Jahre verloren", bedauerte Penner.
Dagegen lobte er die konstruktive Arbeit einer Bürgerinitiative, durch deren Engagement eine sozialunverträglich geplante Großunterkunft für Flüchtlinge auf eine angemessene Größe reduziert werden konnte. "'Der Weg ist das Ziel' ist die falsche Ausrichtung der Stadtteilentwicklung. Eigenverantwortung und die strategische Planung sind die Grundlagen des Erfolgs", so lautete Dezernent Penners Credo.

Die große Bedeutung kleinteiliger Grünräume für die Lebensqualität im Quartier stellte Prof. Dr. Marina Oldengott heraus, die als Landschaftsarchitektin für die Emschergenossenschaft in Essen tätig ist. "Die Emscher war früher eine Kloake, in die alle Haushalte und Betriebe der Region ihre Abwässer einleiteten. Erst nach dem Abklingen der Bergbauschäden war es möglich, ein unterirdisches Abwassersystem wie in allen anderen Großstädten zu bauen, den Flusslauf zu renaturieren und den Menschen als Lebensraum zur Verfügung zu stellen", führte Dr. Oldengott aus. Anhand eindrucksvoller Bilder stellte sie Naturräume, Erlebnis- und Bürgergärten sowie umgestaltete Funktionsgebäude und Anlagen sowie Kunstinstallationen vor, die zum Teil unter aktiver Beteiligung von Bürgern entstanden. Verschiedene Aktivitäten der Emschergenossenschaft sind pädagogisch geprägt wie die "Blauen Klassenzimmer", in denen Kinder zum Forschen mit Wasser angeregt werden, oder Workshops mit Jugendlichen, in denen Romane zur Entwicklung des Emschergebiets entstehen. "Man muss die Kinder erreichen, dann erreicht man auch die Erwachsenen", so Dr. Oldengott. Zur Rolle der Landschaftsarchitekten führte sie aus: "Man braucht treibende Kräfte und starke Partner. Bürgerschaftliche Kleinprojekte sind oft flüchtig, professionell geplante Maßnahmen dagegen dauerhaft."

Vorträge

"Definition und Vergabe von Leistungen des Quartiersmanagements"
Reinhard Drees, Architekt und Stadtplaner, Bielefeld

"Quartiersmanagement - Erfahrungen aus der Praxis"
Dietmar Bergmann, Bürgermeister Gemeinde Nordkirchen

"Quartiersakademie NRW"
Marion Trautmann, NRW.URBAN

"Quartiersentwicklung zwischen Bauwut und Beiratsbespaßung"
Jörg Heinrich Penner, Dezernent für Wirtschaft, Bauen und Umwelt Hamburg-Harburg

"Quartier und Freiraum – eine untrennbare Beziehung"
Prof. Dr. Martina Oldengott, Landschaftsarchitektin, Emschergenossenschaft, Essen

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