Baubestand und Ökosysteme wiederbeleben
Wie kann man Bestandsbauten mit minimalen Eingriffen verantwortungsvoll weiterentwickeln? Und welche Potenziale entfaltet die Wiedervernässung von Mooren für das nachhaltige Planen und Bauen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich am 20. November die Architekten Bernd Schmutz und Prof. Dr. Matthias von Ballestrem im Rahmen der ersten Baukunst Lecture im Wintersemester 23/24.
Die Reihe „Baukunst-Lectures“ wird von der Kunstakademie Düsseldorf in Kooperation mit der Architektenkammer NRW veranstaltet.
Bernd Schmutz legt mit seinem Berliner Büro den Schwerpunkt auf das Bauen im Bestand. Zuvor hatte er bis 2015 elf Jahre lang als Partner im Büro Caruso St John Architects in London gearbeitet. Prof. Dr. Matthias von Ballestrem leitet das „Bauhaus Earth Fellowship“-Programm der Initiative Bauhaus Erde, die sich mit der Frage beschäftigt, wie Architektur und Stadt im Hinblick auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens neu gedacht werden müssen.
In Situ
„In Situ heißt für uns, sehr nah dran zu sein am gewachsenen Bestand, im hier und jetzt mit den Bedingungen vor Ort zu arbeiten, sich maximal darauf einzulassen, weiterzubauen und eine eigene Sprache zu finden“, erläuterte Bernd Schmutz den Titel seines Vortrags. Dabei ginge es nicht darum, den Projekten eine eigene Handschrift aufzudrücken, sondern bei jedem Projekt auf die individuellen Gegebenheiten einzugehen. „Wenn wir im Bestand arbeiten, müssen wir uns mit Fehlern und Makeln des Vorhandenen auseinandersetzen“, erklärte Schmutz. Er stellte exemplarisch drei Projekte im Bestand vor, darunter das Gut Garkau, eine von Hugo Häring Mitte der 1920er Jahre entworfene, denkmalgeschützte Hofanlage in der Nähe von Lübeck. Damals revolutionär: Häring fragte Landwirte, wie sich Kühe gruppieren würden, wenn sie fressen. Da diese sich im Kreis aufstellen, entwarf Häring einen Kuhstall mit abgerundetem Grundriss.
Das Büro Bernd Schmutz Architekten saniert das aus mehreren Bauten bestehende Ensemble aktuell behutsam und in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz. Es soll einer neuen Nutzung zugeführt werden. So entstehen hier Wohnungen mit gemeinschaftlichen Flächen; in der Scheune sollen zukünftig Konzerte und Ausstellungen stattfinden. Dabei würden nur die notwendigsten Eingriffe zur Erhaltung, aber auch zur Modernisierung des Bestands durchgeführt. Zudem werden Solaranlagen auf den Gebäuden installiert. „Photovoltaik darf kein Fremdwort im Denkmalschutz sein“, appellierte Schmutz. Das Büro hat in seinem Gesamtkonzept über das Gebäude hinausgedacht: So soll auf dem Gelände eine Pufferzone mit neuer Bepflanzung entstehen, die zusätzliche Habitate für mehr Biodiversität schafft.
Zirkulär Bauen
Prof. Dr. Matthias von Ballestrem berichtete von zwei kollaborativen Projekten im Rahmen des „Bauhaus Earth Fellowship“-Programms. In dem ersten Projekt, das in Kooperation mit dem Kollektiv „Baukreisel“ entstanden ist, ging es um das zirkuläre Bauen. Ein bis in die 1990er Jahre vom Max-Planck-Institut genutztes Dortmunder Hochhaus aus den 1950er Jahren hatte aufgrund von jahrelangem Leerstand seine Baugenehmigung verloren. Aus diesem Grund mussten Teile des Gebäudes zurückgebaut werden. Im Rahmen dieses Rückbaus sollen wertvolle Materialien des Interieurs, aber auch der Konstruktion sichergestellt werden. Schließlich wird untersucht, wie das rückgebaute Betontragwerk in neuen Konstruktionen eingesetzt werden kann. Neben theoretischen Bewertungen und Simulationen ist geplant, ein Demonstrationsmodell zu erstellen.
Bauen mit Schilf
Das zweite Projekt entstand in Kooperation mit dem Kollektiv „Material Cultures“ aus London. Untersucht wurde beispielhaft ein Gebiet in Greiffenberg in der Uckermark, um die Wiedervernässung von Mooren und deren Potenziale für die Land- und Bauwirtschaft zu erforschen. Ballestrem verwies darauf, dass in Mooren große Mengen an CO₂ gespeichert sind. Bei Trockenlegung würden die Moore dieses CO₂ aber wieder freisetzen. Entsprechend hätten Moore für den Klimaschutz eine große Bedeutung. Und auch für das nachhaltige Bauen könnten Moore bald eine wichtige Rolle spielen. Denn das Moor bietet verschiedensten Pflanzenarten wie Erle, Rohrglanzgras, Schilf, Segge und Weide einen Lebensraum – die auch als Baumaterialien genutzt werden könnten. Aktuell seien vieler dieser Naturprodukte aber noch nicht als Baustoffe zugelassen.
Das Team von Ballestrem entwickelte so u.a. eine Mischung aus Schilfkalk zur Ausfachung von Wänden. Aus den verschiedenen erforschten experimentellen Materialien aus dem Moor wurden Prototypen gebaut, die noch bis Januar in der Ausstellung „The Great Repair“ in der Berliner Akadmie der Künste zu sehen sind. „Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen als nur für das das Bauen“, appellierte Ballestrem in der Abschlussdiskussion an die Architektenschaft. „Vom Ökosystem bis ins Gebäude hinein, idealerweise darüber hinaus!“
Nächste Lecture: 22.01.2024, 19.00 - 21.00 Uhr. Kunstakademie Düsseldorf. Anmeldung: www.aknw.de
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