Ein Architekt mit Haltung und Handschrift - Joachim Schürmann (1926 - 2022)

Dass ein Architekt bei aller Besonderheit jeder einzelnen Bauaufgabe denn doch eine eigene Haltung, eine kontinuierliche und erkennbare Handschrift besitzt, das wurde bei wenigen der Zunft so deutlich wie bei Joachim Schürmann, der Anfang Dezember im Alter von 96 Jahren in Köln verstarb.

23. Dezember 2022von Frank Maier-Solgk

Schürmann, ein sogenannter Flakhelferjahrgang, wurde 1926 in Viersen geboren, wuchs in Dresden auf, wurde 17-jährig noch zum Kriegsdienst eingezogen, studierte anschließend an der TU Darmstadt. Hier lernte er seine Frau Margot kennen, mit der er 1956 in Köln das gemeinsame Büro eröffnete. In rund sechs Jahrzehnten hat Schürmann nicht nur, aber vor allem in der Domstadt bedeutende Spuren zu hinterlassen.

Eine spezielle Handschrift zeigte sich schon bei den ersten Projekten, überwiegend Wohnhäusern im Pavillonstil. Das eigene Wohn- und Arbeitshaus in der Encke Straße, 1956 für „vier Kinder und die ersten drei Mitarbeiter“ errichtet, demonstrierte mit der gläsernen Verschränkung von drinnen und draußen und je nach Bedarf versetzbaren Wänden ganz im Stil von Mies und von Wright ein hohes Maß an Flexibilität und Leichtigkeit.

Weitere Villen ähnlichen Zuschnitts folgten, darunter das eingeschossige Haus Gross/Richter, das die Einbettung der Architektur in die Natur durch zwei bepflanzte Innenhöfe noch stärker betonte. Leichtigkeit als Charakteristikum ist später auch beim Kölner Martinsviertel rund um die romanische Basilika von Groß St. Martin erkennbar. Hier hatte Schürmann 1969 einen Wettbewerb für den Wiederaufbau gewonnen und zwischen 1969 und 1977 rund um den klosterähnlichen Platz eine Neubebauung geplant, die sich in maßstäblicher Hinsicht und der Wegeführung an der Historie orientierte, aber jeden Ansatz geschichtsverliebter Betulichkeit vermied.

In der benachbarten Lintgasse Nummer 9 entwarf er für sich selbst ein sechsgeschossiges, erneut luftig wirkendes Gebäude als Innenstadtbüro für 20 Mitarbeiter, dessen Räume wiederum flexibel auch als Wohnräume nutzbar waren. Auch hier öffnete Schürmann die Wände, ersetzte bei der Fassade Stein durch Glas und fügte ein filigranes Gestänge als Träger von Gitterrost-Austritten davor. Bis 2008 diente der Bau als Architekturzentrum „Haus der Architektur, Köln“ (hdak).

Was den Kirchenbau betraf, der in den 1950er und 1960er Jahren noch eine zentrale Bauaufgabe darstellte, fand Joachim Schürmann zu originellen Lösungen, nicht zuletzt beim Neubau von St. Stephan in Köln-Lindenthal (1958), wo eine freitragende Konstruktion aus Glas und Stahl über eine Sockelzone aus Backstein gesetzt wurde. Die Beispiele, die sich fortsetzen ließen, belegen: Fast immer hat Schürmann – sicherlich auch als Nachhall einer Biografie, für die der Zweite Weltkrieg ein Einschnitt war – das Schwere und Monumentale vermieden.

In den 1990er Jahren folgte schließlich dasjenige Gebäude, das als „Bonner Schürmannbau“ zum Leidwesen auch des Architekten in die deutsche Baugeschichte einging. Als Abgeordnetenhaus in Nachbarschaft des Hochhauses von Egon Eiermann (Langer Eugen) geplant, wurde es 1993 infolge des Rheinhochwassers aufgeschwemmt und schwer beschädigt. 1997 entschloss man sich trotz des zwischenzeitlichen Wegzugs der Regierung nach Berlin zur Sanierung, die schließlich 2002 mit der Eröffnung der Deutsche Welle ihren Abschluss fand. Vielfach wurde der flache, lang gestreckte und deutlich gegliederte Bau seitdem gelobt. Architekturkritiker Manfred Sack charakterisierte ihn als „funktional einfallsreich und präzise“, als „Komplex im Ganzen wie im Einzelnen sehr spannungsvoll proportioniert; der Rhythmus der Fassaden von temperamentvoller Gelassenheit“. Der Schürmannbau, identifizierbar als ein an der weißen Moderne orientiertes Stück moderner Architektur, wurde zum Muster für die zeitgemäße Weiterführung einer demokratischen Architekturtradition, die im Bauhaus ihr Original besaß.

Die Haltung und die Leidenschaft für die Architektur, die Joachim Schürmann stets auszeichnete, müssen wohl ansteckend gewesen sein. Alle vier Kinder studierten Architektur; ihre Büros findet man in Stuttgart und München - auch ein Aspekt einer Erfolgsgeschichte.

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