
Zurück in die Zukunft: Bauen im Bestand
Wie interpretieren junge Planerinnen und Planer die Rolle des Bauens im Bestand? Diese Leitfrage stand im Mittelpunkt des 10. UrbanSlam der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, der am 13. Juni im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jubiläum „25 Jahre Baukultur NRW“ in Gelsenkirchen stattfand. Rund 150 junge Leute und Freunde der Baukultur hatten sich in auf dem Gelände von Baukultur NRW in Gelsenkirchen-Ückendorf eingefunden, um vier Architekturslams und - als Gast - Poetryslammerin Luca Swieter zu erleben.
„Bauen im Bestand ist keine moderne Erfindung: Es hat eine lange Geschichte, die bis in die Antike zurückreicht. Schon immer haben Menschen bestehende Strukturen repariert, umgebaut oder erweitert, anstatt sie komplett abzureißen und neu zu bauen“, führte Prof. Achim Pfeiffer mit einem Impulsvortrag in den Abend ein. Der Professor im Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren/Bauen im Bestand an der Hochschule Bochum und Geschäftsführer von Böll Architekten plädierte dafür, dass „der bewusste Umgang mit Ressourcen zum Standard werden muss. Wahrnehmen des Vorhandenen und die Wertschätzung des Bewahrens sind aus dem Fokus geratene Strategien beim Umgang mit Gebäuden. Schon da beginnt Planung!“
Wie die Wertschätzung des Vorhandenen funktionieren könnte, präsentierte mit viel Witz und Ironie Joachim Müller, Absolvent des Studiengangs Raumplanung an der TU Dortmund, am Beispiel eines leerstehenden Kaufhauses in Celle. In drei Monologen aus der Perspektive des Kaufhauses erklärte Joachim Müller, was der „Mythos Kauf- und Warenhaus“ mit sich bringt, und warum die Herausforderung von Kaufhausumnutzungen, obwohl es sich primär um ein bauliches Thema handelt, keine ist, die die Architektur allein lösen kann. Und welche Nutzungsmischungen in der bestehenden Bausubstanz und Gestaltqualität Erfolg versprechen könnten.
Eine mögliche Umnutzung einer Industriebrache von 42.000 m² in Warendorf präsentierte Carla Stein, Bachelor-Absolventin der Münster School of Architecture. Sie fokussierte ihre Arbeit auf drei unterschiedliche Gebäudetypen auf dem Areal: ein denkmalgeschütztes Bürogebäude, ein Bürohaus aus den 1970er Jahren und eine historische Sheddachhalle. „Was wäre, wenn man sich den Bestand so anschaut, als wäre Abriss die letzte Option? Wenn man den kleinstmöglichen Eingriff als den bevorzugten Weg versteht“, frage Carla Stein das Publikum. Auch sie fand Nutzungsmöglichkeiten, um den Bestand sinnvoll weiterzuentwickeln.
Um gesellschaftliche Utopien ging es im Profi-Slam von Luca Swieter, die das Thema Nachhaltigkeit philosophisch betrachtete.
Den Blick auf die Praxis richteten dann wieder die Studierenden Hanna Kochs und Jordan Lewa vom Büro „OX2architekten“, die zusammen über die Umnutzung und Weiterverwendung ausrangierter Rotorblätter von Windkraftanlagen slammten. Allein in Deutschland würden im Jahr etwa 7.500 Rotorblätter ausgemustert, führten sie aus. Aus den nicht mehr benötigten Rotorblättern könnte aber Neues entstehen – zum Beispiel Teile von Lärmschutzwänden oder tragende Bauteile für Hallen- oder Stadiondächer. „Das ästhetische Potenzial der Rotorblätter, ihre Langlebigkeit, Leichtigkeit und Stabilität sind ein Mehrwert für die Bauwirtschaft“, postulierten Hanna Kochs und Jordan Lewa.
Umfassende kritische Gedanken zur Verantwortung des Müllaufkommens in der Baubranche präsentierte Junior-Architekt Luka Hauschild aus Köln. In seinem Slam stellte er ein Konzept für die Umwandlung der leerstehenden Humboldthallen in Köln-Kalk vor. Dabei berücksichtige Hauschild Nachhaltigkeitsaspekte, mögliche Nutzungsszenarien und logistische Herausforderungen. Er empfahl die Einrichtung eines „Re-Use-Centers” für Baumaterialien, die wieder- und weiterverwendet werden können. Ein solches Modell könnte prototypisch für künftige urbane Entwicklungen werden, wenn es gelänge, die Aufbereitung und Neunutzung von Wertstoffen mit Aspekten gesellschaftlichen Engagements zu kombinieren. „Es kann zu einem Reallabor für Kreislaufwirtschaft werden“, meinte Luka Hauschild.
Die Schlussabstimmung des Publikums brachte ein eindeutiges Ergebnis: Joachim Müller wurde zum Gewinner des 10. UrbanSlams gewählt.
Die große Resonanz auf den 10. UrbanSlam der AKNW zeige, dass das Thema „Bauen im Bestand“ eine nach wie vor äußerst produktive Reibungsfläche darstellt, resümierte Moderatorin Patrycja Muc im Gespräch mit AKNW-Vizepräsidentin Katja Domschky und Dr. Svenja Haferkamp, Vorstandsmitglied bei Landesinitiative Baukultur Nordrhein-Westfalen. Die AKNW werde den UrbanSlam in Kooperation mit Baukultur NRW auf jeden Fall fortführen.
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