Neue Wahrzeichen Singapurs: Das „Marina Bay Sands“ von Mosche Safdie (2010) und die „Supertrees“ im Garden by the Bay (Grant Associates, Gustafson Porter, 2012); der Park wird jährlich von über 50 Mio. Menschen besucht. - Fotos: Christof Rose

Fachexkursion: Grüner bauen lernen in den Tropen

Die beeindruckendsten Großbauwerke dieser Welt entstehen gegenwärtig unter anderem in Südostasien. Insbesondere Singapur setzt auf ein Gartenstadtkonzept, das die zunehmende städtebauliche Verdichtung des 5,6 Millionen Einwohner-Staates mit der Anlage von Parks und grünen Zonen in der Stadt verbindet - und diese zunehmend in die Bauwerke selbst integriert. In hartem Kontrast dazu steht die Hauptstadt Malaysias. 1,5 Millionen Einwohner zählt Kuala Lumpur gegenwärtig, Tendenz steigend. Die Stadt setzt vor allem auf eine Entwicklung in die Höhe und auf eine extreme Verdichtung. - Der Vergleich der Entwicklung dieser urbanen südostasiatischen Zentren war Gegenstand einer Fachexkursion, zu der Ende 2019 und im Januar 2020 drei Reisegruppen, die sich aus Mitgliedern der Architektenkammer NRW und Begleitern zusammensetzten, nach Singapur, Malakka und Kuala Lumpur führte. Die fachliche Führung vor Ort übernahm der Grevenbroicher Architekt Markus Schmale, der nicht zu viel versprach, als er der zweiten Reisegruppe nach Ankunft auf dem Flughafen von Singapur avisierte: „Ihr werdet viele technisch innovative, aber auch oftmals sehr berührende und beseelte Orte kennenlernen.“

21. Januar 2020von Christof Rose

Grüne Architektur, die Lösung der Wohnraumfrage und eine zukunftsorientierte Infrastruktur waren die Leitthemen, die sich durch das anspruchsvolle Exkursionsprogramm vom 23.11. bis 1.12.2019 zogen. Schon der Changi-Airport (SOM Skidmore, Owings & Merrill, 2009), oft als der schönste Flughafen der Welt bezeichnet, stimmte die Gruppe auf den Anspruch Singapurs ein, große Architekturen auf die Bedürfnisse der Benutzerinnen und Benutzer auszurichten: lärmschluckende Teppichböden, unzählige Blumeninseln, anspruchsvolle Sanitäranlagen und betont freundliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führten dazu, dass der Reisestress und Klimawechsel vom europäischen Winter in die tropische Regenzeit bei tagsüber konstant um die 30 Grad gut verarbeitet werden konnten. Der Flughafen wurde inzwischen um eine Shoppingmall mit integriertem künstlichen Wasserfall erweitert. Der Umgang mit Wasser ist in den Tropen eine Frage der täglichen Notwendigkeit: Die oft kurzfristig auftretenden, aber regelmäßigen und heftigen Regengüsse stellen jedes Bauwerk vor die Aufgabe, das Regenwasser sinnvoll abzuleiten bzw. zu nutzen.

Stadtplanung in 10-Jahres-Schritten
Singapur wurde erst 1965 unabhängig von Malaysia und ist heute eine der wichtigsten Finanzmetropolen Südostasiens. Seit Erlangung der Unabhängigkeit wurde hier eine konsequente Stadtplanung betrieben, die nach einem Masterplan von I. M. Pei und Kénzo Tange zunächst dem Ideal der autogerechten und funktionsgetrennten Stadt folgte, heute aber verstärkt auf den öffentlichen Personennahverkehr, die Steuerung des Kfz-Verkehrs über ein Mautsystem sowie den konsequenten Ausbau des Radwegenetzes setzt. „Das Stadtplanungsamt verfügt innerhalb Singapurs über ein außergewöhnliches Standing und arbeitet mit einer intensiven Kommunikationsstrategie daran, die jeweils auf zehn Jahre angelegten Masterpläne zu vermitteln“, erläuterte Markus Schmale der Architektengruppe aus Nordrhein-Westfalen. Anhand eines großen, plastischen Stadtmodells sowie zahlreicher Computeranimationen stellt die Stadtverwaltung in der „Singapore City Gallery“ ihren Bürgern anschaulich dar, entlang welcher Entwicklungsachsen neuer Quartiere erschlossen und welche Infrastrukturmaßnahmen auf dem Weg zur intelligenten Stadt angegangen werden sollen.

Dschungel in Wohn- und Geschäftshäusern
Als Beispiel dafür besuchte die Fachexkursion das soeben fertiggestellte Projekt „Marina One“ von ingenhoven architects. Das Düsseldorfer Architekturbüro realisierte den gigantischen Wohn- und Bürokomplex auf neuem Baugrund, der dem Meer abgerungen wurde. „Marina One“ bildet damit den Auftakt zu einem vollständig neuen Stadtviertel. Das aus vier Einzelbauten bestehende Bauwerk mit einer Bruttogeschossfläche von 340 000 m2 wirkt von außen trutzig, innen dagegen einladend und dschungelartig grün: Eine mehrgeschossige Gartenlandschaft, das „Green Heart“, wie Olaf Kluge, Büroleiter von ingenhoven architects in Singapur, der NRW-Reisegruppe erläuterte, sorgt mit rund 350 Pflanzenarten für Atmosphäre und Kühlung - nicht nur für die Bewohner des Komplexes, denn der Zutritt zu dem Innenhof ist auch Besucherinnen und Besuchern jederzeit möglich. Das Bauwerk erreichte die Zertifikate „LEED Platinum“ und „Green Mark Platinum“.

Offene Strukturen, natürliche Belüftung
Weitere Beispiele, die zeigten, wie stark die Verbindung von Natur und Kultur in den Tropen gelingen kann, waren das Hotel „Parkroyal on Pickering“ (WOHA, 2013), das seine Geschossfläche von knapp 30 000 m² um weitere 15 000 m² „Sky Gardens“ ergänzt, das bekannte Wohnprojekt „The Interlace“ von Ole Scheeren/OMA (2013), in welchem mehr als 1000 Wohneinheiten in einer grünen Parklandschaft in versetzen Riegeln gestapelt wurden, sowie das beeindruckende Projekt „Solaris“ von Ken Yeang (2011): Das Bürogebäude stellt den Ankerpunkt des neuen Forschungsquartiers „Fusionopolis“ dar, eines Zentrums für Informationstechnologie, Medien, Naturwissenschaften und Ingenieurswesen, für das Zaha Hadid Architects den Masterplan erstellt hatten. Auch das Solaris integriert umfassend Grünflachen in die Baukörper: Der größte Turm des Komplexes enthält ein Atrium, das natürliches Licht ins Gebäudeinnere führt. Ins Erdgeschoss wurde ein Pocket Park integriert, der sich zu einer benachbarten Grünanlage öffnet. Atrium und Pocket Park werden durch natürlich vorhandene Luftströme klimatisiert. Verglichen mit ähnlichen Vorgängerbauten benötigt das Solaris unter gleichen klimatischen Bedingungen 36 % weniger Energie. Das Bauwerk erreicht den „Green Mark Platinum“-Standard. „Solche Konzepte werden sich auch in unseren Breitengraden durchsetzen“, zeigte sich der Exkursionsleiter Markus Schmale überzeugt. „Ich halte es für vorbildlich, wie man in Singapur daran arbeitet, Natur in dichte Bebauung zu integrieren.“

Immer wieder wurde in der AKNW-Reisegruppe allerdings auch kritisch diskutiert, inwieweit die konsequente Stadtplanung Singapurs nur deshalb möglich sei, weil der Stadtstaat zwar Wahlen kennt, aber de facto als Einparteienstaat autoritär geführt wird. Für den Besucher präsentiert sich Singapur jedenfalls als strukturierte, sichere und attraktive Stadt, die jährlich über 14 Millionen Touristen anlockt.

Diese besichtigen vor allem das „Marina Bay Sands“ – das neue Wahrzeichen Singapurs. Der israelische Harvard-Professor Mosche Safdie realisierte den Komplex aus drei Hochhausscheiben, die durch ein aufliegendes, an ein Schiff erinnerndes Dach verbunden sind, bis zum Jahr 2010 für den Investor „Las Vegas Sands“, der Casinos, Hotels und Messehallen betreibt. Das markante Bauwerk umfasst ein Hotel, ein Resort, ein Casino, Messehallen incl. Einkaufszentrum, ein Museum und vieles mehr. Am selben Hafenbecken liegen weitere markante Bauten, u.a. das Fullerton Bay-Hotel (DP Architects, 2010), das den 1933 fertiggestellten Clifford Pier integriert, der einst als Anleger für Handelsschiffe und als Handelsplatz diente.

Experimentelle Bildungsbauten
Die NRW-Architektengruppe besuchte auch verschiedene Bauwerke für Kultur und Bildung, die bisweilen einen stark experimentellen Charakter aufweisen. Als „beseelten Ort“ beschrieb der fachliche Leiter Markus Schmale etwa den neuen Learning Hub der Nanyang Technological University von Heatherwick Studios: Sechs offene Lerntürme bilden einen geschützten Innenhof, mit offenen Galerien, natürlicher Belüftung und einer ungemein konzentrierten Atmosphäre für das Lernen und Arbeiten in kleinen Gruppen. Das expressive Bauwerk, das außerhalb der Stadt liegt, faszinierte viele der Mitreisenden.

Auch die SOTA (School of the Arts) von WOHA Architects (2010) bewies Innovationskraft: Das Gebäude der privaten Kunstschule setzt sich aus drei parallelen Hochhausscheiben zusammen. Die öffentlich zugängliche Sockelzone beinhaltet diverse Konzert- und Theatersäle, die von den Studierenden bespielt werden können. Auf dem begrünten Dach bietet eine Joggingstrecke Raum zur körperlichen Erfrischung. „Ein Gebäude, das von dem Respekt kündet, den diese Gesellschaft jungen Leuten entgegen bringt“, konstatierte Markus Schmale.

Kolonialgeschichte in Malakka
Die Fachexkursion führte weiter über die Grenze in den nördlich gelegenen Nachbarstaat Malaysia. Hier gab es einen Zwischenstopp in Malakka, einer alten Kolonialstadt, die noch zahlreiche Bauwerke portugiesischer und niederländischer Provenienz aufweist. Ein Bespiel ist die Christ Church, eine in typisch niederländischer Technik aus Backstein konstruierte einfache Saalkirche mit flacher Holzbalkendecke. Der zu Kolonialzeiten berühmte Hafen an der Straße von Malakka ist heute vor allem für Touristen attraktiv und weist einen florierenden Antiquitätenhandel auf.

Asiatische Metropole KL
Wer sich Kuala Lumpur über die mehrspurige Autobahn nähert, passiert zunächst unzählige einfache Wohnhochhäuser, von denen immer weitere Exemplare entlang der Hauptachsen hochgezogen werden. Großformatige Werbeplakate preisen das „Wohnglück“, das hier entsteht – und die deutschen Architektinnen und Architekten sowie Stadtplanerinnen und Stadtplaner eher an die Fehlentwicklungen der 1970er Jahre erinnerte. Auch das Stadtzentrum der Hauptstadt Malaysias erwies sich als autogerecht konzipiert, wohingegen Bürgersteige und Fußwege nicht selten abrupt enden oder von Baugruben verschluckt wurden.

„Es gilt als Zeichen des Erfolgs, eine Adresse in Kuala Lumpur zu haben“, erläuterte der einheimische Guide Thomas Koh, der in seiner Kindheit in Kuala Lumpur (KL) eine evangelische Schule besucht hatte. Auch das Automobil sei ein Statussymbol, die meisten erfolgreichen Familien hätten mehr als ein Kfz. Gleichwohl versucht die Kommune, durch den Neubau einer öffentlichen Stadtbahn für alternative Mobilitätsangebote zu werben.  

Petronas Towers
Wie Singapur hat auch Kuala Lumpur in den vergangenen Jahrzehnten enorme Entwicklungsschübe durchlaufen. Bekanntester Ausdruck dieses neuen Selbstbewusstseins sind die „Petronas Towers“, die Cesar Pelli bis 1998 im Auftrag des staatlichen Mineralölkonzerns Petronas realisierte. Sein Auftrag war ausdrücklich, ein zeichenhaftes Bauwerk zu schaffen, das zum neuen Wahrzeichen der Stadt werden sollte. Es gelang. Die Zwillingstürme erinnern einerseits an die ikonischen Hochhäuser New Yorks im Stil des Art Déco, andererseits sind sie in der lokalen, islamisch geprägten Tradition verankert. Die horizontale Illumination bei Nacht kreiert den Effekt, dass sich die Türme im Dunkeln kristallin aufzulösen scheinen. „Mit den 452 Meter hohen Petronas-Towers wurde ein regelrechter Hochhaus-Hype ausgelöst, der weiter anhält und gegenwärtig neue Rekordhöhen von 550 Metern erreicht“, schilderte Architekt Markus Schmale die aktuelle Entwicklung. Aber kein anderes Hochhaus hat bislang den Charme der Zwillingstürme erreichen können.“

Hinter den Türmen wurde zeitgleich der KLCC-Park realisiert. Der brasilianische Landschaftsarchitekt Roberto Burle Marx schuf auf nur 20 Hektar eine vielgestaltigen Grünraum, der Spielplätze, Elemente des englischen Landschaftsgartens und verschattete Erholungsräume geschickt zusammenführt.

Begrüntes Wohnen
Unmittelbar gegenüber der Petronas realisierte Jean Nouvel im Jahr 2016 zwei Wohnhochhäuser, die – quasi als Spiegelbild der Petronas-Türme – über eine Brücke miteinander verbunden sind. Den 43 und 49 Meter hohen Wohntürmen stellte Nouvel eine Fassade vor, die einem filigranen Baugerüst gleicht, das als überdimensioniertes Rankgitter fungiert und dazu führen soll, dass die Türme sukzessive begrünt werden. Insgesamt 243 verschiedene Pflanzen kommen hier zum Einsatz, die teilweise hängen, teilweise klettern. Sie sollen für Verschattung und Kühlung sorgen.

Die Fachexkursion führte die NRW-Architektengruppe in Kuala Lumpur auch zu zahlreichen historischen Bauwerken, die sich vielfach in einem schlechten baulichen Zustand befanden. Das „Sultan Abdul Samad Building“, ein Regierungsgebäude der britischen Kolonialverwaltung von 1897 (Architekten: Regent Alfred John Bidwell, Arthur Benison Hubback, Arthur Charles, Alfred Norman), bedürfte ebenso einer grundlegenden Sanierung wie die „Old Railway Station“, die aus derselben Zeit stammt. „Das Potenzial unseres geschichtlichen Erbes wird erst nach und nach erkannt“, meinte der lokale Guide Thomas Koh.

Versteckte Orte, Insider-Informationen
Exkursionsleiter Markus Schmale führte die Reisegruppe auch an verschiedene verborgene Orte, die weder Einheimische noch Touristen aufsuchen – von vergessenen Parks über die versteckte Dachterrasse eines Einkaufszentrums bis hin zu einer kleinen Stadtteilbibliothek (Bishan Public Library, LOOK Architects, 2006), die wie ein Juwel am Rande einer eher tristen Wohnsiedlung lag. „So ein Kleinod würde man alleine niemals aufspüren“, sagte Exkursionsteilnehmerin Architektin Siglinde Sumik. Für den Briloner Architekten Markus Lehmann gehörten die fachlichen Informationen durch den kenntnisreichen und engagierten Exkursionsleiter Markus Schmale sowie der intensive Austausch unter Kolleginnen und Kollegen zu den Highlights der Reise nach Südostasien.

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