Festredner Sloterdijk und die anthropologischen Grundlagen der Stadtgestaltung
„Wie würde die Natur Städte bauen, wenn sie Städte wachsen ließe?“ - Diese Frage stand über der Festrede, die der Karlsruher Philosophieprofessor Dr. Peter Sloterdijk anlässlich des Festaktes zum 40-jährigen Bestehen der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen hielt. Vor 500 Zuhörern machte sich Sloterdijk Gedanken über die anthropologischen Grundlagen der Stadtgestaltung und definierte fünf menschliche Grundbedürfnisse, die unser Handeln determinierten und die deshalb die wahren „Bauherren der Geschichte“ seien. - Eine Zusammenfassung.
„Bauherren der Geschichte“ seien: der Schlaf, der Handel bzw. Eros, das Geben, die Erholung und der Luxus. Entlang dieser zentralen Motive entwickelte Peter Sloterdijk auf ebenso zwingende als auch amüsante Weise eine Matrix, die gleichsam als Prüfraster über jede Stadt gelegt werden kann um festzustellen, inwieweit die menschlichen Baumeister den Erwartungen der Natur entsprochen haben.
Zwischen „homo nocturnus“ und „homo politicus“
Der erste und ursprüngliche Antrieb für den Menschen, eine Stadt zu errichten, war nach Sloterdijk das Bedürfnis der Nachtsicherheit. Der „homo nocturnus“ müsse sich nun einmal aufgrund seiner schwächlichen Konstitution regelmäßig „den Zumutungen des Wachseins“ entziehen und benötige dazu Schutz. „Die Stadt ist ursprünglich ein Immunsystem gegen nächtliche Feinde“, folgerte Prof. Sloterdijk. Dass die urbane Anthropologie auch das Konzept der nocturnen Stadt einschließe, sei nur scheinbar ein Paradox: Denn der Mensch sei eben ein Mangelwesen, das immer ein Begehren verspüre, das stets auf der Suche sei: Als „homo mercator“ sind wir alle Händler. Der Mensch strebe nach Gütern, Kontakten, Zuwendung, Liebe. Diese Güter erlange der im Tausch. Die Stadt als Marktplatz, als Treffpunkt für den Tausch von Waren und Dienstleistungen, sei neben der Sicherheit und der Religion das dritte entscheidende Moment für urbane Gründungen gewesen. „Die Stadt ist ein Ort der permanenten Verführung“, so Peter Sloterdijk, voller Verlockungen und Angeboten. „Städte bleiben immer Orte des Eros, in dem Sinne, dass der Mensch nach dem Austausch ganz unterschiedlicher Dinge strebt.“
Drittens sei insbesondere der Stadtmensch auch ein „homo politicus“ - jemand, der nicht nur nach etwas strebt, sondern gerne auch etwas gibt. „Der Stadtmensch findet Stolz, Anerkennung und Zuwendung durch den Akt des Gebens.“ Plakative Beispiele seien Politiker, Künstler, Priester, Lehrer. In den USA würden im Jahr rund 300 Milliarden US-Dollar gespendet; in Deutschland sei die Quote maßstäblich umgerechnet etwa ein Fünfzehntel dieser enormen Summe. „Der Geber sonnt sich in seiner Tat, er tritt hervor aus der Menge, er setzt sich bewusst einer 360-Grad-Betrachtung aus“, schmunzelte der Festredner auf dem Podium vor dem Kreisrund des nordrhein-westfälischen Landtags. Schon die antike griechische Polis sei von drei Platztypen charakterisiert gewesen: der Agora (politischer Wettstreit), dem Theater (für das Schauspiel) und dem Stadion (sportlicher Wettkampf).
Vom Rasten, Restaurieren und Rekreieren
Eine vierte anthropologische Konstante beschrieb Prof. Peter Sloterdijk in seiner viel beachteten Rede mit dem „homo restaurandus“. Die leistungsfähige Stadt müsse bis heute darauf Rücksicht nehmen, dass der Mensch schon nach wenigen Stunden der Aktivität eine Erholung brauche. Restaurants, sanitäre Anlagen, Erholungszonen seien kein Luxus, sondern eine unabdingbare Notwendigkeit, will die Stadt dem Menschen gerecht werden. Schließlich fand Sloterdijk im „homo ludens“ einen Trend, der erst in jüngerer entwicklungsgeschichtlicher Zeit auszumachen sei: „Der Stadtmensch leidet unter der Not der Notlosigkeit! Was fangen wir an mit der vielen freien Zeit?“ Der „homo ludens“ nehme die Stadt als Reiz-Ersatz; er betrachte die Stadt als Ort des Spiels, des Spektakels. Da die Stadt heute zunehmend auch selber zum Spektakulum werde, der verspielte Mensch aber stets wisse, wo sie die größten Reize aussendet, sei der „homo ludens“ der eigentliche Baumeister zu Zukunft.
So humorvoll und spitzfindig der Philosoph seine Thesen zur Anthropologie der Stadt vortrug - in den langen Gesprächen des festlichen Abends waren sich die meisten Gäste der Architektenkammer NRW einig, dass Prof. Peter Sloterdijk ein passgenaues Prüfraster entworfen hatte, mit dem die Qualität und Stabilität von Städten trefflich überprüft werden könne.
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