Josef Paul Kleihues (1933-2004)

Josef Paul Kleihues (1933-2004)

„Ich bin leidenschaftlicher Städter und leidenschaftlicher Ländler“, so bezeichnete sich Josef Paul Kleihues selbst, der seit 1973 abwechselnd in seiner Wahlheimat Berlin und seinem westfälisch-münsterländischen Herkunftsland lebte und arbeitete. Josef Paul Kleihues starb am 13. August im Alter von 71 Jahren.

08. Oktober 2004von Gudrun Escher

Als Sohn eines Bauunternehmers im kleinstädtischen Rheine geboren, besuchte Kleihues das dortige katholische Gymnasium Dionysianum, mit dessen Neorenaissancebau (1903-09) von Josef Franke sich der Architekt im Rahmen einer Erweiterung und baulichen Komplettierung fünfzig Jahre später wieder beschäftigte. Das Studium führte ihn nach Stuttgart, Berlin und Paris, bevor er zunächst im Büro Peter Poelzig arbeitete und sich ab 1962 selbstständig in Berlin niederließ. Zur gleichen Zeit, als er 1973 (bis 1994) in Dortmund an der neuen Fakultät für Bauwesen den Lehrstuhl Entwerfen und Architekturtheorie übernahm, gründete er im abgeschieden Dülmen-Rorup ein Zweigbüro, in das 1984 Norbert Hensel eintrat, inzwischen Büroleiter und Partner in der „Kleihues + Kleihues Gesellschaft von Architekten mbH“. 

Kritische Rekonstruktion 

Während der Wettbewerb für eine Schule in Borken 1974 das Thema der wichtigsten späteren Bauten des Büros in Westfalen anschlug, begann im selben Jahr mit den Planungen für die Erneuerung der Siedlung Dahlhauser Heide in Dortmund die stadtplanerische Arbeit. Das Forschungsvorhaben „Wohnen und Arbeiten im Ruhrgebiet“ mündete zwischen 1975 und 1981 in den Dortmunder Architekturtagen, Architekturausstellungen und der Schriftenreihe Dortmunder Architekturhefte, die Kleihues als Herausgeber und Autor maßgeblich bestimmte. Hier und in dem bereits 1973 vorgelegten „Berlin-Atlas“ erarbeitete er die Grundthesen für den 1984 erstellten Masterplan der IBA Berlin und legte die Fundamente, auf denen ab 1989, jetzt ohne Kleihues, die IBA Emscherpark aufbauen konnte.

Die Ausgewogenheit von Disziplin und Freiheit, von Rationalismus und Poesie bestimmt die Arbeit von Josef Paul Kleihues, und er prägte für das von ihm und seinen Mitstreitern als unabdingbare Aufgabe erkannte Bauen im Bestand den Begriff der „Kritischen Rekonstruktion“, der nach der Wende das Leitmotiv für das Planwerk Innenstadt Berlin wurde. Allerdings gehen die Interpretationen dieses Konzeptes weit auseinander. Auch wenn Kleihues sich seit 2001 für die Wiederherstellung der Schinkel’schen Bauakademie in Berlin als internationales Forschungsinstitut einsetzte, war er kein Verfechter jenes populistischen Neohistorismus, der sich heute gerne auf die Kritische Rekonstruktion beruft.

Aus der Reihe der westfälischen Schulbauten zwischen Rheine und Dülmen sei beispielhaft die kleine August-Vetter-Berufsschule in Bocholt herausgegriffen, deren Erneuerung und Ausbau bis 2003 ausgeführt wurde. Dem weißgetünchten Vorkriegsaltbau mit plastisch dominierendem Rundturm setzte Kleihues, einen dreiseitig umschlossenen Hof bildend, eine dunkel verklinkerte, flächige Wand vor dem Neubau entgegen, der dichten Reihung der Fenster im Altbau am Neubau lediglich zwei Glastüren und die große Glasfläche, die Einblick – und Durchblick – in und durch das Treppenhaus gewährt. Solche Planung nimmt den Altbestand in seiner Eigenart ernst und stärkt ihn, bereichert den öffentlichen, aber geschützten Raum und setzt das Neue so, dass durch sich wandelnde Blickbezüge die Gesetzmäßigkeit des Ganzen sich erschließt.  

Kritische Analyse 

Übersetzt in die Sprache der Bildkunst, für die Kleihues ein waches Auge hatte, machen erst Komplementärkontraste eine höhere Harmonie möglich. Dieses Prinzip, das auch vom Betrachter die kritische Analyse einfordert, ist stärker verklausuliert im öffentlichen Bereich des Klosters Gevern virulent, für das Kleihues von 1979 - 87 tätig war, und das 2004 sein hundertjähriges Bestehen feierte. Die Torpfosten der Auffahrt zum Kloster bilden die Kleihues’schen „drei Geometrien“ Kreis, Sechseck und Quadrat in Gestalt von sechs Sandsteinstelen, verweisend auf die nach seiner Auffassung allgültigen Gesetze menschlichen Formens.  


Literatur: Andreas Mesecke und Thorsten Scheer (hg.): Josef Paul Kleihues. Basel Berlin Boston 1996 Paul Kahlfeldt u.a. (Hg.): Josef Paul Kleihues. Stadt Bau Kunst. Ausst.Kat. Berlin 2003Frank R. Werner: Gymnasium Dionysianum Rheine. Josef Paul Kleihues. Steinfurt 2002       

Dr. Gudrun Escher arbeitet als freie Architekturjournalistin in Mülheim/Ruhr.

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