Opernhäuser in NRW
Schmuckstücke und Sorgenkinder: In vielen Städten Nordrhein-Westfalens wird über Sanierung oder Neubau von Opernhäusern diskutiert.
Sind Opernhäuser heute purer Luxus, kommunale Prestigeprojekte, die angesichts geringer Nachfrage nach Hochkultur und drängenden aktuellen Bauaufgaben überholt sind? Fragen dieser Art stellen sich meist dann, wenn Kosten zu stemmen sind - nicht nur für den regulären, bekanntlich aufwändigen Betrieb der Gebäude, sondern auch für ihren Erhalt, ihre Modernisierung oder die Erneuerung der Bühnentechnik, an die heute hohe Anforderungen gestellt werden. Viele Opernbauten der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen sehen sich gegenwärtig genau mit diesem Fragenkomplex konfrontiert.
Blickt man ins Ausland, wo in den vergangenen Jahren überraschend viele neue Opern- und Theaterbauten entstanden sind, kann man die Frage nach dem Luxus auf den ersten Blick verneinen. Kopenhagen und Oslo, Bratislava und Ljubljana, Linz und Florenz, sie alle haben sich neue Musiktheater geleistet. In Valencia eröff nete 2005 ein Musikpalast des Architekten Santiago Calatrava, der (gemessen an der Nutzfläche) das größte Opernhaus Europas ist. Mindestens 15 neue Opernhäuser sind seit der Jahrtausendwende entstanden, die aufgrund ihrer teilweise spektakulären Architektur Besucher anziehen und sich zu neuen urbanen Mittelpunkten entwickelt haben.
Die Elbphilharmonie zählte in nur drei Jahren zehn Millionen Besucher. Allerdings: die Zahlen
sind das Ergebnis neuer inhaltlicher Konzeptionen der betroff enen Einrichtungen: Die neuen Opernhäuser öff nen sich nicht nur zu abendlichen Vorstellungszeiten dem angestammten Publikum, sondern sprechen mit ganztägiger Gastronomie, öff entlich zugänglichen Aussichtspunkten und einem breiteren Veranstaltungsprogramm auch neue Besucherschichten an. Eine Ausstellung im Foyer des Düsseldorfer Opernhauses - „Große Oper – Viel Theater“ - hat diesen Trend vor kurzem sichtbar gemacht. Es scheint, als gäbe es nach dem Museumsboom der 1990er Jahre – Stichwort „Bilbao“ - inzwischen auch auf musikalischem
Feld einen neuen Boom.
Nicht überall hat man sich jedoch für Neubauten entschieden. In Venedig, Berlin, Lyon und Heidelberg wurde in Form von Sanierungen, von Anbauten und Erweiterungen mit dem historischen Bestand gearbeitet. Auf diesem Feld steckt der Teufel bekanntlich im Detail. Die Diskussion in NRW ist derzeit in vollem Gange, besonders am Rhein, wo die Opernhäuser von Köln und Düsseldorf mitten in bzw. eventuell vor aufwändigen Sanierungen stehen.
Langwierige Sanierung in Köln
Seit 2012 wird das 1957 von Wilhelm Riphahn errichtete, heute vier Bühnen umfassende Theaterensemble am Kölner Offenbachplatz saniert. HPP Architekten erhielten 2010 nach VOF-Verfahren hierfür den Auftrag. In einer Arbeitsgemeinschaft entwickeln sie zusammen mit Spezialisten für Bühnentechnik und Denkmalschutz eine hochkomplexe Aufgabe weiter, die neben der Sanierung auch die Neufassung der Terrassen, den Bau einer kleinen Halle für 200 Personen und – als Unikum in Europa - eine eigene Kinderoper umfasst. Die Kosten von ursprünglich ca. 250 Millionen Euro stiegen im Lauf der Jahre auf derzeit veranschlagte 570 Mio. €; die Bauzeiten verlängerten sich in Größenordnungen, die vom Berlin Flughafen bekannt sind. Die Gründe hierfür
sind vielfältig. Remigiusz Otrzonsek, Gesellschafter bei HPP und in Köln für das Projekt verantwortlich, sieht das Problem vor allem „unter der Erde“; wo die Sanierung der Haustechnik mit sieben Gewerken inzwischen auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Bauherrn und einem Ingenieurbüro geführt hat. „Eine Sanierung eines hochkomplexen und feingliedrigen Gebäudekomplexes, wie es die Kölner Bühnen darstellen, die zur Entstehungszeit in den 1950er Jahren nach ganz anderen Kriterien entwickelt wurden, d. h. alles entsprechend den heutigen DIN-Normen auf den heutigen Stand zu bringen, das ist schon die Königsdisziplin des Bauens mit dem Bestand“. Derzeitiger Termin für die Schlüsselübergabe ist das 2. Quartal 2023.
Diskussion um Neubau oder Modernisierung
In Düsseldorf soll die Frage „Sanierung oder Neubau?“ - und wenn letzteres, an welchem Standort - ab diesem Herbst entschieden werden. Was soll mit dem 1956 vom damaligen Hochbauamtsleiter der Stadt, Julius Schulte-Frohlinde, in einem teilweise noch monumentalistischen Stil entworfenen, zum Teil unter Denkmalschutz stehenden Bestandsbau geschehen, dessen noch ins 19. Jahrhundert zurückreichende Gebäudestruktur Erneuerungen erschwert? Die Geschäftsführerin der Oper, Alexandra Stampler-Brown, nennt eine ganze Serie von aktuellen Problemen: Da sei der grundlegende Platzmangel des Hauses, der den Repertoire-Spielbetrieb stark einschränke. Ersatzteile und Updates für die veraltete Bühnentechnik seien nicht mehr erhältlich, weshalb es zu Havarien bei Proben und Vorstellungen kommt, die zu Unterbrechungen und Absagen führten. Zudem entsprächen Arbeitsplätze der Mitarbeitenden im Opernhaus nicht mehr den aktuellen Standards.
Nachdem bereits vor rund zehn Jahren eine Sanierung erfolgte, sind weitere Maßnahmen in der nächsten Zeit unerlässlich, die auf 86 Mio. Euro geschätzt werden. So scheinen die Weichen derzeit eher für einen Neubau gestellt. Wo, wird angeregt diskutiert, nachdem mehrere Architekturbüros vor Ort mit Entwürfen für unterschiedliche Standorte, darunter auch unmittelbar am Rhein, an die Öffentlichkeit gegangen sind. Sie reagieren damit auch auf eine Entwicklung, auf die kürzlich Jörn Walter, Oberbaudirektor der Freien und Hansestadt Hamburg a.D., hingewiesen hat: Große Projekte beginnen manchmal mit einem überzeugenden Bild, das Bürger wie Stadt fasziniert. Im Fall der Elbphilharmonie habe jedenfalls die Überzeugungskraft der Visualisierung einer Idee von Herzog & de Meuron alle Zweifel aufgewogen.
Opern-Vielfalt in Nordrhein-Westfalen
Tatsächlich sind Köln und Düsseldorfer bei der Sanierung ihrer Theater Spätzünder. Das Gros der heute 15 Musiktheater in NRW, deren Gebäudebestand zum großen Teil aus den 1950er und frühen -60er Jahren stammt (Ausnahmen sind die im klassizistischen bzw. Jugendstil teils erhaltenen, teils wieder aufgebauten Häuser in Aachen, Duisburg, Detmold und Bielefeld), wurde in den letzten Jahren oder Jahrzehnten saniert. Dass man hier nach oft langen Diskussionen diesen Weg gegangen ist, hat sich als richtig erwiesen. Denn gerade auf dem Feld der Musik- und Theaterbauten bietet Nordrhein-Westfalen ein eindrucksvolles Bild der Architektur der Nachkriegsmoderne. Allen voran steht das von Werner Ruhnau entworfene Musiktheater im Revier, das vor 60 Jahren, im Sommer 1959, eröffnet wurde.
Exemplarisch demonstriert dieses Haus die kulturpolitische Haltung, sich mit einer breiten, verglasten Halle in transparenter Großzügigkeit der Stadt und Gesellschaft gegenüber zu öffnen, wobei die blauen Reliefs von
Yves Klein den modernen Aufbruchsgeist grandios unterstützen. Auch bei dem ersten nach dem Krieg neu errichteten Theaterbau in Deutschland, dem von Harald Deilmann, Max von Hausen, Ortwin Rave und Werner Ruhnau entworfenen Stadttheater Münster (1952-1956), entschied man sich gegen den traditionellen Repräsentationsstil und ging mit gestaffelten Funktionen und einem elliptischen Bühnenturm architektonisch
neue Wege. Eine Architekturikone stellt auch der Entwurf von Alvar Aalto für das Essener Theater dar (1959), das Deilmann erst in den 1980er Jahren realisierte. Mit seinen geschwungenen Formen, seiner szenisch entwickelten Raumfolge im Inneren und seiner zwanglosen Einbettung in den naturhaften Rahmen bietet es sich nicht nur als seltenes Exemplar des organischen Architekturstils sondern demonstriert generell einen ausgeprägten n ästhetischen Willen, der für den kulturellen Aufbruch der 1950er und frühen 1960er Jahren charakteristisch ist.
Zukunftsweisende Entwürfe am Scheideweg
Zeitlich gesehen folgten das heute mit Mönchengladbach in einer Gemeinschaft betriebene Stadttheater von Krefeld (Gerhard Graubner, 1963), das Theater in Bonn (Klaus Gessler, Wilfried Beck-Erlang, 1962-1965) und schließlich das Opernhaus in Dortmund mit einer kühnen, 17m hohen Betonschale, die den Zuschauersaal elegant überspannt (Architekten: Josef Clemens, Edgar Frasch, Heinrich Rosskotten, Edgar Tritthart, 1959-1965). Sie allen unterstreichen eine durch die Architektur unterstrichene kulturelle Ambition des Kulturlandes NRW, die im Museumsbereich erst später aufgenommen wurde. Sanierung oder Neubau - dies war und ist auch bei den anstehenden Fällen meist die Gretchenfrage. Wie sie in Düsseldorf entschieden wird, ist off en. Vielleicht leistet man sich in der Landeshauptstadt ja sogar beides, die Sanierung ihres liebgewonnenen Hauses und einen Neubau am Rhein.
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