Säkulare Konzepte für die Häuser Gottes?

Säkulare Konzepte für die Häuser Gottes?

„Bei den Entscheidungen über die künftige Nutzung von Kirchen, die das Bistum nicht länger halten kann, hat die architektonische Qualität der Bauwerke bislang keine große Rolle gespielt.“ Diese Aussage von Dr. Her-bert Fendrich, Theologe und Kunsthistoriker in Diensten des Ruhrbistums Essen, kann als Weckruf an die Architekten und Stadtplaner in Nordrhein-Westfalen verstanden werden. Fendrich referierte in der „7. Nacht der Archi-tektur“ am 3. September 2005 im Lehmbruck-Museum in Duisburg. Der Diskussionsabend des BDA Rechter Niederrhein zum Thema „Kirche als Immobilie“ fokussierte ein virulen-tes Problem, das Architektur und Städtebau vor enorme Herausforderungen stellt: Allein das Ruhrbistum sieht sich gezwungen, in den kommenden Jahren rund 120 Gotteshäuser zur Disposition zu stellen.

16. Dezember 2005von Christof Rose

Das Thema „Kirche als Immobilie“ klingt schlicht, birgt aber städtebaulichen Sprengstoff. Der Rückgang der aktiven Kirchenmitglieder und damit der Kirchensteuerzahler stellt die deutschen Bistümer beider Konfessionen seit vielen Jahren vor massive finanzielle Probleme. Bischof Felix Genn postulierte Mitte 2005 in Essen, dass im Ruhrbistum „jetzt notwendig ist, was getan werden muss“. Gemeint war, dass die Gemeinden und die zugehörige Kirchenverwaltung im Ruhrbistum rund 70 Mio. € einsparen müsse. Bis zum Jahr 2009 sollen deshalb die heute 263 Gemeinden zu 35 Pfarreien zusammengefasst werden, die jeweils aus einer Pfarreikirche und einigen Filialkirchen bestehen werden. Rund 120 Kirchenbauten (und ebenso viele der heute rund 375 Kindergärten im Bistum) werden im Zuge dieser Strukturreform überflüssig.

Die Sparzwänge für die Kirche im Ruhrgebiet sind kein Einzelfall. Auch in den ländlicheren Regionen Nordrhein-Westfalens muss die katholische Kirche sich in naher Zukunft von Gotteshäusern trennen, deren Gemeindegrößen keinen weiteren Erhalt der Bauwerke in Kirchenbesitz mehr rechtfertigen. Das Bistum Münster etwa taxiert die Zahl der disponiblen Sakralbauten auf etwa 100, im Bistum Aachen ist die Zukunft rund eines Viertels der rund 940 Sakralbauten derzeit ungeklärt.

„Das Problem ist seit vielen Jahren bekannt - wir haben es aber in der frommen Hoffnung auf Besserung zu lange ignorieren wollen“, gestand Kirchenexperte Fendrich in der Duisburger Architekturnacht ein.  

Bedroht: Bauten der Nachkriegszeit

Die Kirche ist dabei ein treffendes Abbild der Gesellschaft: Von Verfall oder Abriss bedroht sind insbesondere Bauwerke der Nachkriegszeit, die in der öffentlichen Meinung wenig Wertschätzung erfahren. Die Zahlen sind eindeutig: Von den geschätzten 120 Kirchen, die das Bistum Essen nicht länger unterhalten kann, wurden lediglich neun vor 1918 errichtet; 13 Kirchen datieren aus den Jahren 1918 - 35, etwa 25 aus den Jahren 1945 - 56. Die Hälfte der aufzugebenden Bauwerke stammt also aus der Zeit nach Gründung des Ruhrbistums Essen. Für den Kirchenhistoriker Fendrich ein schmerzhafter Prozess: „Das Bistum Essen verliert mit diesen Kirchen auch ein Stück eigener Geschichte.“ 

Verzichtbare Moderne?

„Die Kirchen der 50er, 60er und 70er Jahre haben keine Lobby“, konstatiert Matthias Ludwig vom Institut für Kirchenbau in Marburg. Bundesweit falle die Entscheidung zum Verzicht auf einzelne Gotteshäuser im Zweifelsfall für historische Bauten und gegen Kirchen der jüngeren Vergangenheit aus. „Die Gemeinden entscheiden, und dort fehlt in der Regel natürlich der architektonische Sachverstand.“

Auch in der zweiten großen christlichen Religion stellt sich das Bild nicht grundlegend anders dar: Die evangelische Kirche im Rheinland verzeichnet in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg der Anträge von Gemeinden, die ihre Kirche oder Teile ihres Gebäudebestandes umnutzen oder verkaufen wollen. 40 Predigtstätten waren in den vergangenen 20 Jahren davon betroffen; in Westfalen wurden 30 der 900 evangelischen Gotteshäuser aufgegeben.

Die zentrale Frage, die sich überall in der Republik stellt, ist die nach der künftigen Nutzung der Gotteshäuser. Dr. Claudia Euskirchen, die Leiterin der Unteren Denkmalbehörde in Duisburg, verweist ironisch auf Beispiele aus England. „Dort hat man Kirchenbauten in Restaurants, Basketballplätze und Schwimmbäder umgebaut.“ In Bielefeld wurde in der früheren Martini-Kirche das Restaurant „Glückundseligkeit“ eröffnet. Eine Nutzung, die Architekten und Stadtplanern ebenso Unbehagen bereitet wie Kirchenhistorikern.Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, warnte auf dem Kirchbautag in Stuttgart am 30. September 2005 eindringlich vor den symbolischen Konnotationen, die mit der Umnutzung von Kirchen immer verbunden seien: „Schon eine geringe Zahl von Kirchen, die als Diskotheken, Einkaufszentren oder Fischrestaurants genutzt werden, gefährdet den Symbolgehalt auch anderer Kirchengebäude.“ Auch die Nachnutzung von nichtchristlichen Religionen sei unverträglich mit dem Symbolwert einer Kirche, betonte Huber. 

 Ein Supermarkt als Herz der Stadt?

Welche Folgenutzung ist für Kirchenbauten aus spiritueller und stadtplanerischer Sicht angemessen - und wirtschaftlich darstellbar? Diese Frage führt ins Zentrum der aktuell an vielen Stellen der Bundesrepublik geführten Diskussionen um die Zukunft von Gotteshäusern. Anders als sonst in Fragen der Architektur hilft der Blick über die Grenzen wenig weiter. Engländer und auch die Niederländer empfinden es offenbar als unproblematisch, Sakralbauten säkularen Nutzungen zu überantworten. In Hoorn am Ijsselmeer findet man in der zentralen Stadtkirche seit einigen Jahren einen Supermarkt für Babybedarf; Kinderwagen und Sanitärbedarf für die Kleinsten unter gotischem Kirchengewölbe.

„Kirchen sind nun einmal keine Bauwerke wie Wohnhäuser, Büros oder Gewerbeimmobilien“, meint dagegen der Historiker Matthias Ludwig. Und auch Antje Hieronimus vom Landeskirchenamt in Düsseldorf verweist auf die Symbolkraft der Kirchen, die nicht beschädigt werden dürfe: „Im Zweifelsfall gilt: Abriss vor Missbrauch“. Ein Sonnenstudio oder ein Supermarkt dürfe niemals in eine Kirche einziehen.

Prof. Christoph Brockhaus, Direktor des Lehmbruck-Museums und Mitglied im Kuratorium der Landesinitiative StadtBauKultur NRW, verwies in der Diskussion in Duisburg auf das Vorbild der Internationalen Bauausstellung Emscher Park: „Hätte die IBA nicht mit großem - auch finanziellem - Engagement die Bauten der Industriekultur konserviert und qualitativ adäquaten Nutzungen zugeführt, hätten wir heute keine gebaute Erinnerung mehr an Kohle und Stahl im Ruhrgebiet.“ Die Analogie zu Sakralbauten liege auf der Hand. Der Kirchenhistoriker Dr. Herbert Fendrich hebt darüber hinaus den stadtbild-prägenden Charakter kirchlicher Bauwerke hervor: „Für die katholische Kirche hat eine angemessene Folgenutzung immer Priorität.“ Die beste Option für die künftige Verwendung sakraler Bauten sei eine kirchennahe Bewirtschaftung. Wünschenswert seien Eigennutzungen des jeweiligen Bistums durch Kindergärten, Pfarrheime, Hospize oder kirchliche Institutionen wie der Caritas. Auch eine kulturelle Übernahme, etwa für Konzerte, Bürgerforen oder öffentliche Begegnungsstätten, seien aus Sicht der Kirchen denkbar.  

Hindernis: Baurecht

Eine Einschätzung, die auch Architekten und Stadtplaner unabhängig spiritueller Erwägungen teilen können. Problematisch wird es, sobald die konkrete Umsetzung angegangen wird. Denn das Baurecht räumt den Kirchen traditionell eine Sonderstellung ein: Auflagen zum Brandschutz, zu vorzuhaltenden Parkplätzen und zum Immissionsschutz gelten für sakrale Bauwerke nicht. Überwiegt dagegen die profane Nutzung eines Gotteshauses - selbst wenn das Bauwerk weiterhin hin und wieder zum Gottesdienst genutzt wird - greifen die Vorschriften der Landesbauordnung und des Baunebenrechtes.

Architektin Frauke Hoppe aus Wuppertal konnte in der „Nacht der Architektur“ in Duisburg dazu von ihren praktischen Erfahrungen bei der geplanten Umnutzung diverser Kirchenbauten berichten. „Die Umnutzung einer Kirche bedingt eine Änderung des Bebauungsplans“, erläuterte Hoppe. Am Beispiel der Pauluskirche in Wuppertal stellte die Architektin dar, wie die geplante Umnutzung des Gotteshauses zu einem Kulturzentrum scheiterte, weil die verlangte Anzahl von Stellplätzen nicht nachgewiesen werden konnte.  

Leitbild „Europäische Stadt“?

Die Diskussion um die zukünftige Nutzung von Sakralbauten rührt an das Verständnis der grundsätzlichen Struktur von Stadt. Das vielfach beschworene Leitbild von der „Europäischen Stadt“ beinhaltet im Zentrum vielfach die Kirche mit ihren ergänzenden Bauwerken und Plätzen. - Finden sich Alternativen, die weiterhin die kommunale Gemeinschaft ins Zentrum rücken, ohne kommerzielle Erwägungen an die erste Stelle zu rücken?

Die Diskussion ist eben erst entbrannt - mit zeitlicher Verzögerung, wie Dr. Herbert Fendrich vom Bistum Essen in der „Duisburger Nacht der Architektur“ einräumen musste: „Es gibt immer wieder den Ansatz, die eucharistische Nutzung in den Vordergrund zu rücken, dann werde alles gut. Das Problem ist nur: Das hören wir seit über 30 Jahren. Das ist kein realistisches Konzept für die Zukunft!“

 

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