Architektinnen und Architekten aus NRW reisten zur EXPO 2010 nach Shanghai

Shanghai: Stadt der Ungleichzeitigkeit

492 Meter - höher kann man nicht hinaus in ganz Asien. Der Turm des Shanghai World Finance Centers, „SWFC Observatory“ genannt, ist ein unübertroffener Superlativ. Das liegt nicht nur an der markanten Erscheinung des Bauwerks, dessen trapezförmige Öffnung kurz vor der rechteckigen Spitze dem Turm den Beinamen „Flaschenöffner“ gegeben hat. Die Architekten Kohn Peterson Fox (KPF) aus den USA haben auch im Inneren ein elegant, manchmal geheimnisvoll wirkendes Bauwerk geschaffen - zumindest was den Bereich für die zahllosen Besucher betrifft.

23. Juni 2010von Christof Rose

Unter diese mischten sich im Juni auch 32 Architektinnen und Architekten aus Nordrhein-Westfalen - Teilnehmer einer der Architektenexkursionen, die der Bad Honnefer Reiseveranstalter RDB in diesem Jahr anlässlich der EXPO 2010 speziell für Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner anbietet. Da die Architektenkammer beratend an der inhaltlichen Ausgestaltung des Fachprogramms mitgewirkt hat, nutzen viele Mitglieder der AKNW das Reiseangebot: über 700 NRW-Architekten werden bis zum Ende der EXPO im Oktober 2010 nach Shanghai fliegen.Die Architektengruppen lernen vor Ort eine Welt im raschen Wandel kennen. Dabei beeindruckte Shanghai insgesamt, mit seiner Größe (rund 20 Mio. Einwohner), mit seiner Architektur und vor allem in seiner enormen städtebaulichen Wandlungsfähigkeit. Die Mega-City erstreckt sich an der Küste des ostchinesischen Meeres über eine Fläche von 100 x 120 Kilometern.

Tradition trifft Moderne

Die NRW-Reisegruppe erkundete die gewachsene Altstadt mit ihren einfachsten Wohnhäusern entlang enger Gassen, wo sich mehrere Familien sanitäre Anlagen teilen, die in die Gassen eingebaut sind, in gleicher Weise wie den noch jungen Stadtteil Pudong auf der östlichen Seite des Huangpu-Flusses, wo innerhalb weniger Jahre mehrere Dutzend markante Hochhäuser errichtet wurden - die heutige Skyline von Shanghai. Insgesamt fiel den NRW-Architekten die extreme Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen auf, mit denen man ständig konfrontiert wird: Reichtum neben großer Armut, Modernität neben früheren Entwicklungsständen, westlich anmutender Lifestyle neben chinesischer Tradition.

Entlang der Promenadenstraße, dem „Bund“, schmückt sich Shanghai mit einer nicht enden wollenden Perlenkette architektonischer Highlights und Prachtbauten. Hier stehen sanierte Bauten aus der Kolonialzeit neben modernen Hochhäusern, die oft mit einer Multi-Media-Fassade zusätzlich auf sich aufmerksam machen. Und auch wenn manch‘ auffallendes Bauwerk bekannten Bauten zum Verwechseln ähnlich sieht, ergibt sich insgesamt eine einzigartige Stadtsilhouette. 

Doch die Reisegruppe der Architektenkammer NRW sammelte auch gegenteilige Impressionen: Der chinesische Reiseleiter führte die Deutsche Gruppe vor ihrem EXPO-Besuch durch den Yu Garden, der im historischen Teil der Stadt liegt. Dieser wurde ab 1559 von einem Minister als Ruhesitz angelegt und später immer wieder um Bauwerke ergänzt. So wechseln sich heute Aussichtstürme und Opernpavillons ab mit verspielten Wasserflächen und kleinen Brücken. Viele figürliche Darstellungen von Drachen, Löwen, Fröschen und Rehen verweisen auf die historische Bildsprache der Chinesen, die von kaiserlicher Macht, irdischer Gewalt, menschlichem Bemühen und dem Wunsch nach individuellem Wohlstand erzählt. EXPO der Superlative

Dann der Besuch der Weltausstellung: Die Größte, die Zuschauerstärkste, die Schönste - mit Superlativen sparen die Chinesen nicht, wenn sie über die EXPO 2010 sprechen. Sie ist für China ein nationales Projekt, das vor allem die Bewohner Shanghais mit großem Stolz erfüllt. Städtebaulich gesehen wohl zu Recht, denn das Gelände erstreckt sich in innenstadtnaher Lage entlang des Huangpu-Flusses auf einer Fläche von 5 km Länge und 3 km Breite. Natürlich war es vorher nicht völlig ungenutzt: Ein Stahlwerk wurde verlegt, aber auch 30.000 Einwohner mussten ihre Häuser räumen. Doch der Zuwachs an Fläche ist für Shanghai zweifellos ein städtebaulicher Gewinn. Zwar bleiben von den 403 Expo-Pavillons lediglich fünf erhalten. Aber die Schaffung neuen Baulandes und (möglicherweise) von Freiflächen lässt die Shanghaier auf einen Sprung in der städtebaulichen Qualität ihrer Metropole hoffen.

Bericht aus der Berufspraxis

Über die Arbeit als Architekt vor Ort und auf der EXPO informierte die NRW-Architekten Ansgar Halbfas (38). Der gebürtige Sauerländer arbeitet seit mehreren Jahren in Shanghai und wurde von Milla & Partner (mit Schmidhuber + Kaindl Architekten des Deutschen Pavillons) als verantwortlicher Kontaktarchitekt mit der Leitung des Projektes in Shanghai betraut. „Eine tolle, aber keine leichte Aufgabe, weil man in China ständig damit beschäftigt ist, die ausführenden Kräfte an die Aufgabe und an unsere Erwartungen an Ausführungsqualität heranzuführen“, erzählte Halbfas. „Gerade bei den vielen Wanderarbeitern, die vom Land in die Großstadt kommen, ist nicht zuletzt viel Erziehungsarbeit notwendig, um das Vorhaben gut und pünktlich umzusetzen.“Die Weltausstellung ist in fünf Zonen aufgeteilt. Dabei ist das Expo-Gelände so großzügig angelegt, dass selbst die 400.000 Menschen, die während des Besuches aus NRW allein am ersten Vormittag gezählt wurden, genug Raum zum Flanieren hatten. Ganz anders stellte sich die Lage vor dem deutschen Pavillon dar. „balancity“, so der Name des deutschen Auftritts - ein Verweis darauf, dass die Deutschen als eine von wenigen Nationen das EXPO-Motto ernst genommen haben. „Better city, better life“, so prangt das Expo-Leitmotiv überall in Shanghai an Hauswänden, Kreuzungen und Straßenlaternen. Wobei die Chinesen hierunter nicht das Thema „Nachhaltigkeit“ fassen, sondern eher übersetzen „Das Leben ist besser in der Stadt“. Der deutsche Pavillon greift das Motto mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Spielerei auf. Die Besucher besichtigen Themenfelder, die Aspekte des städtischen Lebens und der Entwicklung von Stadt anschaulich darstellen. Ein anspruchsvolles Konzept, das am Ende des Rundgangs in der „Kraftzentrale“ mit einem interaktiven Spektakel endet, das bei den chinesischen Besuchern Begeisterung auslöst.Am Ende des für die Reisegruppe aus NRW zweiten EXPO-Tages lud die Architektenkammer NRW zu einer Podiums-Diskussion über „Lehren aus der EXPO“ ins Goethe-Institut Shanghai ein. Unter Leitung von AKNW-Vorstandsmitglied Prof. Rolf Westerheide diskutierten Wilfried Eckstein (Leiter des Goethe-Institutes Shanghai), Li Hong (Chinesischer Architekt und Stadtplaner) und viele der Reiseteilnehmer darüber, welche Effekte die Expo haben könnte und welche Lehren deutsche Architekten und Stadtplaner aus der Weltausstellung in Shanghai ableiten können.  

Positiv bewertet wurde allgemein das Konzept, die Stadt nach innen zu entwickeln und die Möglichkeit zur Umwidmung von Flächen für höherwertige Nutzungen konsequent anzugehen. Deutsche Architekten, die in China arbeiten, lobten die Tatkraft und Risikofreude, mit der ihre asiatischen Kolleginnen und Kollegen sich solcher Aufgaben annähmen. Zugleich wurden allerdings die mangelnde Einbindung der Bürger und die Umsiedlungsmaßnahmen kritisch hinterfragt.  

Die Debatte kreiste auch intensiv um die Frage, inwieweit das Konzept einer Weltausstellung sich überholt habe. AKNW-Vorstandsmitglied Heinrich Pfeffer fasste dabei den konzeptionellen Wandel der EXPO seit der Weltausstellung 2000 in Hannover zusammen: „Die EXPO ist heute keine Produktschau mehr wie in der Vergangenheit, sondern ein Forum für Ideen.“Lesen Sie auch:

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