Tag der Architektur: Architektur schafft Lebensqualität
„Eigentlich wollte ich nur die Schule kennenlernen, in die meine Kinder demnächst gehen werden. Nach der Architekturführung aber sehe ich das Gebäude mit ganz anderen Augen - und freue mich, dass Leopold und Anastasia ihre Grundschulzeit in so schönen Räumen erleben werden.“ Miriam Pick aus Neuss zeigte sich begeistert von der neuen Gemeinschaftsgrundschule mit Ganztagsbetreuung im Stadtteil Allerheiligen. Mit ihren Kindern, die im kommenden Jahr eingeschult werden, nutzte sie den „Tag der Architektur“ (TdA), um den Neubau der Werkgemeinschaft Quasten-Mundt zu besichtigen. Ihr persönliches TdA-Erlebnis bestätigte das bundesweite Motto der Veranstaltung: „Architektur schafft Lebensqualität!“ Landesweit machten sich rund 35 000 Architekturfans und Bauinteressierte auf den Weg, um neue und erneuerte Architekturen hautnah zu erleben und mit Architekten ins Gespräch zu kommen.
Zu den prominentesten Bauwerken, die am „Tag der Architektur“ (TdA) in Nordrhein-Westfalen zu sehen waren, zählte die neue DITIB-Zentralmoschee in Köln. Architekt Paul Böhm führte gemeinsam mit dem Bauherrenvertreter Selim Mercan durch das neue Glaubenszentrum, das nicht allein aus dem markanten Kuppelbau, dem Gebetsraum, besteht, sondern um und unter einen öffentlichen Platz auch eine Bibliothek, einen Bazar, ein Kongresszentrum und einen Verwaltungstrakt gruppiert. „Uns war es wichtig, dass dieses Bauwerk Würde und Offenheit ausstrahlt“, erläuterte Paul Böhm in der fast zweistündigen Führung durch das Projekt. Die insgesamt rund 250 Teilnehmer, die an den Führungen teilnehmen konnten (aufgrund der begrenzten Kapazitäten und aus Sicherheitsgründen war hier ausnahmsweise ein Anmeldeverfahren notwendig), erfuhren, dass der Architekt mit dem nun in Betrieb genommenen Bauwerk sehr zufrieden ist, sich die Innengestaltung des Gebetsraumes allerdings ursprünglich anders vorgestellt hatte. „Der Bauherr hat Künstler aus der Türkei eingebunden, um unseren Gläubigen auch in einer modernen Architektur vertraute Elemente des Moscheebaus anbieten zu können“, erläuterte Selim Mercan. Als Projektleiter habe er oftmals zwischen DITIB-Vorstand, Architekten, Gemeinde, Stadt Köln und Handwerkern vermitteln müssen. Heute sei er aber stolz, das neue Glaubenszentrum am „Tag der Architektur“ so vielen Interessierten vorstellen zu können.
Bauherrenstolz und Besucherneugier
Vielen Bauherren war es am „Tag der Architektur“ ein Anliegen, ihr Bauwerk einer interessierten Öffentlichkeit kompakt und kompetent präsentieren zu lassen. Das galt für öffentliche Auftraggeber wie den Bau- und Liegenschaftsbetrieb in Aachen, der das neue Hörsaalzentrum C.A.R.L. vom schmidt hammer lassen architects (Aarhus, DK) öffnete, in gleicher Weise wie für private Bauherren. In Bonn etwa freute sich Christof Domrowe über das große Interesse an seinem Mehrfamilienhaus am Hochstadenring. Die neue, markante Eckbebebauung eines „eigentlich unbebaubaren Grundstücks“, das seit den Zeiten des Malers August Mackes brachlag, überrascht mit kubischen, verdrehten Erkern und - im Innenbereich - einem schmalen Atrium, das einen natürliche Belichtung trotz schmalen Grundstücks ermöglicht. „Wir haben mit kleinem Budget ein mutiges Wohnkonzept umsetzen können“, bekräftigte Architekt Jürgen Flohre (BFM, Köln). So blieben Flure und Decken unverputzt, auf Stellplätze konnte für die meisten Wohnungen verzichtet werden. Dafür überrascht das Haus damit, dass alle 36 Wohneinheiten individuelle Grundrisse aufweisen, sich teilweise koppeln oder als WG nutzen lassen und die Flure mit Kunstobjekten und -installationen versehen wurden. „Unsere Mieter sind überwiegend jung und urban orientiert“, stellte Bauherr Christof Domrowe fest. Ein Fahrradstellplatz sei entsprechend sinnvoller als ein Kfz-Parkplatz.
Wohntrends und Architekturideen
Wie sehen zeitgemäße Einfamilienhäuser aus? Diese Frage fasziniert viele Menschen und lockte auch in diesem Jahr zahlreiche „Tag der Architektur“-Besucher zu den entsprechenden Objekten. Mehr als 100 Gäste konnten Architektin Annika Krings und ihr Mann Uwe in ihrem neuen Bungalow im Bauhaus-Stil in ländlichen Wassenberg (Kreis Heinsberg) begrüßen. „Wir möchten gerne zeigen, wie offene Übergänge von Küche, Wohnraum und Garten gestaltet werden können, und nutzen die Veranstaltung natürlich auch, um unsere Kompetenzen als Planer vorzustellen“, fasste Annika Krings ihre Motivation zur Teilnahme zusammen. Ihr Büro Esser + Krings in Wegberg arbeitet schwerpunktmäßig im privaten Einfamilienhausbau. „Insofern konnten wir bei unserem lang ersehnten Privathaus auch vieles ausprobieren, was heute baulich und haustechnisch möglich ist.“
Was in Wassenberg auf einem 1200 m2-Grundstück umgesetzt werden konnte, musste in der Düsseldorfer Innenstadt auf einer schmalen Hinterhof-Parzelle geplant werden. Hier hatte Bauherr Boris Soyka vor einigen Jahren ein Gewerbeobjekt erworben, das früher einmal eine Schmiede und später einen Malerbetrieb beherbergt hatte. In langen Verhandlungen mit der Stadt und den Nachbarn hatte er mit Unterstützung von Innenarchitektin Undine Schöttelndreyer (SOHOarchitekten, Düsseldorf) erreichen können, dass er das Objekt für Wohnzwecke umnutzen durfte. „Wir mussten das Haus komplett entkernen und mit der Problematik umgehen, dass alle Wohnungen der Blockrandbebauung in diesen Innenhof blicken“, erläuterte Undine Schöttelndreyer die doppelte planerische Herausforderung dieses urbanen Wohnungsbauvorhabens. Zudem mussten die Bauarbeiten in Handarbeit geleistet werden, weil kein technisches Großgerät in den engen Hof passte. Das Ergebnis ist ein zweigeschossiges Einfamilienhaus mit 160 m2 Wohnfläche, das die Bauherrenfamilie in gleicher Weise begeisterte wie die weit über 100 Besucher, die es am „Tag der Architektur“ kennenlernen durften. Auch der WDR berichtete in seiner „Lokalzeit aus Düsseldorf“ über dieses ungewöhnliche Einfamilienhaus, das prototypisch für viele Bestandsarbeiten in urbanen Hinterhöfen und auf Restflächen steht.
Hausgärten und urbane Räume
Den fließenden Übergang vom Wohnraum in den Garten, von Innen und Außen, zeigten auch zahlreiche Projekte der Landschaftsarchitektur, die am TdA-Wochenende in Nordrhein-Westfalen zu sehen waren. Der „Landhausgarten mit vielen Zimmern“ von Landschaftsarchitektin Brigitte Röde (Köln) lockte zahlreiche Interessierte nach Viersen-Dülken. Hier bewies sich wie an vielen anderen Orten das bundesweite TdA-Motto „Architektur schafft Lebensqualität!“
Das zeigte sich auch im ganz Kleinen: Landschaftsarchitekt Christoph Imöhl stellte 105 Interessierten einen kleinen, aber intensiv gestalteten Vorgarten vor einem Einfamilienhaus in Bochum vor. Aber auch Parks, Freianlagen an größeren Bauwerken und Objekte der Stadtplanung fanden am „Tag der Architektur“ ihr Publikum.
Architekturfestival begeistert vor Ort
Das Interesse der Besucherinnen und Besucher verteilte sich auf ganz unterschiedliche Bauaufgaben und Objekte. So zählte der Umbau eines Hochbunkers zu Büros und Wohnungen in Siegen (architektur im modulbüro, wagener&görg, Siegen) mit mehr als 400 Interessierten zu den am stärksten frequentierten Objekten. Ähnlich populär: Die Neufassung der Christuskirche in Köln (ARGE Hollenbeck Architekten, MAIER Architekten, Köln).
„Wir stellen fest, dass den Menschen immer bewusster wird, dass ein qualitätvoll gestaltetes Wohnhaus, eine gute Arbeitsstätte und inspirierende Lern- und Erholungsorte die Lebensqualität erheblich steigern“, unterstrich der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Ernst Uhing, in seinem Fazit zum „Tag der Architektur“ in NRW. Mit rund 35 000 Besuchern sei die Veranstaltung am letzten Wochenende im Juni wieder ein echtes Architektur-Festival geworden, zumal das schöne Wetter hervorragend mitgespielt habe. Die umfangreiche und durchweg positive Medienresonanz in Tageszeitungen, Radioberichten sowie Reportagen von ZDF und WDR-Lokalzeiten unterstütze das Anliegen, Baukultur erlebbar zu machen und in eine breite interessierte Öffentlichkeit zu tragen. „Wir werden weiter auf dem Weg gehen, Menschen durch gute Beispiele vor Ort für Architektur zu begeistern“, kündigte Uhing an.
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