Tag der Architektur: „Tolle Bestandsentwicklungen erleben“
Wieviel Faszination und Begeisterung qualitätvolle Bauwerke und gut gestaltete Freiräume auslösen können, war am 29. und 30. Juni am „Tag der Architektur“ in Nordrhein-Westfalen eindrucksvoll zu erleben.
„Erstaunlich, was für ein attraktives Wohnhaus aus einem alten Siedlungsgebäude gemacht werden kann“, staunte etwa Eva Bergmann in Gelsenkirchen-Ückendorf. Als angehende Bauherrin eines ähnliches Projektes nutzte sie das Architekturfestival am letzten Juni-Wochenende, um Inspirationen an realisierten Beispielen zu sammeln. Mit 13 000 Besucherinnen und Besuchern und 153 Hochbauten sowie Objekten der Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung in 83 Städten lockte der Tda2024 in Nordrhein-Westfalen wieder einen großen Interessentenkreis an.
Unter dem bundesweiten Motto „Einfach (um)bauen“ lag der thematische Schwerpunkt des Tags der Architektur in diesem Jahr auf Projekten, für die bestehende Gebäude erhalten, saniert und weiterentwickelt wurden. Ernst Uhing, der Präsident der Architektenkammer NRW, bekräftigte die Bedeutung der direkten Kommunikation zwischen der Architektenschaft und einem breiten, interessierten Publikum: „Klimaschutz und umweltgerechtes Planen und Bauen sind die Herausforderung unserer Zeit. Darüber vor Ort, am gebauten Beispiel ins Gespräch zu kommen, ist eine große Stärke des Tags der Architektur.“
Viele der vorgestellten Bauwerke waren in diesem Jahr Umnutzungen, die eines deutlich machten: Für den Bestand müssen andere baurechtliche Regeln gelten als für den Neubau. „Es ist schon sehr anspruchsvoll, ein Wohnhaus der Jahrhundertwende unter Anwendung der heutigen Auflagen in den Bereichen Energieverbrauch und Brandschutz zu realisieren“, erklärte etwa Architekt Andreas Knapp von „küssdenfrosch“ aus Düsseldorf. Eine Mühe, die sich lohnte: Die Sanierung und Inwertsetzung des ehemaligen Verwaltungssitzes der Unionbrauerei nahe der Bilker Kirche traf bei den zahlreichen Besucher*innen auf große Bewunderung.
Motto: „Einfach (um)bauen“
„Eine tolle, für uns vorher kaum vorstellbare Entwicklung des Altbestandes“ konnte auch Bauherrin Annemarie Schroer in Erkelenz voller Stolz präsentieren. Architekt Martin Breidenbach hatte die alte Scheune, die seit Generationen in ihrem Familienbesitz war, zu Wohnungen und einem Ladenlokal umgebaut.
„Dem Bauen im und mit dem Bestand muss unbedingt mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden“, warb der Viersener Architekt. „Absolut kontraproduktiv sind in diesem Zusammenhang die baurechtlichen Vereinfachungen des Abbruchs.“ Das Beispiel des historischen Bestandes in Erkelenz zeige, wie wichtig es für das Ortsbild sei, markante Bauwerke zu erhalten und durch eine Umnutzung für die Zukunft zu sichern.
Die Bandbreite der am „Tag der Architektur“ in NRW präsentierten Objekte war sehr groß. Alle Fachrichtungen waren vertreten, vom Terrassengarten mit Spielplatz in Siegburg (Landschaftsarchitekt Clemens Esser) bis zum Siedlungsprojekt „WIR am Viadukt“ in Dortmund (post welters Architekten & Stadtplaner); von der Umgestaltung der Krypta im Hohen Dom zu Paderborn (Brückner & Brückner Architekten) bis zur Inwertsetzung eines kleinen Siedlungshauses von 1954 in Gelsenkirchen-Ückendorf.
Hier konnte Innenarchitektin Monika Lottritz anschaulich erläutern, wie aus einem vernachlässigten, über 20 Jahre leerstehenden Einfachbau der Nachkriegszeit zeitgemäßer und attraktiver Wohnraum mit hoher Gestaltqualität gewonnen werden kann. „Wir sind sehr verantwortungsvoll mit dem Altmaterial umgegangen und konnten beispielsweise Ziegel und Dachbalken erneut verwenden“, erläuterte Innenarchitektin Lottritz. Ihre Auftraggeber Sebastian Strick und Natascha Schneehain zeigten den interessierten Besucher*innen viele Details, die dazu beitragen, aus einer kleinen Grundfläche der Haushälfte maximalen Wohnkomfort zu generieren.
Ein deutlich größeres Projekt stellte Architektin Jutta Küttner in Langenfeld vor. Innerhalb von nur knapp vier Jahren konnte das Büro Rotterdam Dakowski Architekten und Ingenieure auf dem Gelände einer ehemaligen Gerätefabrik 23 moderne, hochwertige Mietwohnungen realisieren, die teilweise in den industriegeprägten Altbestand integriert wurden. „Wir zeigen gerne ein etwas ungewöhnliches Projekt und freuen uns über das enorme Interesse“, erklärte Dr. Beate Koch als Bauherrin. „Dass unsere Architekten den Altbestand so gut nutzen und mit den neuen Baukörpern verbinden konnten, ist schon eine besondere Leistung.“ Ihre Schwester Ulrike Koch zeigte sich begeistert vom Format „Tag der Architektur“, der auf sie „wie ein Architekturfestival“ wirkte. „Ich habe mir schon vorgenommen, im nächsten Jahr selber interessante Objekte aufzusuchen.“
Vielfältige Bauaufgaben im Bestand
Auf Interesse stießen beim „Tag der Architektur“ auch verschiedene Kirchen-Umnutzungs-Projekte. In Leverkusen führten Per Pink und Projektleiter Michael Henkel (zweipink Architekten) durch die ehemalige Johanneskirche, in die sie eine Kita einbauen konnten. Die zahlreichen Besucher*innen zeigten sich vor allem fasziniert von einer Luftkissenfolie, die als thermisch notwendige, aber auch ungemein ästhetisch wirkende Abtrennung des Kirchenraums vom ungedämmten Dachstuhl eingebaut wurde. „Die Architekten haben ein tolles Projekt gestaltet, das es uns erlaubt hat, die ortsbildprägende Kirche zu erhalten“, lobte Bauherrenvertreter Michael Posthaus vom Kirchenkreis Leverkusen der evangelischen Kirche im Rheinland.
Eine große Faziniation strahlte auch die ehemalige Ofenhalle im Düsseldorfer Gewerbegebiet Heerdt aus. Der Raum war von Architekt Kaspar Stöbe „umprogrammiert“, in seiner rauen Industrieanmutung aber erhalten worden. „Wir sehen unsere Teilnahme am ‚Tag der Architektur‘ als Beitrag zum Architekturdiskurs“, so Stöbe, der die Halle für sein 15-köpfiges Architekturteam selber nutzt. Es sei ihm wichtig, dass intensiv über Potenziale des Gebäudebestandes diskutiert wird - in der Fachwelt, aber auch in einer breiten Öffentlichkeit.
Zeitungen, Netzwerke, WDR
Dazu trägt insbesondere auch die umfassende Medienresonanz bei, welche die Architektenkammer NRW in den regionalen Medien sowie den Sozialen Netzwerken erzeugen konnte. Viele Tageszeitungen kündigten die Veranstaltung an und stellten Objekte und ihre Urheber im Vorfeld des Tags der Architektur vor. Auch die „Lokalzeiten“ in der „Aktuellen Stunde“ des WDR-Fernsehens berichteten in vielen der Studios.
Das ZDF strahlte in dem bundesweiten Magazin „Volle Kanne“ einen ausführlichen Bericht über den Neubau eines Einfamilienhauses in Aachen aus, den H + H Architekten Ingenieure in ökologischer Bauweise und mit nachhaltigen Materialien geplant hatten. Entwurfsverfasserin Tanja Haag konnte sich über 500 Interessierte freuen, die am Samstag und Sonntag vor dem eindrucksvollen Wohnhaus Schlange standen. „Anstrengend - aber das Mitmachen hat sich auf jeden Fall gelohnt!“
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