NRW-Architektentag: Bevölkerungsrückgang erzwingt einschneidenden Rückbau
Deutschland schrumpft, die Bundesrepublik verliert bis zum Jahr 2020 etwa 600.000 Bürger Jahr für Jahr. „Politiker und Stadtplaner müssen jetzt dringend gemeinsam Konzepte für den Umbau unserer Städte entwickeln“, forderte der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Hartmut Miksch, auf dem „NRW-Architektentag“ in Düsseldorf
Deutschland schrumpft, die Bundesrepublik verliert bis zum Jahr 2020 etwa 600.000 Bürger Jahr für Jahr. „Politiker und Stadtplaner müssen jetzt dringend gemeinsam Konzepte für den Umbau unserer Städte entwickeln“, forderte der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Hartmut Miksch, gestern (07.07.04) auf dem „NRW-Architektentag“ in Düsseldorf. Das Problem der rückläufigen Einwohnerzahlen werde die meisten Städte und Gemeinden in Deutschland betreffen und schon in absehbarer Zeit in bestimmten Stadtvierteln zu Leerständen führen. „Wenn hier nicht rechtzeitig gehandelt wird, droht Verfall und Verslummung ganzer Quartiere“, warnte Miksch.
„Die Deutschen werden weniger, älter und bunter.“ Mit dieser Aussage fasste Prof. Paul Klemmer, Präsident des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, im Rahmen des Architektentags die Ergebnisse einer umfassenden Analyse von Kennzahlen und Prognosedaten zusammen. Schon heute gebe es in 90 Prozent der Städte einen Sterbeüberschuss, so dass die Bevölkerung - ohne Zuwanderer - schrumpfen werde. „Wir müssen uns auf Alterung und Schrumpfung einstellen, das ist eine unbestreitbare Tatsache“, mahnte Klemmer. Besonders betroffen seien in NRW die Städte Hagen (- 16 %), Wuppertal (- 14 %) und Gelsenkirchen (- 13 %); aber auch der ländliche Raum (Altena, Randgebiete in Ostwestfalen).
Der NRW-Architektentag der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen stand unter dem Motto „Kommunen vor der Wahl: Zur Zukunft der Stadt“. Thematisiert wurde vor allem der notwendige Umbau bzw. Rückbau der Städte angesichts der Bevölkerungsentwicklung. „Das Thema wird von der Politik und auch in der Fachwelt noch zu wenig diskutiert“, stellte Kammerpräsident Hartmut Miksch fest. „Wir müssen aufpassen, dass hier nicht derselbe Fehler gemacht wird wie bei der Rente. Es muss heute gehandelt werden, damit unsere Städte morgen noch funktionstüchtig sind!“ Miksch stellte in einem Zehn-Punkte-Katalog Strategien und Ansätze der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen vor, mit deren Hilfe der Schrumpfungsprozess als Chance für eine Erneuerung der Städte genutzt werden kann. „Der Stadtumbau bietet die Möglichkeit, Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren und unsere Städte lebenswerter und attraktiver zu machen“, betonte Miksch.
Die Architektenkammer schlägt dazu unter anderem vor, verstärkt innerstädtisches Bauland auszuweisen und dessen Preise zu senken, die interkommunale Zusammenarbeit im Bereich der Raumentwicklungsziele zu intensivieren, gezielt attraktive Wohnangebote für verschiedene Bevölkerungsschichten im Kernbereich der Städte anzubieten und dafür das Leistungspotenzial der nordrhein-westfälischen Architekten und Stadtplaner zu nutzen.
„Weniger kann auch mehr sein“, pflichtete Nordrhein-Westfalens stellvertretender Ministerpräsident und NRW-Städtebauminister Dr. Michael Vesper den Aussagen von Hartmut Miksch bei. Der „Stadtumbau West“ müsse mit einer positiven Strategie gestaltet werden. Das Land NRW habe bereits mit Modellprojekten in Gelsenkirchen, Oer-Erkenschwick und Essen erste Erfahrungen mit dieser Herausforderung sammeln können, weitere Modellvorhaben sollen in diesem Jahr gestartet werden. „Wir müssen den Mut haben, das Kind beim Namen zu nennen“, forderte Vesper. Rückgang hieße nicht Rückschritt, sondern schaffe Raum für Qualität.
Beispiele dafür lieferten weitere Referenten auf dem NRW-Architektentag:
Prof. Arno S. Schmid wies in seinem Vortrag auf den Mangel an Grünflächen und Erholungsräumen in vielen Städten hin. „Urbanes Bauen heißt nicht zwingend nur mit Stein und Stahl zu bauen“, so der Landschaftsarchitekt aus Leonberg. Der notwendige Rückbau der Städte könne Platz schaffen für Freiräume und Parks, Wasserflächen und Erholungsanlagen.
Der Stadtplaner Prof. Franz Pesch aus Herdecke betonte, dass durch das Freiwerden bislang genutzter städtischer Flächen neue Erlebnisräume entstehen könnten - vom Baden am Kanal bis zum Kulturhappening auf dem Gelände eines früheren Stahlwerks. Pesch wies vor allem darauf hin, dass die Bürgerinnen und Bürger in den Prozess des Stadtumbaus einbezogen werden müssten.
Neue Formen des innerstädtischen Wohnens präsentierte Dr. Gerd Kuhn, Soziologe aus Stuttgart. Er diagnostizierte schon jetzt einen Trend zurück in die Stadt. „Das Wohnen in Suburbia ist rückläufig, die Menschen wollen in einer funktionierenden Infrastruktur leben.“
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