Einzigartige Fassadengestaltung oder handwerkliches Können?

Architektin A wendet sich mit folgender Frage an die Kammer: „Vor einigen Jahren habe ich bei einem Projekt eine bestimmte Fassadengestaltung entwickelt und dabei plastisch vertikale Fensterelemente (Lisenen) eingesetzt. Ich habe ein rationalistisches Raster entwickelt, das mit einem plastisch vor der Fassade stehenden Raster kombiniert worden ist und dreidimensional wirkt. Dabei habe ich mich an den Kubismus angelehnt. Meine Gestaltung ist in der Presse mehrfach erwähnt und auch prämiert worden. Nun stelle ich fest, dass ein anderer Architekt B ein Gebäude unter Verwendung einer ähnlichen Fassadengestaltung gestaltet hat und dabei alle wesentlichen Merkmale meiner bereits vor vielen Jahren originär entwickelten Gestaltungsart aufgegriffen hat. Ich bin der Meinung, dass meine Fassadengestaltung einzigartig ist und mir daher das Urheberrecht hieran zusteht. Habe ich Recht?“

07. Juli 2025

Es ist richtig, dass gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Urheberrechtsgesetz (UrhG) Bauten jeder Art, insbesondere auch Teile von Bauwerken, wie etwa Fassaden, urheberrechtlich schützenswert sein können. Allerdings muss es sich für die Einstufung als „Werk“ gem. § 2 Abs. 2 UrhG um eine persönliche geistige schöpferische Leistung handeln, die eine notwendige Individualität dahingehend erfordert, dass sich das Werk nicht nur als Ergebnis rein handwerklichen oder routinemäßigen Schaffens darstellt, sondern aus der Masse alltäglichen Bauschaffens herausragt (vgl. BGH, Urteil vom 19.03.2008, I ZR 166/05).    

Von einer eigenen geistigen Schöpfung kann bei der von Ihnen entwickelten Fassadengestaltung in Anlehnung einer vergleichbaren Entscheidung des OLG Köln (Urteil vom 29.11.2024, 6 U 43/24) jedoch nicht gesprochen werden, wenn Sie bestimmte Elemente verwenden, die bereits in der bauwerklichen Geschichte stilgebend waren; hier gehen die Elemente auf den Prager Kubismus zurück, an den Sie sich angelehnt haben. Eine Fassadengestaltung genießt aber keinen Werkschutz, wenn alle wesentlichen Elemente einem vorbekannten Formenschatz entspringen und deren Gestaltung nicht zu einem neuen Werk im urheberrechtlichen Sinne führt (vgl. OLG Köln, Urteil vom 29.11.2024, 6 U 43/24). Nach Ansicht des OLG Köln kann grundsätzlich. auch eine Neugestaltung unter Verwendung bekannter Formelemente eine eigene schöpferische Leistung darstellen. Dies jedoch nur dann, wenn das geschaffene Werk einen bestimmten individuell geprägten ästhetischen Gehalt aufweist, der nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise einer „künstlerischen“ Leistung entspricht. Dies ist nach Auffassung des OLG Köln nicht der Fall, wenn lediglich eine Mischung verschiedener Kompositionen vorliegt, ohne dass der Gesamteindruck des vorbekannten Werkes wesentlich verändert wird.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze haben Sie zwar die konisch gekreuzten Fensterelemente hinsichtlich des Materials und der Dimension verändert, aber die Grundidee der plastisch wirkenden Elemente konischer Kreuzungen des prägenden Kubismus blieb erhalten und wurde eben nicht von Ihnen grundlegend verändert. Ihre Fassadengestaltung genießt also keinen Urheberschutz. Urheberrechtliche Ansprüche resultierend aus der von Architekt B verwendeten ähnlichen Fassadengestaltung lassen sich daher nicht herleiten.

Praxistipp

Der Fall zeigt, dass die Frage nach der notwendigen Schöpfungsleistung eine Wertungsfrage ist. Für die Beurteilung der geistigen Schöpfungshöhe ist nach Auffassung der Gerichte der ästhetische Eindruck maßgeblich, den das Werk nach dem Durchschnittsurteil des für Kunst empfänglichen und mit Kunstfragen einigermaßen vertrauten Menschen vermittelt (siehe auch erläuternd AKNW Praxishinweis 24). Hierzu nehmen die Gerichte zumeist eine eigene Einschätzung vor. Auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens wird in der Regel verzichtet.

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