100 Jahre Hochhäuser in Düsseldorf
Aus der DAB-Reihe Revisited: Vor 100 Jahren entstand mit dem „Industriehaus“ das erste Hochhaus in der Landeshauptstadt.
Architektur folgt meist der wirtschaftlichen Entwicklung, in Quantität, aber auch in Qualität. Kaum eine Stadt zeigt das deutlicher als die Landeshauptstadt Düsseldorf, deren bedeutendere architektonische Zeugnisse in Phasen fallen, in denen die Stadt jeweils einen entscheidenden wirtschaftlichen Aufbruch erlebte: Dies waren zum einen die 1950er und -60er Jahre, als Düsseldorf in der Wiederaufbauphase nach dem Krieg mit einer an der internationalen Moderne orientierten Hochhausarchitektur (Dreischeibenhaus von HPP, Mannesmannhochhaus von P. Schneider-Esleben) die führende Rolle in Deutschland einnahm. Zuvor hatten die 1910er und -20er Jahre stadtbildprägende Spuren hinterlassen, als am Rhein das monumentale Ausstellungsgelände der Gesolei errichtet wurde (Wilhelm Kreis) und zwischen Kö und der historischen Karlstadt Banken und Industrieunternehmen ihre repräsentativen Paläste schufen (Stumm-Konzernverwaltung von P. Bonatz, Mannesmann-Verwaltung von P. Behrens), die in ihren Dimensionen nationale Ansprüche anmeldeten. In diese Phase gehörte auch das sogenannte Industriehaus am Wehrhahn, mit dessen Bau im Herbst 1921, vor genau 100 Jahren, begonnen wurde.
Seine sieben Geschosse machten das gerade einmal 28 Meter hohe Gebäude (Auskunft gemäß Unternehmensinformationen) aufgrund der seinerzeitigen Bauordnung zum ersten Bürohochhausbau Deutschlands. Obwohl es wenig später vom Wilhelm-Marx-Haus (W. Kreis) in der Höhe deutlich übertroffen wurde, markierte das seinerzeit als Standort für kleinere Unternehmen entwickelte Zentrum den originellen Auftakt einer 100-jährigen Hochhaustradition Düsseldorfs. Bis heute, da die Stadt im Frühsommer 2021 einen neuen Hochhausrahmenplan entwickelte, wird das Stadtbild, was Hochhausbauten betrifft, von „Hochhaussolisten“ bestimmt, das heißt von singulären Einzelbauten mit „Unikat-Charakter“. Die Architekten dieses Hochhauspioniers waren Hans Tietmann (1883 – 1935) und Karl Haake (1889 – 1975), deren Büro in Düsseldorf bis 1933 aktiv war. Neben dem Industriehaus gehörten seinerzeit das Düsseldorfer Pressehaus am Martin-Luther-Platz (von ihm ist heute lediglich die repräsentative hohe Backsteinfassade erhalten), vor allem aber die Rudolf-Oetker-Halle in Bielefeld zu einem architektonischen Oeuvre zwischen Expressionismus und neuer Sachlichkeit, das überregionale Bekanntheit erlangte.
Stilistisch wird das Industriehaus dem Expressionismus zugerechnet, der jedoch in diesem Fall nicht in dem damals vorherrschenden Backsteinstil ausgeführt wurde – welcher nach einem Bonmot „niederrheinische Heimatlichkeit in der modernen Großstadt garantieren sollte“ (Jürgen Wiener). In der Aufteilung, den historischen Zitaten und verwendeten Dekorelementen strahlt das aus Stahlbeton errichtete Haus gleichwohl eine gewisse Feierlichkeit aus: Die Basis bildet ein mit Tuffstein verkleidetes, doppeltes Sockelgeschoss mit Kolonnaden aus Pfeilern, die mit figürlichen und dekorativen Elementen verziert sind; darüber schließt sich eine Reihe von Rosetten-Kassetten an. Es folgt ein Kranzgesims, über das sich die weiteren Geschosse mit engen Fensterreihen erheben. Den Abschluss bildet eine auf Konsolen ruhende Blendarchitektur, die als Zinnenkranz ausgeführt wurde (ursprünglich erhob sich darüber noch ein Walmdach) und den Gesamteindruck prägt.
Das Industriehaus war seinerzeit als eine Art frühes Gründerzentrum von der Stadt in Auftrag gegeben worden, wozu 1921 eigens eine „Düsseldorfer Bürohausgesellschaft mbH“ mit dem Ziel gegründet wurde, drei erste Hochhäuser für die Stadt zu planen. Düsseldorf sollte ein modernes Gesicht erhalten, das den Anschluss an die internationale Entwicklung zum Ausdruck bringen würde. Seit 1985 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. 2012 wurde es umfassend saniert, wobei mehrere Geschosse entkernt und neu eingerichtet, die Fassade der Sockelzone restauriert und die der Obergeschosse neu verputzt wurden. Heute verfügt das Gebäude über eine Nutzfläche von über 5000 Quadratmetern und beherbergt überwiegend Büros und Arztpraxen.
Für die Zukunft ist gut möglich, dass das Haus aufgrund seiner günstige Lage an einer Brückenrampe oberhalb der Bahngleise und neuerdings in unmittelbarer U-Bahn-Nähe seine Rolle als markanter Auftakt der Hochhausentwicklung Düsseldorfs wird stärken können.
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