Brücken-Welten - Zur Gestaltqualität von Brückenbauwerken
Brücken sind derzeit in den Schlagzeilen. Weniger jedoch als architektonische oder ingenieurtechnische Boten der Zukunft. Heute scheinen sie vor allem Mahnmale eines infrastrukturellen Niedergangs zu sein, mit erheblichen Folgen für den Verkehr.
Um die rund 150 000 Brücken in Deutschland steht es nicht gut. Die derzeit im Auftrag des Bundesamtes für Straßenwesen von den Ländern durchgeführten statischen Nachrechnungen, die erst vor drei Jahren neu eingeführt wurden und mit denen in Nordrhein-Westfalen derzeit 800 aufgrund ihres Alters und der Verkehrsbelastung ausgewählte Brücken überprüft werden, haben einen erschreckend hohen Prozentsatz an Erneuerungsbedarf festgestellt. Bei bislang 152 überprüften Brücken hält man in 71 Fällen einen Ersatz für notwendig (Stand: Juli 2013). Bis Januar 2014, so der für die Brückenertüchtigung zuständige Projektleiter Karlheinz Haveresch, sind noch einige hinzugekommen. Der mit der Untersuchung beauftragte Landesbetrieb Straßen NRW rechnet damit, dass rund ein Drittel der 800 Brücken ersetzt werden müssen. Vor allem die Sauerlandlinie ist betroffen.
Hintergrund: Die Brücken stammen zum überwiegenden Teil aus den 1960er und 1970er Jahren und waren ursprünglich für weit geringere Verkehrsbelastungen geplant. Die wachsende Beanspruchung vor allem durch den LKW-Verkehr, der im Bund von 1980 bis 2010 von 80 auf 440 MrT. Beförderungsleistung angewachsen ist, ist der Hauptgrund für die heutige Situation. Angesichts einer weiteren erwarteten Verdoppelung des Verkehrsaufkommens bis zum Jahr 2050 ist nun dringender Handlungsbedarf gegeben. Die Landesregierung rechnet mit 4,5 Milliarden Euro Sanierungskosten innerhalb der kommenden zehn Jahre. Erheblichen Erneuerungsbedarf gibt es auch bei Deutschlands 25 000 Bahnbrücken, von denen fast jede dritte laut Bahnchef Rüdiger Grube älter als 100 Jahre ist. Bei 1.400 Brücken sieht Grube in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ Sanierungsbedarf: Dass dann Engpässe unvermeidlich sind, ist absehbar. Zu den ersten wird es bereits im März 2014 kommen. Dann muss der Bahnverkehr auf der Hohenzollernbrücke in Köln (sie verbindet den Stadtteil Deutz mit dem Hauptbahnhof) infolge der Sanierungsarbeiten drastisch eingeschränkt werden.
Brückenland NRW
Wegen des hohen Verkehrsaufkommens, aber auch aufgrund des Alters seiner Straßen, ist NRW vom Sanierungsstau unter den Bundesländern am stärksten betroffen. Nicht nur die Zahl von 10 000 Brücken in NRW ist imposant. Auch einige Brückenrekorde kann das Land verzeichnen: So weist zum Beispiel die als Hängebrücke konzipierte Rheinbrücke bei Kleve-Emmerich mit 500 Metern bundesweit die größte Spannweite zwischen zwei Brückenpfeilern auf. Den höchsten Brückenpylon in Deutschland (146,5 Meter) und die größte Spannweite aller Schrägseilbrücken in Deutschland (und zeitweise weltweit) besitzt die Fleher Brücke. Diese südlichste der berühmten Düsseldorfer Brückenfamilie wurde 1976 von dem Kölner Architekten Gerd Lohmer erbaut. Zwischen 2006 und 2010 wurde dieses auf den Kopf gestelltes Ypsilon teilweise erneuert. Und schließlich gibt es die 116 Jahre alte Müngstener Eisenbahnbrücke zwischen Solingen und Remscheid - Deutschlands höchste Eisenbahnbrücke. Die kühne Stahlkonstruktion erhebt sich an diesem Ort zu einer Höhe von 107 Metern über dem Talgrund der Wupper. Die Deutschen Bahn investiert derzeit rund 30 Millionen Euro in die Sanierung des Baus, der als Denkmal von nationalem Rang gelistet wird und der die übliche Lebenszeit von Autobahnbrücken bereits lange hinter sich gelassen hat.
Aktuelle Brückenbauprojekte in NRW
Gebaut bzw. ausgebessert wird, so scheint es, angesichts der Lage in NRW jedoch erst zaghaft. Ein Grund könnte sein, wie Haveresch vermutet, dass auch für die Abrisse wiederum Baugenehmigungen eingeholt werden müssen, was nicht immer problemlos ginge. Kürzlich begonnen allerdings wurden die Arbeiten an der Lennetalbrücke. Die etwa 1.000 Meter lange Autobahnbrücke der A45 bei Hagen soll durch einen Neubau ersetzt werden, wobei neben der bisherigen Brücke eine parallele Brücke entsteht, die später in einem Schritt quer eingeschoben wird. 105 Mio. Euro investiert der Bund in das Projekt.
Im Norden von Duisburg auf der A 59 wird ferner die 1,8 Kilometer lange „Berliner Brücke“, die aus sieben Einzelbauwerken besteht, erneuert und dabei auf sechs Fahrspuren verbreitert werden. Und dann ist da noch die Autobahnbrücke Dormagen, für die 2014 ebenfalls zunächst eine Behelfsbrücke als Bypass errichtet wird, um dann in Etappen eine zweite Hälfte der neuen Brücke zu errichten. Als Bauzeit schätzt man bei Straßen.NRW knapp zwei Jahre. Und schließlich das Problemkind der Leverkusener Autobahnbrücke, die im vergangenen Jahr vorübergehend für den LKW-Verkehr gesperrt und ausgebessert worden war. Ein Ersatzneubau für die auch in diesem Fall fast 50 Jahre alte Rheinbrücke bleibt jedoch notwendig, wobei derzeit vor allem zwei separate, parallele Rheinbrücken mit fünf Fahrstreifen für jede Fahrtrichtung in der Diskussion sind. Bis 2016 sollen die Planungen (GRASSL-Ingenieure) abgeschlossen sein, 2017 der Baubeginn erfolgen und in etwa zehn Jahren der Verkehr dann wieder störungsfrei über beide Brückenteile erfolgen.
Architektenaufgabe: Brücken-Baukunst
Angesichts dieser Not- und Aufgabenlage gerät leicht in Vergessenheit, welch‘ wichtige Rolle Brücken über ihre Verkehrsfunktion hinaus im Stadt- und Landschaftsbild spielen. Der Effekt kann gravierend sein, sei es, dass sie sich, wie die Rheinbrücke A 44 (Flughafenbrücke) in Düsseldorf, harmonisch in ein gegebenes Landschaftsbild einpassen, sei es, dass sie wie im Dresdener Elbtal und demnächst vielleicht dem Mittelrheintal den Welterbe-Status einer Landschaft gefährden.
Die öffentlichen Bauherren scheinen in jüngerer Zeit zunehmend zu erkennen, dass Brücken auch ein städtebaulicher Mehrwert zukommt, der ästhetische und soziale Aspekte verbindet. Eine große Zahl von Brücken neueren Datums sind Fußgänger- bzw. Fahrradbrücken, die darauf ausgerichtet sind, sichtbare Gestaltungsqualitäten aufzuweisen und darüber hinaus als neue Aufenthaltsraum genutzt zu werden. Wenn nicht alles täuscht, ist hier in den letzten Jahren ein neues Aufgabenfeld entstanden, das im Zuge von IBA Emscher Park und manchen regionalen und innerstädtischen Erneuerungsprojekten eine städtebaulich immer größere Rolle spielt. Nach Eckehard Winstroer, der in den vergangenen Jahren als Architekt mehrere Fußgängerbrücken in NRW entworfen hat, beauftragt die öffentliche Hand immer öfter Architekten mit Planungsaufgaben für Brückenbauwerke. „Man versteht Brücken zunehmend als Faktor im öffentlichen Raum, der eine hohe gestalterische Aufmerksamkeit verdient“, betont Wienstroer. Gleichwohl komme der Zusammenarbeit mit einem Ingenieurbüro große Bedeutung zu. Das vielleicht prominenteste Beispiel für die neue Rolle als kommunikativer Aufenthaltsort ist die Living Bridge (JSK Architekten) im Düsseldorfer Medienhafen. Mit einer großzügigen Breite von 11,60 Metern, dem dunklen Tropenholzbohlen, mit denen der Übergang belegt ist, den Sitzstufen mit integrierten Lichtlinien und den beleuchteten Sitzkuben aus Plexiglas ist die Brücke eine gerne und viel genutzte Aussichtsplattform, Flanierstrecke und Verbindung zwischen den Hot-spots des Hafens in einem. Auch das als Restaurant genutzte Brückenhaus dürfte als funktionale Erweiterung Nachahmungen finden.
„Slinky Springs to Fame“ nennt sich rätselhaft-poetisch die 106 Meter lange Fußgängerbrücke, die vom alten Kaisergarten in Oberhausen über den Rhein-Herne-Kanal auf die Emscher-Insel führt. Technisch handelt es sich um eine Spannbandbrücke, die von parallel laufenden Blechbändern aus hochfestem Stahl getragen wird. Der Clou jedoch sind die 496 Spiralwindungen mit einem Durchmesser von fünf Metern, die die Brücke wie ein geworfenes Seil einhüllen. Die schwingende Brücken-Spirale, deren Idee auf ein amerikanisches Kinderspielzeug zurückgehen soll und nachts beleuchtet wird, hat der Künstler Tobias Rehberger entworfen. Er hat eine begehbare Skulptur geschaffen hat (Ingenieurbüro Schlaich Bergermann u. Partner), die die Grenzen von Architektur und Kunst gekonnt verwischt. Auch die Grimbergbrücke, die einige Kilometer weiter östlich bei Gelsenkirchen den Rhein-Herne-Kanal überspannt, ist eine Rad- und Fußgängerbrücke. Das elegante, in einem großen Halbkreis gestaltete Stahlbauwerk, dessen Kreisringträger an einem einzelnen hohen Stahlypylon aufgehängt ist (Ingenieurbüro Schlaich Bergermann und Partner), erhielt 2010 den Europäischen Stahlbrückenpreis.
Kaum weniger spektakulär ist die von den Architekten Agirbas & Wienstroer entworfene und markant geschwungene Neulandbrücke (ein Fachwerkträgertrog mit aufgeständerter Gehwegplatte), die 2005 als Fußgängerweg für die Landesgartenschau in Leverkusen errichtet wurde. Vom gleichen Büro stammt auch die erst 2012 fertig gestellte Wupperbrücke von Opladen (mit Schüssler Ingenieurbüro), die eine in diesem Fall historische Parkanlage um einen zeitgenössischen minimalistischen Aspekt bereichert. Die Brücke, die eine Verbindung zwischen der Siedlung Frankenberg rechts der Wupper und dem Opladener Zentrum herstellt, war Bestandteil der Regionale 2010. Es ist ein nur ganz leicht gebogener, kräftiger rostbrauner Strich mit einem Geländer aus Cortenstahl und feinen Edelstahlnetzen, das zu dem üppigen landschaftlichem Umfeld in einem inspirierenden Kontrast steht. In der Mitte steht eine Bank, die einen Blick über Fluss und Parklandschaft erlaubt. „Wir verstehen uns nicht als Geländerdesigner“, sagt Architekt Eckehard Winstroer. Und in der Tat: Die neuen Brückenbauer sind Techniker, Künstler und Landschaftsbildner in einem.
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