Die Landesbeauftragte für die Belange der Behinderten will in einem ersten Schritt erreichen, dass alle Arztpraxen barrierefrei werden

Für ein NRW ohne Barrieren

Eine barrierefrei gestaltete Umwelt ermöglicht allen Menschen eine weitgehend hindernis-freie Nutzung von Wegen, Plätzen und Ge-bäuden. Barrierefreiheit kommt daher nicht nur den mehr als 1,6 Millionen Schwerbehin-derten in NRW zugute. Barrierefreiheit nützt allen, die aus Altersgründen, wegen Krankheit oder weil sie mit einem Kinderwagen oder Gepäck unterwegs sind, bestimmte Hindernisse nicht überwinden können. Es ist bekannt, dass eine barrierefrei zugängliche Umwelt für etwa 10 Prozent der Bevölkerung zwingend erforderlich, für 30 bis 40 Prozent notwendig und für 100 Prozent komfortabel ist. Maßnahmen, die für Menschen mit Behinderungen zwingend notwendig sind, um ihnen zum Beispiel einen Zugang zu Gebäuden zu ermöglichen (Aufzüge, automatische Türöffner, kontrastreiche Hinweisschilder) stellen für Menschen ohne Behinderung eine deutliche Qualitätsverbesserung dar.

09. Mai 2007von Angelika Gemkow

Von einer barrierefreien Umwelt profitiert die gesamte Gesellschaft. Wichtig ist, sich immer wieder bewusst zu machen: Von heute auf morgen kann von uns jeder zum „Behinderten“ werden, sei es nur vorübergehend mit gebrochenem Bein oder einer besonders schweren Tasche. Darüber hinaus zwingt der demografische Wandel uns, Barrierefreiheit als notwendigen Bestandteil einer modernen und zukunftsorientierten Verkehrs-, Bau- und Wohnungspolitik für die Menschen zu begreifen.  

Teilhabe sichern

Es ist das Ziel der Behindertenpolitik und des Behindertengleichstellungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen, noch immer bestehende Barrieren zu beseitigen. Menschen mit und ohne Behinderungen sollen am geistigen, sozialen, kulturellen, beruflichen und politischen Leben der Gesellschaft teilhaben. Menschen mit Behinderungen müssen sich ebenso wie Menschen ohne Behinderungen frei bewegen und uneingeschränkten Zugang zu Gütern und Dienstleistungen haben. Dabei bestimmt nicht allein der Rollstuhlfahrer das Verständnis von Barrierefreiheit, sondern auch der blinde, gehörlose, kleinwüchsige, armlose, psychisch oder kognitiv eingeschränkte Mensch mit seinen jeweiligen Anforderungen.  

Aktion barrierefreie Arztpraxen

Das denkmalgeschützte Museum ist nur über eine Treppe zugänglich. Im Rathaus fehlt ein Leitsystem für sehbehinderte oder blinde Menschen und in den Tagungsräumen des neugebauten Kongresszentrums gibt es keine Induktionsschleifen. Viele öffentliche Räume sind für Menschen mit Behinderungen immer noch schwer zu nutzen. Dazu gehören auch Arztpraxen. Umfragen zufolge sind in NRW bisher nur zehn bis zwanzig Prozent der Arztpraxen barrierefrei. In einigen fachärztlichen Disziplinen lassen sich vor Ort kaum oder gar keine geeigneten Arztpraxen finden.

Mit einer landesweiten Aktion möchte ich erreichen, dass sich die Zahl der barrierefreien Arztpraxen in den nächsten Jahren deutlich erhöht. Vor-Ort-Termine sollen die Öffentlichkeit für die Belange der Menschen mit Behinderung sensibilisieren. Gemeinsam mit Ärzten, Vermietern, Architekten und Praxiseinrichtern suche ich nach Wegen, um bestehende Barrieren in der Gesundheitsversorgung abzubauen und neue gar nicht erst entstehen zu lassen.

Neue Praxen und Gemeinschaftseinrichtungen müssen zukünftig von vornherein barrierefrei gestaltet werden. Bei alten Praxen lassen sich häufig individuelle Lösungen finden, die nicht immer teuer sein müssen. Oft sind es gerade die kleinen Hindernisse, die behinderten und älteren Menschen das Leben unnötig schwer machen. Manchmal reichen schon das Anbringen von Haltegriffen, eine kontrastreiche Farbgestaltung oder die Beseitigung von Stolperfallen, um eine Arztpraxis leichter zugänglich zu machen.  Regelungen kennen und umsetzen

Es ist wichtig, dass sich alle an Bau- oder Verkehrsprojekten beteiligten Personen ausreichend über das Thema der „Barrierefreiheit“ und die entsprechenden rechtlichen Regelungen informieren. Dies gilt für Stadtplaner, Designer, Ingenieure und Architekten wie auch für Investoren und Bauherren.

Die Belange von Menschen mit Behinderungen finden im Bauordnungsrecht Berücksichtigung. Mit der am 1. Juni 2000 in Kraft getretenen Änderung der Landesbauordnung wurde der § 49 Abs. 2 BauO NRW neu in das Gesetz aufgenommen. Nach dieser Vorschrift müssen in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar und die wesentlichen Räume in diesen Wohnungen mit dem Rollstuhl zugänglich sein. Alten Menschen und Menschen mit Behinderung soll so künftig mehr Wohnraum zur Verfügung stehen und eine bessere Teilnahme an sozialen Leben ermöglicht werden.

Der § 55 der BauO NRW regelt die Barrierefreiheit öffentlich zugänglicher baulicher Anlagen. Hiernach müssen bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen von Menschen mit Behinderung, alten Menschen und Personen mit Kleinkindern barrierefrei erreicht und ohne fremde Hilfe zweckentsprechend genutzt werden können. Dies gilt für Verwaltungsgebäude und Einrichtungen des Gesundheitswesens ebenso wie z. B. für Einrichtungen der Kultur oder für Gaststätten. Bei der Planung baulicher Maßnahmen haben das Land und die Kommunen von vornherein darauf zu achten, dass diese barrierefrei sind.

Eine gute, sehr konkrete Hilfe für das barrierefreie Bauen ist die Checkliste „Bauen für alle - barrierefrei!“, die der Arbeitskreis der Behindertenbeauftragten und der Behindertenkoordinatorinnen und -koordinatoren in NRW entwickelt hat. Diese Liste wirbt für die barrierefreie Planung öffentlicher Gebäude und Plätze und gibt einen Überblick über die erforderlichen Maßnahmen. Inzwischen haben mehrere Kreise und Städte in NRW diese Informationsbroschüre zum barrierefreien Bauen herausgegeben. Detaillierte Informationen zum barrierefreien Bauen und zu entsprechenden Fördermöglichkeiten bietet ebenfalls die Broschüre der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen „Barrierefreies Bauen. Stadtspaziergang durch einen barrierefreien Lebensraum“. 

agentur barrierefrei nrw

Mit der „agentur barrierefrei nrw“ besitzt Nordrhein-Westfalen eine bundesweit einzigartige Einrichtung. Die „agentur barrierefrei nrw“ berät kostenlos Stadt- und Kreisverwaltungen, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen sowie die Interessenverbände Behinderter. Sie stellt umfassende Informationen zum Themenbereich barrierefreies Bauen und barrierefreier Verkehr bereit und liefert interaktiv Entscheidungshilfen, wie gleichberechtigte Teilhabe für alle geschaffen werden kann. Das Projekt „agentur barrierefrei nrw“ besteht seit Juni 2005 und wird durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. 

Barrierefrei planen hilft Folgekosten vermeiden

Wenn Wohnungen, Gebäude, Verkehrsmittel oder Plätze ohne Berücksichtigung der Barrierefreiheit für alle geplant und realisiert wurden, dann ist der Schaden groß und schwer zu reparieren. Spätere bauliche Veränderungen sind oft mit hohen Kosten und komplizierten Umbauten verbundenen. Wird Barrierefreiheit von vornherein bei den Planungen berücksichtigt, führt dies kaum zu zusätzlichem Aufwand an Zeit und Geld. Es ist also ein Gebot der ökonomischen Vernunft, von Anfang an barrierefrei zu planen und zu bauen.  

Akteure sensibilisieren

In den vergangenen Jahren ist das politische Bewusstsein gestiegen, dass die allgemeine Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von öffentlichen Gebäuden, Häusern, Verkehrsmitteln usw. ein Grundrecht ist. Trotz vieler guter Beispiele wird gleichwohl deutlich, dass die konsequente Umsetzung in alle Planungsvorhaben noch ein langer Bewusstseinsprozess ist, bei dem die Unterstützung und Beteiligung vieler Akteure gefordert ist.

Deshalb sind entsprechende Fachkenntnis und Weiterbildung wichtig. Berufsverbände und Hochschulen müssen die Experten mit den Informationen versorgen, die diese für die Umsetzung in die Praxis benötigen. Die Implementierung in die Aus- und Weiterbildung ist ein Muss, wenn das Ziel einer zugänglichen Umwelt verwirklicht werden soll.

Die Menschen mit Behinderung sind die  Expertinnen und Experten in eigener Sache. Darum ist es ratsam, sie rechtzeitig und umfassend an allen Planungs- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Nur durch das gemeinsame Engagement aller Akteure wird unsere Gesellschaft barriere- und diskriminierungsfreier werden, können die bebaute Umwelt, der Verkehr, Freizeitangebote und Dienstleistungen nach und nach für alle Menschen zugänglich werden.

Der Abbau von Barrieren geht weit über sozialpolitische Initiativen hinaus. Barrierefreiheit ist und sollte in einer modernen Gesellschaft allgemein üblich sein. Genau wie der Brand- oder Wärmeschutz ist die Barrierefreiheit heute Standard unserer Stadtentwicklungs-, Planungs- und Baupolitik. Die Lebensqualität in NRW für alle Menschen zu verbessern, muss und sollte das wichtige Ziel und eine Vision für uns alle sein. 

Weitergehende Informationen zur „agentur barrierefrei nrw“ sind erhältlich unter www.agentur-barrierefrei-nrw.de.  

Die Checkliste für barrierefreies Bauen findet sich unter komm.muenster.de/komm/pdf/broschuere_barrierefreies_bauen.pdf. 

Die Broschüre „Spaziergang durch einen barrierefreien Lebensraum“ kann kostenlos bei der Architektenkammer NRW bestellt werden (poststelle@aknw.de).

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