Prof. Dr. Andreas Pinkwart: Materialgipfel und Circular Economy

Vor welchen Herausforderungen steht aktuell die Planungs- und Bauwirtschaft in NRW? – Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.

05. August 2021von Prof. Dr. Andreas Pinkwart

Die Bauwirtschaft in Nordrhein-Westfalen mit ihren ca. 130 000 Beschäftigten ist vergleichsweise gut durch die Corona-Pandemie gekommen: Selbst im Krisenjahr 2020 hat sich die Bauproduktion um 1,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht. Allerdings bringt die Pandemie für das Baugewerbe weiterhin viel Ungewissheit mit sich, die sich in Sorgen über die zukünftige Entwicklung der Bauinvestitionen niederschlägt. Neben dem Fachkräftemangel sind dabei die aktuellen Lieferengpässe bei Rohstoffen ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor, der aktuell das Geschäft in vielen Teilen der Branche bestimmt.

Die Engpässe stellen nicht nur Bauherrinnen und Bauherren und Unternehmen der Bauwirtschaft, sondern auch Architektinnen und Architekten vor vielfältige Herausforderungen, da die Kosten- und Terminplanung von Vorhaben wesentlich erschwert wird. Für Architektinnen und Architekten gewinnen die Kommunikation und der Austausch mit Bauenden und Unternehmen der Bauwirtschaft noch weiter an Bedeutung, wenn es aufgrund von Engpässen zu zeitlichen Verzögerungen bei Vorhaben kommt.

Hauptursache für die Lieferengpässe ist der wirtschaftliche Aufschwung, der in diesem Jahr erfreulich schnell Fahrt aufgenommen hat. Wachstumsprognosen von etwa 3,5 Prozent für 2021 lassen hoffen, dass Nordrhein-Westfalen wirtschaftlich bis Ende des Jahres wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat. Als Begleiterscheinung dieser positiven Entwicklung ist die Materialknappheit zu beklagen: Die sich belebende konjunkturelle Entwicklung führt derzeit zu Lieferengpässen und deutlich erhöhten Preisen bei einer Vielzahl von Gütern. Besonders die Preise für Stahl, Schnittholz oder Dämmstoffe sind massiv gestiegen und haben teilweise ein Allzeithoch erreicht. Die Liste der betroffenen Güter ließe sich noch deutlich verlängern. Preissteigerungen und Lieferengpässe haben sich daher besonders für viele Betriebe der Bauwirtschaft zu einem ernsten Problem und zu einer Bremse für die konjunkturelle Erholung entwickelt.

Materialgipfel der Landesregierung

Um mit den betroffenen Branchen ins Gespräch zu kommen und Lösungen für diese aktuellen Herausforderungen zu diskutieren, hatten wir als Landesregierung zu einem Materialgipfel mit Handwerk, Bau und Industrie am 10. Juni 2021 eingeladen, an dem auch die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen teilgenommen hat. Die Vorschläge aus diesem Gipfel waren eine wichtige Grundlage für die wenige Tage später stattfindende Konferenz der Wirtschaftsministerinnen und -minister der Länder mit dem Bundeswirtschaftsminister in Düsseldorf.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Materialgipfels und die Wirtschaftsministerinnen und -minister waren sich in der Position einig, dass Handelsbeschränkungen die Engpässe nur verstärken. Heimische Rohstoffe (z.B. Holz, Sand, Gips, Kies) spielen eine wichtige Rolle zur Versorgungssicherheit – auch in Zukunft. Dennoch ist Deutschland insgesamt ein relativ rohstoffarmes und auf Importe angewiesenes Land. Exportbeschränkungen, die andere Länder zu entsprechenden Gegenmaßnahmen provozieren, träfen uns am Ende also erwartbar noch härter.

Einsatz für freie Märkte

Die negativen Auswirkungen politischer Eingriffe in freie Märkte zeigen sich angesichts der Handelsbeschränkungen einzelner Länder gerade sehr deutlich. Politisches Engagement sollte nun vielmehr darauf ausgerichtet sein, die internationalen Warenströme endlich wieder ungestört laufen zu lassen. Europa muss sich für die Lockerung von Ex- und Importbeschränkungen, für den Abschluss von Handelsabkommen und den Abbau von Sonder- und Strafzöllen einsetzen, beispielsweise bei Stahl und Holz. Die Materialversorgung, die Organisation der Lieferketten, die Auslastung und der Aufbau von Kapazitäten – all dies sind Aufgaben, die die Wirtschaft eigenständig lösen muss und kann.

Die politische Aufgabe besteht darin, für stabile Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu sorgen, damit sich Investitionen in höhere Kapazitäten lohnen. Die Bekräftigung dieser Haltung und die Verstärkung der entsprechenden Anstrengungen waren ein wesentliches Ergebnis des Materialgipfels der Landesregierung mit den Partnern aus Handwerk, Bau und Industrie.

Zwei weitere Punkte sind in diesem Zusammenhang zu nennen: Die Vereinfachung der Planungs- und Genehmigungsverfahren als generelles Anliegen und eine faire Lastenteilung in der momentanen Ausnahmesituation.

Am Schnittholzmarkt klettern die Preise deutlich – obwohl die Sägewerke das vierte Jahr in Folge unter Volllast arbeiten. Die Kapazitäten lassen sich kurzfristig kaum noch besser auslasten. Neben der guten Baukonjunktur in Deutschland hat vor allem der Bauboom in den USA und China die Schnittholzpreise getrieben. Der Hinweis, dass das sogenannte „Schadholz“ qualitativ gleichwertig und im Ausland sehr gefragt ist, sollte in diesem Zusammenhang von uns gemeinsam deutlich stärker artikuliert werden.

Holz wird im Bau künftig allein schon aus klimapolitischen Gründen eine wachsende Rolle spielen. Um Engpässe dauerhaft zu überwinden, ist es daher erforderlich, die Produktionskapazitäten der Sägewerke auszubauen. Dies setzt attraktive Investitionsbedingungen, schlanke Genehmigungsverfahren und Planungssicherheit voraus – ein Thema, das weit über die Holzwirtschaft hinaus reicht.

Entfesselung

In Nordrhein-Westfalen vereinfachen und digitalisieren wir deshalb die Planungs- und Genehmigungsverfahren. Mit unseren Entfesselungspaketen setzen wir auf weitere Entlastung für die Betriebe im Land, wo immer dies möglich und sinnvoll erscheint. In nur drei Jahren haben wir mit unseren ersten fünf Entfesselungspaketen fast 60 Maßnahmen auf den Weg gebracht und damit zahlreiche Hemmnisse für den Erfolg der heimischen Wirtschaft aus dem Weg geräumt. Auch für die Bundesebene haben wir mit dem sechsten Entfesselungspaket konkrete Bürokratieabbauvorschläge vorgelegt und als umfassendes Paket mit 48 Entlastungs- und Vereinfachungsvorschlägen im Herbst 2020 in den Bundesrat eingebracht.

Wir setzen uns auch für eine 1:1-Umsetzung europäischer Vorgaben ein, um in der EU faire Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen und Unternehmen Zusatzlasten zu ersparen. Das siebte und achte Entfesselungspaket zum Abbau bürokratischer Hürden und Stärkung der Innovations- und Investitionsfähigkeit haben wir soeben vorgelegt.

Kooperation und Flexibilität

Angesichts der deutlichen Kostensteigerungen, die die Betriebe bei laufenden Bauprojekten spüren, gebietet es die Fairness, dass Vertragspartner einen Kompromiss bei der Lastenverteilung aushandeln. Ein solches kooperatives Verhalten liegt im gemeinsamen Interesse beider Seiten – im schlimmsten Fall sind von der Insolvenz eines Auftragnehmers beide Seiten betroffen. Ich appelliere besonders an die öffentlichen Auftraggeber im Land, im Falle deutlich erhöhter Materialkosten weitgehende Flexibilität zu zeigen.

Die Preissprünge erfordern ein „Aufeinanderzugehen“, zumal die Fertigstellung von Bauten ohne Zeitverzögerung auch im Interesse der Auftraggeber liegt. Öffentliche und private Auftraggeber sollten daher aktuell auf Konventionalstrafen verzichten. Bei Neuaufträgen können Preisgleitklauseln helfen, Auftragnehmer vor dem Risiko von Preissteigerungen zu schützen. Auch kommunale Auftraggeber sollten prüfen, wo sich Preisgleitklauseln nutzen lassen.

Neue Chancen für die Circular Economy 

Hohe Preise für Baustoffe lenken den Blick verstärkt auf Alternativen. Das Thema Recycling und der weitere Auf- und Ausbau einer Kreislaufwirtschaft gewinnen durch die gerade akut spürbare Materialknappheit an Bedeutung. Die Nutzung von Sekundärrohstoffen, die auch mit Blick auf unsere Verpflichtungen bei Klima- und Ressourcenschutz von enormer Relevanz ist, kann umso preissenkender wirken, je mehr und je einfacher Rohstoffe als Ersatz verfügbar sind. Durch die neue Mantelverordnung wird die Nutzung von Sekundärrohstoffen als Ersatzbaustoff in Zukunft erleichtert und rechtssicher ermöglicht.

Auch die Intensivierung der Forschung zu alternativen Baustoffen kann mittelfristig wertvolle Beiträge leisten. Überdies trägt die „Circular Economy“ immer stärker zur Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen und Materialien bei. Es gilt, von Beginn an in Kreisläufen zu denken und zu planen, um eine möglichst lange Nutzung von Produkten und Rohstoffen zu erreichen. Dies wollen wir im Land zukünftig noch stärker vorantreiben.

Zukunftsperspektiven

Der Materialgipfel hat gezeigt, dass bei einigen Branchen bereits die Hoffnung auf eine Rückkehr zu „normalen“ Preisen wächst. Auf einigen Terminmärkten zeichnet sich das schon ab, beispielsweise beim Terminmarkt für Holz. In anderen Bereichen wie der Stahlindustrie zeigt sich die Trendwende noch nicht. In Deutschland wurde aufgrund der fehlenden Nachfrage im Jahr 2020 so wenig Stahl erzeugt wie zuletzt im Jahr 2009. Die erst jüngst wieder stark ausgeweitete Stahl-Produktion wird die Lieferengpässe nur allmählich abbauen können.

Trotz aller Bemühungen führt der Rohstoffmangel mitunter auch zu sozialen und ökonomischen Härten. Die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung kann die Folgen für die betroffenen Unternehmen und Mitarbeiter zumindest abmildern.

Um langfristig Engpässe bei der Rohstoffversorgung und Lösungsansätze zu identifizieren, hat mein Ministerium bereits 2020 einen Rohstoffbericht beim RWI in Essen in Auftrag gegeben, der im Sommer vorgelegt werden soll. Das Thema hat nun eine unerwartete und dringliche Aktualität bekommen. Wir werden die Ergebnisse im Rahmen eines zweiten Materialgipfels diskutieren und Rückschlüsse für die langfristige Sicherung der Rohstoffversorgung im Land ziehen.

Es besteht, so die abschließende positive Nachricht, Hoffnung auf eine baldige Entspannung. Bis zum Herbst dürfte sich die globale Nachfrage normalisieren, dürften sich Engpässe vermindert haben. Aber auch längerfristig hohe Preise, wie sie möglicherweise für Halbleiter zu erwarten sind, setzen wichtige Zeichen: Kurzfristig ermöglichen hohe Preise Erzeugern, ihre Produktion durch Sonderschichten besser auszulasten und das Angebot auszuweiten. Langfristig zeigen sie, wo höhere Investitionen in höhere Fertigungskapazitäten nötig sind. Folgen wir diesen Signalen, werden wir gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.

Ich bin zuversichtlich, dass die Architektinnen und Architekten in unserem Land und die Bauwirtschaft insgesamt die Herausforderungen, die sich für sie und ihre Arbeit aus den aktuellen Lieferengpässen ergeben, mit ihrer umfassenden Fachkompetenz und Erfahrung gut bewältigen werden. Und wenn wir hinsichtlich der angesprochenen Anforderungen an vereinfachte Prozesse, gegenseitige Fairness von Auftraggebern und -nehmern sowie Ressourcenschonung Lernerfahrungen aus der Krise für die Zeit danach sichern können, sind wir für zukünftige Herausforderungen noch besser gerüstet.

 

 

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