In guten Schulgebäuden lernt man besser

Über gute Schulen ist in den letzten Jahren viel gesagt und geschrieben worden. Mehr denn je sind Schule und auch das Schulgebäude in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Vor allem nach der „Corona-Krise“, nach einer Zeit mit Lockdown, Schulschließungen, digitalem Unterricht und Homeschooling, ist vielen Schülerinnen und Schülern, aber auch den Eltern deutlich geworden, dass „Schule“ viel mehr ist als einfach nur Unterricht.

12. September 2023von Dorothee Feller

Schule, das ist auch:

  • Sich auf dem Schulweg durch das Quartier/ durch den Ort bewegen;
  • Eine andere „Home Base“ neben dem Zuhause haben;
  • Gezieltes und zufälliges Begegnen mit anderen, mit Schülerinnen und Schülern, mit Freundinnen und Freunden;
  • Sich treffen, unterhalten und sich zusammensetzen;
  • In der Pause herumtoben, Fußball oder Tischtennis spielen, das Neueste austauschen;
  • „Chillen“, Gespräche führen;
  • Gemeinsam mit anderen an einer Aufgabe arbeiten und auf das Ergebnis stolz sein;
  • In einer Gruppe diskutieren, debattieren und Kompromisse treffen;
  • Anderen etwas erklären;
  • Gemeinsam etwas essen;
  • Sport oder Musik machen;
  • Etwas in der Gruppe vortragen oder vorführen;
  • Experimentieren;
  • Einen Lieblingsplatz haben.

Diese Dinge gehören heute ganz selbstverständlich zur Schule hinzu, und wir wissen, dass gerade diese Dinge dazu beitragen, dass sich Schülerinnen und Schüler in der Schule wohlfühlen, sich mit ihr identifizieren und motiviert werden.

Klar ist: Man braucht dafür auch gute Räume. Der Schulbau hat sich in den letzten 20 Jahren durch geänderte Anforderungen und Ansprüche wie den Ganztag, andere Unterrichtsmethoden und Lernkulturen deutlich verändert. Während noch bis Mitte der 1990er Jahre neue Schulen auf der Grundlage von „Schulbau-Richtlinien“ und verbindlichen Muster-Raumprogrammen gebaut wurden und somit in der Regel aus einer Aneinanderreihung von standardisierten Räumen und notwendigen Fluren bestanden, ist das Planen und Bauen einer Schule heute sehr viel komplexer geworden. Bei den neu gebauten Schulen dominieren zunehmend neue Raum-Formen wie Lernbereiche, „Cluster“ und Lernlandschaften. Und weil Schule eben heute mehr ist als klassischer Frontalunterricht, kommt es sehr darauf an, wie in der jeweiligen Schule genau gearbeitet wird.

Bedeutung der „Phase Null“

Längst haben sich Beteiligungsmodelle wie zum Beispiel sogenannte Phase Null-Prozesse in der Praxis etabliert. Dabei wird - im Gegensatz zum herkömmlichen Verfahren - noch vor Festlegung des Raumprogramms gemeinsam überlegt, welche Räume in welcher Konstellation und in welcher Zuordnung zueinander überhaupt benötigt werden. Dazu ist es wichtig, vom Bedarf auszugehen: Was soll denn eigentlich genau gemacht werden? Wie wird an dieser Schule der Unterricht gestaltet? Gibt es Frontalunterricht, Gruppenarbeiten oder individuelle Lernzeiten? Wie arbeiten die Klassen und Jahrgangsstufen zusammen, gibt es Cluster oder gemeinsame Aktivitäten? Wie ist die Zusammenarbeit der Lehrerinnen und Lehrer organisiert?

Neue Schulen - neue Räume

Anhand solcher Überlegungen wird schnell deutlich, dass eine „neue“ Schule neue Räume braucht. Ein paar Beispiele:

  • Klassenräume sollen so beschaffen sein, dass unterschiedliche Lernformen (Gruppenarbeit, Einzelarbeit, Frontalunterricht) möglich sind. Dafür soll die Möblierung flexibel sein, und der Raum muss auch hinsichtlich seines Raumzuschnitts, seiner Erschließung, Belichtung, Beleuchtung oder festen Einbauten eine variable Ausrichtung ermöglichen können.
  • Neben den Klassenräumen gibt es flexibel nutzbare weitere Räume, wie etwa Gruppen-, Differenzierungs- oder Mehrzweckräume, die auch für kleine Gruppen geeignet sind und zur Benutzung einladen.
  • Transparenz zwischen Räumen sorgt für Licht und eine offene Atmosphäre und ermöglicht es Lehrkräften, auch kleine Gruppen im Blick zu behalten.
  • Ordnung sorgt für klare Strukturen und unterstützt die flexible Nutzung von Räumen; daher ist viel Stauraum für Materialien, Taschen und persönliche Dinge wichtig.
  • Wenn Klassen in „Clustern“ organisiert sind, sind gemeinsam nutzbare weitere Räume und z. B. auch Toiletten und Garderobenräume sinnvoll.
  • Auch Lehrkräfte benötigen neue Räume – das althergebrachte Lehrerzimmer besteht heute oft aus mehreren zentralen und dezentralen Räumen, um gemeinsames Besprechen in großen und kleinen Gruppen, aber auch individuelles Arbeiten zu ermöglichen.

Diese Liste könnte man noch weiter fortführen. Die neue Schulbaurichtlinie für das Land Nordrhein-Westfalen regelt im Übrigen schon seit 2020, dass es Lernbereiche mit bis zu 600 m2 Grundfläche geben kann, sodass auch flexible Grundrissgestaltungen mit multifunktional nutzbaren Bereichen ohne „notwendigen Flur“ möglich sind. So können auch Clusterlösungen und offene Lernlandschaften bauaufsichtlich sicher geplant und ausgeführt werden. Dies ist ein großer Vorteil für den modernen Schulbau!

Die neue Schulbaurichtlinie wurde gemeinsam vom Bau- sowie vom Schulministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und vielen Expertinnen und Experten entwickelt - und ist übrigens bundesweit einzigartig.

Keine Zukunftsmusik

Dass diese Überlegungen zu den „neuen Räumen“ keine Theorie oder „Zukunftsmusik“ sind, sondern längst in der Praxis angekommen sind, zeigt aktuell der „Schulbaupreis 2023“, die Auszeichnung vorbildlicher Schulbauten in Nordrhein-Westfalen. Dieses Auszeichnungsverfahren, das in 2023 bereits zum vierten Mal durchgeführt wird, ist ein Gemeinschaftsprojekt der Architektenkammer NRW und des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes. Es werden dabei innerhalb der letzten fünf Jahre fertig gestellte Schulbauprojekte in Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet, die sowohl in pädagogischer als auch in architektonischer Hinsicht besonders vorbildlich sind.

Zum diesjährigen Schulbaupreis wurden 63 neue Schulgebäude und Schul(um)baumaßnahmen an Schulen aus ganz Nordrhein-Westfalen eingereicht, die ein eindrucksvolles Bild davon vermitteln, wie die neuen Räume und Anforderungen bereits in der Praxis angekommen sind.

Schulbaupreis 2023 in NRW

Um objektiv die Qualität der eingereichten komplexen Projekte hinsichtlich der vielfältigen Anforderungen beurteilen zu können, haben wir uns zu einem zweistufigen Verfahren entschieden, bei dem alle Schulen der engeren Auswahl bereist und besichtigt wurden. Zudem haben wir erstmals eine umfangreiche inhaltliche Vorprüfung vorgenommen, um die eingereichten Projekte nicht nur hinsichtlich ihrer architektonischen Qualität, der Einbindung in die Umgebung, der Beachtung nachhaltiger Aspekte usw. bewerten, sondern auch objektiv die pädagogische Qualität beurteilen zu können. Hierzu haben Teams aus bauerfahrenen Pädagoginnen und Pädagogen die eingereichten Projekte auch hinsichtlich ihrer pädagogischen Nutzungs- und Aufenthaltsqualität, der Nutzbarkeit für Unterrichtszwecke gemäß neuen Anforderungen und des sich aus der Architektur ergebenden „Mehrwertes“ für die Schule betrachtet. Die durch die Jury festgestellten Schulen der engeren Wahl wurden dann vor Ort angeschaut. Diese Besuche haben eindrucksvoll gezeigt, ob und wie die Räume in der Praxis wirklich genutzt und gelebt, wie Räume in den Schulalltag integriert und wie sie angenommen werden. Auf dieser Grundlage konnte die interdisziplinäre und mit namhaften Expertinnen und Experten besetzte Jury zehn Projekte mit dem „Schulbaupreis 2023“ auszeichnen.

Aus dem Verfahren haben auch wir als Organisatoren einiges gelernt, nämlich wie weit die „neuen Räume“ bereits in der Praxis angekommen sind und gelebt werden. Und wie wichtig der Besuch vor Ort ist. Architektinnen und Architekten wissen das längst: Kein Buch, kein Bericht über neue Räume und Schulgebäude ist so eindrucksvoll wie die Besichtigung eines guten Beispiels vor Ort, bei dem man sieht, wie alles in der Realität funktioniert und gelebt wird. Auch um Zweifelnde im Entwurfsprozess z. B. hinsichtlich neuer Raumformen zu gewinnen und zu begeistern, überzeugt nichts so nachhaltig wie die gemeinsame Besichtigung einer vorbildlichen Schule. Und das nächste gute Beispiel steht vielleicht bereits in der Nachbarschaft!

Beteiligung stärken!

Es hat sich zudem bestätigt, wie wichtig Beteiligungsprozesse sind: Bei allen ausgezeichneten Preisträgern hat eine gezielte Verknüpfung von schulischen und architektonischen Belangen zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Prozess stattgefunden, sei es als Workshop, als umfangreicher „Phase Null“-Prozess, als moderierte Beratung oder in anderen Beteiligungsformaten. Dies hat dann offensichtlich in Folge dazu beigetragen, dass das Schulgebäude besonders gut funktioniert und somit besonders gelungen ist.

Aber letztendlich: Gute Architektur ist nicht nur ein funktionaler Mehrwert für die Schule und das Schulgebäude. Genauso wichtig ist, dass gute Architektur schön ist und ein ästhetischer Gewinn. Die wertschätzende Wirkung, die eine gut gelungene Architektur auf die Menschen, für die es gebaut wurde – Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte -, ausübt, ist erheblich und ein allgemein noch weithin unterschätzter Aspekt.

Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig die Zusammenarbeit von Architektinnen und Architekten und Pädagoginnen und Pädagogen ist. In diesem Sinne freue ich mich auf viele neue vorbildliche Schulen und die weiteren gemeinsamen Projekte!

Schulbaupreis 2023

Alle drei Jahre loben die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und das Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW gemeinsam den „Schulbaupreis“ aus. Urheber*innen sowie Schulträger sind aufgefordert, sich mit neuen Objekten bzw. Modernisierungen von Schulgebäuden um die Auszeichnung zu bewerben.

Ziel des Verfahrens ist es, innovative, richtungsweisende neue Schulbauten öffentlich hervorzuheben, sie zu würdigen und auf diese Weise Orientierung zu bieten und zur Nachahmung anzuregen.

Zum „Schulbaupreis 2023“ waren 63 Arbeiten aus verschiedenen Schulformen und Aufgaben eingereicht worden. Nach einem zweistufigen Jurierungsverahren wurden am 11. September 2023 zehn Preisträgerinnen und Preisträger in einer festlichen Zeremonie in Köln ausgezeichnet. Weitere Informationen

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