Kuba: Immer bis zum Sieg!
Funkelnde Chevrolets, Cheyennes, Cadillacs und Dodges vor strahlender Kolonialarchitektur, tanzende Menschen in bunten Kleidern, Zigarrenduft und Meeresrauschen: Havanna erfüllt alle Klischeebilder, die europäische Touristen nach Kuba locken. Es ist ein morbider Charme, der auf den ersten Blick fasziniert, der aber auch erschrecken kann, wenn man genauer hinsieht. 50 Jahre nach der Revolution herrscht auf der wunderschönen Karibikinsel eine Stagnation, die dazu führt, dass der Verfall historischer Errungenschaften aus verschiedenen Epochen allgegenwärtig ist. Ein Besuch auf Kuba ist für Architektinnen und Architekten deshalb gegenwärtig ungemein interessant und lehrreich, wird man doch Zeitzeuge eines Landes im Umbruch.
Die Annäherung der Jahrzehnte verfeindeten Nachbarn Kuba und USA, die in diesen Tagen erstmals wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen, wird das Antlitz Kubas vermutlich innerhalb weniger Jahre rasant verändern. Die Architektenkammer NRW bietet in diesem Jahr und Anfang 2016 Fachexkursionen für Architekten und Stadtplaner an, in deren Rahmen Havanna und weitere Orte auf Kuba im Kollegenkreis und mit fachlicher Führung besucht werden können. Ein packendes Erlebnis.
Er sei "300 Prozent Habanero", stellt sich René Caparrós Aguiar der Architektengruppe aus Nordrhein-Westfalen vor. Der 68-jährige, der in den frühen 1970er Jahren in Leipzig studierte und damals fließend Deutsch gelernt hat, leitet die Fachexkursionen der AKNW durch Havanna und (auf Wunsch ergänzend) durch das Zentrum der Karibikinsel. Wie viele seiner Generation ist René sehr stolz auf sein Land und auf die Errungenschaften der kubanischen Revolution von 1959.
Die Geschichte Kubas reicht aber weiter zurück. Die Altstadt von Havanna entstand zu einem großen Teil im 17. und 18. Jahrhundert. Kolonialarchitekturen, die vielfach in den letzten Jahren saniert werden konnten und heute wieder in großer Pracht erstrahlen. 1982 wurde "La Habana Vieja" von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Dennoch reicht das Geld des verarmten Landes bei weitem nicht aus, um alle notwendigen baulichen Maßnahmen in der Altstadt zeitnah durchzuführen, erläutert Arturo Pedroso vom Bau- und Denkmalamt der Stadt Havanna. "In Alt-Havanna haben wir rund 4.000 Gebäude, von denen erst ein Drittel saniert werden konnte", räumt der "Stadtarchivar" ein. Seine Behörde analysiert sämtliche Bauwerke im Kulturerbebereich, nimmt eine historische Bewertung vor und legt dann konkrete Baumaßnahmen fest. Die Umsetzung ist aber nicht einfach, da die Besitzstruktur für Wohngebäude auf Kuba kompliziert ist: Nach der Revolution wurden viele Häuser enteignet und dem Staat überschrieben. Der wiederum teilte in die oft großen Altbauten in kleine Wohneinheiten auf und übertrug sie mit der 2. Hausreform 1960 auf die Bewohner. Die Wohnungen sind seither in Privatbesitz, nicht aber die Gebäude. Diese Struktur erschwere Maßnahmen, die sich auf das gesamte Bauwerk beziehen, erläutert Arturo Pedroso.
Drei Millionen Touristen kamen 2014 nach Kuba, davon laufen mehr als eine Millionen durch die Hauptstadt. Auch das belaste die alte Bausubstanz in La Habana Vieja. "Wir hoffen, bis 2030 die Sanierung der Altstadt abgeschlossen zu haben", so der Stadtarchivar. Wie sich die Eigentumsverhältnisse auf Kuba bis dahin entwickeln, ist allerdings noch völlig offen. Bislang dürfen Kubaner ihre Wohnungen durchaus tauschen und auch verkaufen - allerdings nur an Einheimische mit dauerhaftem Wohnsitz auf Kuba. Sollte sich die Öffnung gegenüber den USA aber fortsetzen, ist absehbar, dass die nur 50 km entfernt lebenden Exilkubaner in Florida und andere US-amerikanische Investoren versuchen werden, Eigentum auf der Zuckerrohrinsel zu erwerben. Wohnungen wäre heute für umgerechnet 20 000 Euro zu haben - wenn sie denn von Ausländern erworben werden dürften.
Havanna durchlief in ihrer Geschichte mehrere Erweiterungszyklen. Ein großer Bauboom setzte um die Wende zum 20. Jahrhundert ein und prägt bis heute die Struktur der Landeshauptstadt. Es entstand ein vollständig neuer Stadtteil, El Vedado. Auf einem Raster von 100 x 100 Meter-Karrees errichteten wohlhabende Habaneros Wohnbauten im eklektischen Stil, ab den 1920er Jahre ergänzt um Gebäude im Art déco-Stil. "Strenge Bauvorschriften sorgten dafür, dass die Bauwerke in großer gestalterischer Harmonie entstanden", erläutert Prof. Dr. Arch. Jorge Peña Díaz. Der kubanische Architekt lehrt an der Architekturschule Centro de Estudios Urbanos de la Habana und begleitet ebenfalls die Fachexkursionen der AKNW in Havanna.
Eines der beeindruckendsten Bauwerke ist das Gebäude López Serrano, Kubas erster Wohnhochhaus von 1932. Die Architekten Mira y Rosich errichteten das Gebäude im Art déco-Stil, der dem Großbau bis heute einen besonderen Charme verleiht. Auch hier wirkt vieles verfallen: Fenster sind mit Brettern vernagelt, zerbrochene Stufen und Leuchten werden nicht ersetzt. "Wir sind hier vor 50 Jahren hier eingezogen. Damals war das eines der modernsten Häuser in Havanna", erzählen Raquel und José den deutschen Besuchern. Beide sind heute 84 Jahre alt, leben in einer Erdgeschosswohnung eines gewaltigen Wohnblocks. "Vor ungefähr 20 Jahren haben wir das letzte Mal die Wände streichen können", sagt Raquel entschuldigend. Dennoch ist sie stolz - auf ihre drei Söhne, auf ihr Land, auf das gute Gesundheitssystem.
In der Tat gilt Kubas medizinische Versorgung als vorbildlich. Auf der Fahrt durch Havanna kommt die Besuchergruppe aus NRW immer wieder an großen Krankenhauskomplexen vorüber, auf die Führer René Caparrós ausdrücklich hinweist. Auch das Bildungswesen wurde im revolutionären Kuba systematisch ausgebaut. Die Kunsthochschule ISA drückt das neue Verständnis einer sozialistischen Gesellschaft mit hohem Bildungsanspruch für alle Bevölkerungsschichten in beeindruckenden Bauwerken aus, die sich kleinteilig und zurückhaltend in die Landschaft eines früheren Golfclubs einfügen. Der Legende nach sollen Fidel und Raul Castro beim Golfspielen mit Che Guevara auf die Idee verfallen sein, das elitäre Gelände in ein Gemeinwohlprojekt umzuwandeln. 1961 wurde mit dem Bau begonnen. Die Architekten Vicardo Porro, Vittorio Garatti und Roberto Gottardi entwarfen (jeder für sich) Beiträge zu insgesamt fünf Gebäudekomplexen, in denen die verschiedenen Kunstdisziplinen untergebracht werden sollten. Materialengpässe und wirtschaftliche Probleme des Landes führten aber dazu, dass es immer wieder zu Verzögerungen und einem Baustopp kam. Bis heute sind nur Teile der Anlage im Betrieb, die Theaterschule liegt mahnend als Bauruine halb eingegraben in der Landschaft. Gleichwohl besticht die Anlage durch ihre hohe gestalterische Qualität, so dass die Architektengruppe aus NRW geneigt ist, Prof. Jorge Pena Díaz zu glauben, als er feststellt, dass die Kunsthochschule ISA die schönste Kunsthochschule in ganz Lateinamerika sei.
Die AKNW-Fachexkursion führt durch aufregende Bauten aus Backstein, in denen junge Leute mit Laptop und Handys sitzen (wobei der Internetzugang auf Kuba stark eingeschränkt ist). Sie sind dankbar für ihre Ausbildung und freuen sich darüber, dass ihr Land die internationalen Kontakte verstärken will. "Natürlich würde ich meine Bilder auch gerne im Ausland präsentieren", sagt Ketty. Die 25-jährige studiert Malerei im dritten Semester. Ihre Bilder verzerrter Körper mag man in Bezug zu einer Gesellschaft setzen, in welcher der Anspruch auf Chancengleichheit längst mit vielfacher Armut kollidiert.
Das parallele Währungssystem von kubanischen Pesos (CUP) für die Einheimischen und kubanischer konvertibler Währung (CUC) für Touristen hat dazu geführt, dass Kubaner, die mit Touristen in Berührung kommen, sehr schnell viel Geld verdienen können. In Havanna sieht man deshalb junge Leute mit westlicher Markenkleidung durch die Stadt laufen, während auf dem Lande teilweise bittere Armut herrscht. Die Architektur, die man außerhalb der größeren Städte findet, ist entweder in der kolonialen Zeit entstanden oder längst verfallen. Bauern schieben ihren Handpflug hinter ausgemergelten Ochsen her, Transporte per Handkarren sind üblich. Die Felder sind schlecht bestellt oder nur für den privaten Gebrauch. Einzig die Zuckerrohrfelder vermitteln den Eindruck einer lebendigen Landwirtschaft. "Als Ihr Euch über die Wende und die Wiedervereinigung Deutschlands gefreut habt, sind bei uns die Lichter ausgegangen", erinnert sich René Caparrós, während er mit einer kleinen Gruppe von sieben NRW-Architekten eine dreitägige Kulturreise durch das Landesinnere unternimmt. Denn der Zusammenbruch des Ostblocks führte auf Kuba dazu, dass wichtige Handelspartner und Unterstützer von heute auf morgen wegbrachen. Insbesondere die Versorgung mit Öl aus der Sowjetunion wurde auf ein Minimum reduziert - mit fatalen Folgen für die Infrastruktur und die Energieversorgung auf Kuba. Der Stillstand, der seitdem herrscht, ist mit Händen greifbar. Neue Investitionen außerhalb der touristischen Orte: Fehlanzeige. Überall blättern Putz und Farbe. Der Verfall steht in einem nahezu ironischen Kontrast zu den weiterhin überall zu lesenden sozialistischen Kampfparolen der Revolution. "Der Sozialismus wird siegen", liest man an Häusern, aus deren Fenstern Büsche wuchern. "Immer bis zum Sieg", fordert Che Guevara, der 1967 in Bolivien erschossen wurde, weiterhin auf Häusern, Brücken und Mauern überall im Lande.
Ein Sieg, der angesichts der bleiernen Lähmung, die auf diesem schönen Land im Jahr 2015 allenfalls in einer engeren Kooperation mit internationalen Partner gesehen werden könnte. Vielleicht geschieht dies in den kommenden Monaten, wenn Kuba sich wirklich öffnet und Investitionen erlaubt. Beispielsweise in den Gebäudebestand, der in dieser Dichte und gestalterischen Qualität seinesgleichen sucht.
Exkursions-Termine im Winter
Die AKNW bietet in Kooperation mit der Fachagentur Poppe-Reisen weitere Fachexkursionen nach Kuba an. Termine:
- 04. - 09.12.15
- 15. - 20.01.16
- 22. - 27.01.16
Preis: ab 1890 Euro.http://www.poppe-reise.de
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