Ernst Otto Glasmeier (1921 – 2021): Ein Jahrhundert voller Architektur, Kunst und Politik

Der Gelsenkirchener Architekt Ernst Otto Glasmeier ist am 26. August, nur drei Wochen vor seinem 100. Geburtstag, verstorben. Glasmeier zählte zu den prägenden Architekten im Ruhrgebiet und war von 1972 bis 1987 Vorstandsmitglied der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

01. September 2021von Dr. Alexandra Apfelbaum

Die Stadt Gelsenkirchen wäre heute anders, hätte Ernst Otto Glasmeier in dieser Stadt nicht über viele Jahrzehnte hinweg gewirkt. Und dies auf so vielen unterschiedlichen Ebenen: Als Architekt, als Stadtplaner, als Politiker, als engagierter Bürger, als Kunstsammler und Förderer. Er ist das, was man heute in hochauflösenden Business-Magazinen als „Netzwerker“ bezeichnet. Zählt er doch zu jener avantgardistischen Gelsenkirchener Szene, die sich in den 1960er-Jahren formierte und zu der unter anderem der damalige Bürgermeister Hubert Scharley, der Journalist Heiner Stachelhaus, die Kunstkritikerin Anneliese Knorr, der Kulturdezernent Hubert Lichte und der Architekt Werner Ruhnau zählten. Und die mit Orten wie dem Pianohaus Kohl, der Künstlersiedlung Halfmannshof, dem Musiktheater und zahlreichen privaten Ateliers und Galerien die Stadt an die internationale Kunstszene andockten. Ein Treffpunkt der damaligen Avantgarde wurde auch das Künstleratelier von Glasmeiers Sohn Rolf in der Horster Straße 13. Ohne dieses Netzwerk hätte es in Gelsenkirchen keine vorbildliche Architektur, kein Theater, kein Fluxus, kein ZERO gegeben und auch die Sammlung des Museums würde sich heute sicherlich anders präsentieren.

Gemeinsam mit Werner Ruhnau zählt Glasmeier zu denjenigen, die in ihrem architektonischen Schaffen von Beginn an ganz eng mit der Kunst verwoben waren und entscheidenden Wert auf die tatsächliche Integration von Kunst und Bau legten. Glasmeiers prominentestes Beispiel dürfte in diesem Zusammenhang das Schalker Gymnasium sein, dessen klare, serielle, scheinbar unendlich lange Fassade, bestehend aus der Aneinanderreihung immer wieder gleicher Elemente, Assoziationen zum Film Noir oder einer Klaviatur aufkommen lässt. Die Decke der großen Aula hatte der ZERO-Künstler Ferdinand Spindel, ein langjähriger Freund von Glasmeier, mit einem riesigen Wolkenhimmel aus Schaumstoff versehen. Leider konnte das Material der Zeit nicht standhalten und musste entfernt werden. Auf dem Schulhof findet man noch heute die Plastik von Günther Uecker.

Ernst Otto Glasmeier begann sein Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Aachen bei Hans Schwippert und beendete es an der Technischen Hochschule in München bei Hans Döllgast. Heute kann er auf über 50 Jahre Schaffenszeit als Architekt zurückblicken – ein halbes Jahrhundert an Erfahrungen und Erkenntnissen. Er zählt zur Architektengeneration der ersten Nachkriegsmoderne, deren Veränderungs- und Gestaltungswille zur Voraussetzung für die Aufbau einer neuen Gesellschaft wurden. Glasmeier war ein „Macher“ und auch ein „Malocher“, wie sie selbst im Ruhrgebiet heute nur noch selten zu finden sind. Er wollte verändern und gestalten und das zunächst mittels der Architektur. Glasmeier Bauten – und die seiner damaligen Partner Hubert Halfmann und Egbert Drengwitz – haben das Bild der Stadt Gelsenkirchen entscheidend mitgeprägt und gelten in vielen Fällen als vorbildlich. 1921 in Wanne-Eickel geboren und aufgewachsen, ist Glasmeier dem Ruhrgebiet immer tief verbunden geblieben und drängte nicht nach internationalen Wettbewerben, sondern versuchte ortsgebunden Einfluss zu nehmen. Er selbst verstand sich immer als „politischer Architekt“.

Mit seinen Wohn- und Geschäftshäusern und weiteren öffentlichen Bauten in Gelsenkirchen hat er gestalterisch neue Maßstäbe gesetzt. Wenn es irgendwann soziale Architektur gegeben hat – Ernst Otto Glasmeier hat sie in Gelsenkirchen gestaltet und etabliert. Auftraggeber und Bauherren seiner vielfach ausgezeichneten Bauten waren unter anderem die Arbeiterwohlfahrt oder das Sozialwerk St. Georg, die Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH, die Rheinisch-Westfälische Wohnstätten AG und natürlich die Stadt Gelsenkirchen. Seine Bauten waren dabei fast immer klar und unprätentiös, Einflüsse aus der niederländischen Baukunst liegen auf der Hand. Die Grundrisse, in denen er beispielsweise jedem einzelnen von vier Zimmern an einer sieben Meter langen Fassade durch Staffelungen, Eckfenster, Vor- und Rücksprünge eine individuelle Qualität gibt, zeugen von seinen Fähigkeiten als Architekt.

Glasmeier hat sich vor allem in den 1960er- und 1970er Jahren stark kommunal- und kulturpolitisch engagiert. So war er über zwei Wahlperioden für die SPD im Rat der Stadt Gelsenkirchen und Mitglied im Ausschuss für berufsbildende Schulen, im Kulturausschuss und im Bauvergabeausschuss. Seit 1984 war er ebenfalls als sachkundiger Bürger im Kulturausschuss der Stadt ehrenamtlich tätig. Darüber hinaus war Glasmeier auch in vielen berufsständischen Gremien ehrenamtlich tätig, so wurde er bereits 1959 Mitglied im Bund Deutscher Architekten (BDA) und versuchte als lokaler Vorsitzender des BDA Gelsenkirchen und der Bezirksgruppe Ruhrgebiet sich einzumischen und zu vermitteln. In der 1960er-Jahren initiierte er in Gelsenkirchen zwei Kongresse, die die Themen der Zeit vorwegnahmen: „Gesellschaft durch Dichte“ und „Die Großstadt, in der wir leben wollen“.

Ein Jahr nach der Gründung der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen (AKNW) 1970 wurde Glasmeier ein engagiertes Mitglied und blieb es bis zu seinem Tode. Seit 1971 war er zudem Mitglied der Vertreterversammlung, dem höchsten Organ der AKNW, und von 1972 bis 1987 gehörte er dem Vorstand an. In seiner Eigenschaft als Ausschussvorsitzender des Ausschusses „Bauplanung und Planungsnormen“ sowie als Vorsitzender der über drei Jahre gemeinsam arbeitenden Ausschüsse „Bauplanung/Bautechnologie“ hat er entscheidend dazu beigetragen, das Normwerk im Bauwesen zu entflechten. Er hat einen großen Anteil daran, dass der teilweise überflüssigen zusätzlichen Normierung im Bauwesen Einhalt geboten und das komplette Normwerk für alle am Bau Beteiligten transparenter und praktikabler gestaltet und damit anwendbar wurde.

Neben seiner Arbeit als Architekt und seinem politischen Engagement hat er zahlreiche Ausstellungen kuratiert, Kulturinitiativen initiiert und als Sammler immer wieder eine gute Nase für neue Strömungen bewiesen. Auch als Architekt hatte er ein gutes Gespür bewiesen und letztlich so gebaut, wie es heute wieder sinnvoll erscheint: sozial und effektiv. 1985 wurde Glasmeier für seine Verdienste um den Berufsstand des Architekten und die Baukultur in Nordrhein-Westfalen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Seine Verdienste für die Stadt Gelsenkirchen dürften dem in nichts nachstehen. Fast wäre es der damaligen Szene in Gelsenkirchen noch gelungen, ein ZERO-Museum in der Stadt zu errichten. Vielleicht sollte es damals nicht sein. Vielleicht ist es dagegen nun Zeit für einen kleinen, aber feinen Ort in Gelsenkirchen, der Kunst, Architektur, Politik und gesellschaftliches Engagement wieder zusammenbringt – der Tod Ernst Otto Glasmeiers könnte ein passender Anlass sein, darüber nachzudenken. Es wäre ganz in seinem Sinne.

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