„NRW lebt. - mobiler leben!" in Köln

Es ist faszinierend zu erleben, wie viel Spaß die intensive Arbeit an einem komplexen Thema wie „Nahmobilität‘ machen kann!“ Tim Rieniets, Geschäftsführer der Landesinitiative StadtBauKultur NRW, zog in seiner Anmoderation zur Abschlussrunde der Veranstaltung „NRW lebt. - Mobiler leben!“ ein rundum positives Fazit zur jüngsten Veranstaltung der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen zur Aktionsplattform „NRW lebt.“ Am 22. April machten sich rund 100 Fachleute und Laien, Repräsentanten aus Politik und Verbänden sowie Bürgerinnen und Bürger in Köln auf den Weg, um die besonderen Anforderungen an die Nahmobilität und den öffentlichen Raum unter dem Vorzeichen des Planens und Bauens in NRW am eigenen Leibe zu erfahren bzw. zu erwandern. „Ein ungewöhnlicher Ansatz, der bestens funktioniert hat und mit dem wir die Diskussion um einen besseren öffentlichen Raum für alle Bürger ein gutes Stück voranbringen konnten“, bilanzierte auch der Präsident der Architektenkammer NRW, Ernst Uhing.

23. April 2015von Christof Rose

Der Tag hatte in Köln mit Aufregung für die Veranstalter begonnen: Der kurzfristig angekündigte Streik der Gewerkschaft der Lokführer am Veranstaltungstag führte nicht nur zu einer erschwerten Anreise zum Veranstaltungsort Gürzenich in der Kölner City, sondern verdeutlichte auch auf anschauliche Weise, dass der automobile Individualverkehr in den Ballungsräumen und Großstädten des Landes längst an seine Grenzen gestoßen ist.

„Wir müssen den Stadtraum als Erlebnisraum zurückgewinnen“, erklärte der Schirmherr der Aktionsplattform „NRW lebt“, Michael Groschek, in seinem Redebeitrag. Die „Neue Mobilität“ sei ein Mega-Thema in den leitendenden Metropolen Europas, führte der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. NRW mit Verweis auf London, Zürich und Kopenhagen aus. „Natürlich müssen wir die Infrastruktur in Ordnung bringen - aber zugleich auch noch vorne blicken!“

Abschied von der autogerechten Stadt


Die Sanierung von Straßen und Brücken sei gegenwärtig für den Bau- und Verkehrsminister eine wichtige und dringliche Aufgabe; aber auch der Bau von „Radautobahnen“ und neuen Knotenpunkten für die Vernetzung von Fuß- und Radverkehr mit dem ÖPNV dürfe nicht länger warten, erklärte Minister Groschek. Der demografische Wandel mache es unverzichtbar, öffentliche Räume für Fußgänger zu gestalten, Aufenthaltsqualitäten zu schaffen dem Menschen Vorrang vor dem Automobil zu geben. „Wir rufen ‚Platz da!‘ für Spiel- und Bewegungsflächen“, spitzte Michael Groschek seine Botschaft zu. Dafür werde des Land u. a. das Straßen- und Wegegesetz NRW und die Landesbauordnung anpassen, um beispielsweise Abstellplätze für Fahrräder voranzutreiben anstelle einer starren Stellplatzregelung für Kfz. „Wir wollen die autogerechte Stadt endgültig ins Museum schicken“, rief der nordrhein-westfälische Bau- und Verkehrsminister.

Vier Exkursionen - viele Erkenntnisse

Im Zentrum der „NRW lebt.“-Veranstaltung in Köln standen vier Fachexkursionen, die jeweils zur Vor-Ort-Diskussion eines bestimmten Detailthemas einluden. In Gruppen von ca. 20 Personen erkundeten die Teilnehmer zu Fuß den innerstädtischen Raum, fuhren mit dem Fahrrad durch enge städtische Straßen, prüften den öffentlichen Personennahverkehr auf seine barrierefreie Nutzbarkeit und allgemeine Verständlichkeit und suchten auf unwirtlichen Gewerbe- und Brachflächen nach städtebaulichen Potenzialen im innerstädtischen Bereich.

Die Touren hatte der Kölner Stadtplaner Boris Sieverts mit seinem „Büro für Stadterkundungen“ und in Abstimmung mit der AKNW ausgearbeitet. „Wir wollen am eigenen Leib kritische Bereiche erfahren und auch gute Beispiele anschauen“, gab Sieverts das Ziel vor. Dies gelang den vier Gruppen auf ganz unterschiedlichem Wege: zu Fuß und mit dem Rollstuhl; auf dem Fahrrad; mit der U-Bahn und dem Bus; mit Seilbahn und Bootsfahrt.

ÖPNV: Besser zugänglich und verständlich machen

„Ich habe die Stadt heute mit ganz anderen Augen wahrgenommen“, fasste Ralf Decker seine Erfahrungen zusammen. Er hatte als interessierter Bürger an der Veranstaltung teilgenommen und sich vor allem mit dem ÖPNV befasst. „Neue Haltestellen wie die U-Bahn-Station Heumarkt sind großartig“, resümierte Decker übereinstimmend mit Ernst Herbstreit, Landschaftsarchitekt im Vorstand der AKNW. Beide zeigten sich aber einig in der Forderung, dass der Altbestand schneller den Erfordernissen des demografischen Wandels angepasst werden müsse. Fehlende Aufzüge, falsche Einstiegshöhen vom Bahnsteig zur Bahn und nur schwer verständliche Informations- und Kassenautomaten erschwerten nicht nur älteren Mitbürgern, sondern auch Kindern und Migranten die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs.

Barrierefreiheit und Qualität im öffentlichen Raum

Der ÖPNV müsse insgesamt besser mit anderen nicht-motorisierten Fortbewegungsarten verknüpft werden, so ein Fazit der Fahrrad-Tour „Von der Innenstadt bis zur geplanten Low Line“. „Es ist gut, dass in Köln viele Anregungen aus der Bürgerschaft zu einer Verbesserung der Fahrradwege kommen“, betonte AKNW-Vorstandsmitglied Claus Klein. Der Architekt aus Meerbusch berichtete von den Schwierigkeiten auf vielen innerstädtischen Straßen, sich als Radfahrer gegen den Automobilverkehr zu behaupten. Gut seien die Angebote z. B. der Radstation am Hauptbahnhof, einige klar abgetrennte Radwege und visionäre Projekte wie die geplante „Low Line“, ein begrüntes Fuß- und Radwegesystem entlang der ehemaligen Gütertrasse, die eine direkte und schnelle Anbindung von Ehrenfeld bis in den Stadtwald möglich machen würde. „Wir wünschen uns für Köln einen Verkehr des guten Lebens“, unterstrich auch Ralph Herbertz vom Kompetenzteam KlimaBildung Köln, einem der Kooperationspartner der Architektenkammer für diese „NRW lebt.“-Veranstaltung. Gemeint war damit ein Verkehr, der die Umwelt schützt, die Gesundheit fördert und Lebensqualität in die Städte bringt.

Dass dazu auch ein weitgehend barrierefrei nutzbarer öffentlicher Raum gehört, sollte sich von selbst verstehen. Allein: umgesetzt ist dieser Anspruch noch lange nicht, wie die Exkursion zu Fuß rund um dem Hauptbahnhof erwies. „Es gibt einfach noch viel zu viele Schwellen, Stufen, Engpässe und Hindernisse, als dass Rollstuhlfahrer oder Menschen, die auf einen Rollator angewiesen sind, sich selbstständig und sicher bewegen könnten“, erläuterte AKNW-Vorstandsmitglied Gabriele Richter anhand einiger Fotobeispiele. Ihr Vorstandskollege Klaus Brüggenolte, Vorsitzender der Arbeitsgruppe „NRW lebt.“ in der Architektenkammer NRW, unterstrich, dass mehr Barrierefreiheit auch jungen Familien mit Kinderwagen, Fußgängern mit Einkaufswagen und Skateboardern zugutekämen. „Es geht darum, mehr Aufenthalts- und Nutzungsqualität für Straßen und Plätze zu gewinnen.“

Brachen: Barriere und Potenzial zugleich

„Es war irgendwie unheimlich: riesige Flächen, menschenleer. Mitten in der Stadt!“ Edda Nebel, Kölnerin und freie Journalistin, war mit der vierten Gruppe unterwegs: „Neue Räume erobern“. Die Tour führte rechtsrheinisch über die Dächer der KölnMesse, die in ihrer Grundfläche von 13 Hektar größer ist als die gesamte Kölner Altstadt. „Eine Stadt in der Stadt, die allerdings für Menschen nicht frei zugänglich ist“, bedauerte Thomas Daum. Der Bielefelder Architekt ist Mitglied der „NRW lebt.“-Arbeitsgruppe und engagierter Verfechter lebendiger Subzentren und Quartiere. Insofern sah er die Entwicklung des ehemaligen Klöckner-Humboldt-Deutz-Geländes nördlich der Messe zu einem neuen Quartier positiv, wenngleich die Umsetzung des Masterplans noch auf sich warten lässt. Einen lebendigeren Eindruck der Veedel-Kultur vermittelte der Gruppe der sich entwickelnde Stadtteil Mülheim-Süd. „Der beste Verkehr ist derjenige, der vermieden wird“, so Thomas Daum in der Schlussdebatte der Veranstaltung. Dazu müsse immer wieder um eine gute Nahversorgung im Quartier gerungen werden.

Köln: Mehr Inter- und Multimodalität

Ein Ansatz, dem die Stadt Köln aktiv verfolgt. Christian Dörkes, Nahmobilitätsexperte im Büro des Kölner Oberbürgermeisters, stellte Kennzahlen und Ziele der größten Kommune im Land NRW vor. Die Metropole Köln wolle den Autorverkehr in der City weiter reduzieren, den Radverkehr ausbauen und mehr Aufenthaltsqualität für Fußgänger erreichen. Insgesamt setze Köln auf mehr Inter- und Multimodalität des Nahverkehrs, d.h. eine bessere Vernetzung mit hoher Taktung. „Es bleibt uns ja keine Wahl: Wir müssen und wollen uns aktiv auf die Alterung der Gesellschaft einstellen“, erklärte Dörkes.

4 Thesen zum Thema „Nahmobilität“

AKNW-Präsident Ernst Uhing fasste die Erkenntnisse der „NRW lebt.“-Veranstaltung am 22. April in Köln in vier Thesen:

1. Lebenswerte Städte sind Fußgänger-freundlich!

2. Das Fahrrad muss in den Quartieren und Stadtzentren als echte Alternative zum Automobil aktiv gefördert werden!

3. Der ÖPNV muss für alle Bevölkerungsgruppen zugänglich und verständlich sein!

4. Städtebauliche Potenziale müssen konsequenter erschlossen werden!



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