Nutzungsmischung statt Monokultur

Lehrräume stand Leerstände? Mehr studentisches Leben und kulturelle Angebote wünschte sich Manfred Bayer, der Rektor der Technischen Universität Dortmund, zum Auftakt der 11. „Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“. Er lag damit durchaus auf der Linie zahlreicher Redner*innen der zweitägigen, online gestreamten Konferenz, die in diesem Jahr nicht in der Düsseldorfer Rheinterrasse, sondern aus dem Belvedere in Frankfurt durchgeführt wurde. „Die Corona-Pandemie hat die Probleme der Innenstädte nicht geschaffen, sondern hervorgehoben und beschleunigt“, erklärten Prof. Wolfgang Sonne und Prof. Christoph Mäckler vom Institut für Stadtbaukunst Dortmund in ihrer Einführung.

29. Juni 2021von Christof Rose

Wenn Handel und Politik unisono verkündeten, dass Konsumentinnen und Konsumenten in Zukunft weniger wegen der reinen Güterbeschaffung, sondern wegen des besonderen Erlebnisses in die Innenstädte kommen würden, dann sei offensichtlich, dass dieses Erlebnis nicht nur in den Innenräumen der Geschäfte, sondern vor allem im öffentlichen Raum der Innenstädte erfahren werde, führte Prof. Sonne aus. Straßen- und Platzräume mit ihren oft stadtbildprägenden Fassadenfassungen würden zum entscheidenden „Game Changer“.

Es gebe in diesen Fragen kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem, spitzte Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, in ihrem Grußwort zu. Sie forderte die versammelte Fachwelt dazu auf, konkrete Vorschläge für aus ihrer Sicht notwendige Änderungen im Städtebaurecht vorzulegen. 

„Ziel muss eine deutlich stärker gemischte Nutzung der Innenstadt sein“, unterstrich Wolfgang Sonne. Historisch gesehen habe sich Stadt als gemischte Nutzung entwickelt. Heutzutage herrsche die Stadt der getrennten Funktionen, der „Zonierungen“ vor; und ein Aufbrechen dieser Struktur werde auch vom Städtebaurecht behindert. Heute bestehe die Notwendigkeit, die „Innenstadt“ wieder zur „Stadt“ zu machen: mit Kultur, Arbeit, Bil-dungsorten, Wohnen.

„Wir stehen wahrscheinlich noch am Anfang eines grundlegenden Strukturwandels der Stadt“, meinte Arnold Partetzky, Moderator des ersten Kongresstages. Die Krise berge die Chance, Städte wieder attraktiver zu machen, sowohl in der Nutzung als auch in der Gestaltung. Dazu gebe es bundesweit gute Ansätze und Beispiele. 25 Impulsberichte aus deutschen Städten wurden an den zwei Kongresstagen präsentiert.
So stellte beispielsweise der Stadtdirektor von Solingen, Hartmut Hoferichter, das „Städtebauliche Entwicklungskonzept für die Solinger Innenstadt“ unter dem Titel „City 2030“ vor. „Vor zehn Jahren haben wir noch einen Schwerpunktbereich für den Handel definiert“, räumte Hoferichter ein. „Die Pandemie hat deutlich gemacht: Wir müssen radikal umdenken!“ In unterschiedlichen Bürgerbeteiligungsformaten sei in Solingen deutlich geworden: „Wir müssen viele alternative Nutzungen jenseits des Einzelhandels in der City ermöglichen.“ Dazu biete Solingen eine „Umnutzungspauschale zur Revitalisierung von Leerständen“ an. Wichtig sei, dabei die angrenzenden Bereiche einzubeziehen. Gleichwohl solle im Zentrum von „City 2030“ in Solingen ein Kernbereich für den Einzelhandel als Erlebnisraum erhalten und entwickelt werden.

Viele erfolgreiche Sanierungen gab es seit der Wende in Halle an der Saale, erklärte René Rebenstorf, Planungsdezernent in Halle an der Saale. „Ich habe in den 1980er Jahre noch den Verfall erlebt.“ Immerhin habe die DDR-Zeit dazu geführt, dass heute der Kommune rund 40 Prozent der Altstadthäuser gehörten. „Das gibt mir hervorragende Möglichkeiten, hier steuernd zu wirken“, bekräftigte René Rebenstorf. Gleichwohl bestünden auch in Halle große Herausforderungen: Vor allem das Erbe der Moderne im Bereich Halle-Neustadt mit großen Plattenbauten müsse zur „Westlichen Innenstadt“ weiterentwickelt werden. Ziel sei insgesamt, höhere Freiraumqualitäten und urbane Qualitäten zu erzielen.

„Wir müssen Innenentwicklung und Außenentwicklung parallel denken“, forderte auch Ernst Uhing, der Präsident der Architek-tenkammer Nordrhein-Westfalen. Er unterstrich die Bedeutung einer konsequenten dreifachen Innenverdichtung. Die Kommunen seien gefordert, wieder stärker eine steuernde Haltung in der Stadtplanung einzunehmen. Notwendige Wege seien Maß-nahmen wie die Schließung von Baulücken, das Aufstocken von Wohngebäuden und die Qualifizierung von Freiräumen. „Stadtplanung muss Chefsache sein“, forderte der Präsident der größten deutschen Architektenkammer. Es reiche nicht aus, auf Stadtteilbüros zu setzen. Bau- und Planungsdezernenten dürften nicht allein Manager*innen sein, sondern sollten sich auch als Kuratoren ihrer Stadt verstehen.

Reiner Nagel, Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, warb dafür, die Menschen mitzunehmen auf den skizzierten Wegen. Dazu müsse die Fachwelt auch den spezifischen Jargon über-winden und den Menschen erklären, welche Wege gemeinsam gegangen werden können.

 

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