Pionier der Nachkriegsmoderne
Die Architektur der Nachkriegsmoderne wird heute geachtet. Man schätzt ihre Vorliebe für die Gestaltung von Details ebenso wie die leichtere Konstruktionsweise, man bewundert alte Tankstellen, deren geschwungene Dächer einmal Markenzeichen waren, staunt über transparente Fassaden oder elegant geschwungene Treppenanlagen. Viele der Gebäude der 1950er-Jahre, deren Leichtigkeit die vormalige klassizistisch verbrämte Monumentalarchitektur vergessen machen wollte, stehen heute unter Denkmalschutz. Die Epoche, deren spätere Schattenseiten noch nicht erkennbar waren - sie besitzt im historischen Rückblick den Charme des Aufbruchs. Einer ihrer Exponenten ist Paul Schneider von Esleben (PSE), dessen Werk anlässlich des 100. Geburtstags mit zwei Ausstellungen in München und Düsseldorf gewürdigt wird. Seine „Hanielgarage“ in Düsseldorf (1951), der erste Groß- bzw. Hochgaragenbau der jungen Bundesrepublik, sowie das „Mannesmann-Hochhaus“ (1953), das erste als Leichtbau mit Vorhangfassade nach amerikanischem Vorbild errichtete Nachkriegshochhaus in Deutschland, fehlen in keinem Buch zur Architektur des 20. Jahrhunderts. Es sind Ikonen der Epoche.
Dennoch scheint im Fall von PSE, trotz der Haniel-Garage und des Mannesmann-Hochhauses, trotz Rochuskirche (ebenfalls in Düsseldorf) und Flughafen Köln-Bonn, eine gewisse Reserviertheit spürbar. Die offizielle Rolle eines Egon Eiermann oder eines Sepp Ruf, die 1958 Deutschland auf der Weltausstellung in Brüssel vertraten, oder auch die eines Hans Schwippert, hat man Schneider von Esleben nicht zuerkennen wollen. Auch die Literatur über ihn ist vergleichsweise schmal. Und schließlich folgten den Erfolgen der 1950er-Jahre in den späteren Jahren nur noch wenige realisierte Bauten. Manchen erschienen seine leichtfüßigen Gebilde mehr als originelle künstlerische Solitäre denn als konsequente Schritte eines Modernisten, der einer an die Vorkriegsmoderne anknüpfenden Formensprache zum Durchbruch verhalf.
Neue Leichtigkeit zur Überwindung der NS-Architekturen
Überblickt man die gebauten Projekte, so fällt die breite Typologie ins Auge. Das Œuvre Schneider von Eslebens reicht von zurückhaltenden Villenflachbauten in den grünen Randlagen Düsseldorfs bis zur expressionistischen Großform des Köln-Bonner Flughafens, vom transparenten Garagenbau bis zum betonbrutalistischen Ordenshaus, vom zeichenhaften Symbolismus der neuen Rochuskirche bis zum sachlich-funktionalen Schulgebäude. Auf einen einheitlichen Stil scheint Schneider von Esleben in der Tat nicht abonniert gewesen zu sein In den 1950er-Jahren, nach dem Studium in Darmstadt und Stuttgart, einer kurzen Mitarbeit im Büro von Rudolf Schwarz und der Bürogründung von 1949 in Düsseldorf, war die gefundene Rolle jedoch eindeutig: In einer Zeit, als im Verwaltungsbau noch neoklassizistische Fassaden aus grauem Muschelkalk und Travertin den Ton angaben, war seine Rolle die des Pioniers, der zusammen mit Bernard Pfau und anderen an der Modernisierung mitwirkte. Der Umbruch war jedoch, soweit man es heute einschätzen kann, ein Prozess, bei dem die individuelle, innovative Leistung einzelner Architekten ohne die veränderten gesellschaftspolitischen Zielsetzungen und die sich langsam wandelnden ästhetischen Einstellungen etwa von kunstinteressierten Privatunternehmern kaum zu verstehen sind. Die Transparenz der voll verglasten Haniel-Garage beispielsweise, die die Konstruktion offen legte, fand zwar manche Fürsprecher unter Experten, irritierte aber zunächst. Nicht zuletzt den Bauherrn, der fragte, womit Schneider von Esleben denn nun die durchgängig verglaste Fassade verkleiden wolle. Auch der Sieg im Wettbewerb um das neue Mannesmann-Hochhaus war angesichts der Mitbewerber, die bereits Erfahrung im Verwaltungsbau besaßen, eine Überraschung. Möglich wurde sie in diesem Fall durch den Wunsch des Unternehmens nach einer möglichst deutlichen, nach Außen sichtbaren Abkehr von den steinernen Attitüden der NS-Baustils. Die neue, funktionale Leichtigkeit ebenso wie die Orientierung an den USA, die Schneider von Esleben vertrat, korrespondierte mit der politisch gewollten Neuorientierung, der ein ästhetisches Interesse an neuen Formen entsprach. Vor diesem Hintergrund überzeugte der Vorschlag von Schneider von Esleben durch sein hohes Maß an kontextuellem Gespür, die zum Rhein hin einen Vorplatz vorsah, ebenso wie durch einen „klaren, prismatischen Körper, der in seiner Einfachheit und in der Glätte seiner Oberfläche eine wohltuenden Kontrast zu den beiden vorhandenen Altbauten darstellt“, so die Jury seinerzeit.
Gesellschaftliche Prozesse baulich reflektieren
Verwaltungsbauten blieben in der Folgezeit jedoch eine Ausnahme im Werk von Schneider von Esleben. Was realisiert wurde - wie das später abgerissene ARAG-Treppenhochhaus (1963-1967) oder das Commerzbank-Punkthochhaus (1963) mit der flächigen Fassade aus selbst entwickelten Aluminiumpaneelen - bewies meist jedoch entweder formalen oder technischen Erneuerungswillen. Das gilt auch für seinen Entwurf für eine Erweiterung des Düsseldorfer Rathauses in Form von fünf gläsernen Türmen, ein Vorschlag, der angesichts der behördlichen Vorliebe für Tradition keine Chance besaß. Eine Zielsetzung, die eine funktionale Orientierung mit einer gesellschaftspolitischen Erneuerung verband, zeichnet auch Schneider von Eslebens Roland-Volksschule (1959) aus. Der Bau besteht aus zwei parallel gestellten und durch verglaste Treppenhäuser miteinander verbundene, flach gedeckte Riegel. Die gleichermaßen streng-lineare wie offene Anordnung ist eindeutig im Gestus: Der Bau will einladend wirken und auf autoritäre Gesten verzichten. Tatsächlich hat er den weiteren Schulbau für Jahre geprägt. Nicht weniger gesellschaftspolitisch motiviert war hierbei die Integration von Werken der jungen Künstler der Zero-Gruppe, die der bisher üblichen, rein dekorativen Kunst-am-Bau-Praxis eine völlig neue Richtung gab. Die Reaktion seitens der Stadt auf diese Avantgardehaltung bestätigte gewissermaßen die Zielsetzung - ein Teil der Kunstwerke wurden aus Gründen der Gesundheitsgefährdung der Schüler wieder entfernt.
Richtungsweisend auch im Schul- und Kirchenbau
Schon 1955 war in Düsseldorf in der Nachbarschaft des erhaltenen Kirchturms der neoromanischen Rochuskirche der eiförmige Kuppelneubau fertig gestellt worden. Innerhalb der zahlreichen Nachkriegskirchenbauten nimmt der Bau ebenfalls eine Sonderrolle ein: Der mit drei elliptischen Schalen verkleidete Stahlskelettbau, im Abstand zum historischen Turm errichtet, betont den Kontrast von alter und neuer Zeit wie wenig später Egon Eiermanns Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche in Berlin. Auch hier war programmatisch eine demokratische Motivation wirksam. Als Zentralbau gab er der damals veränderten Auffassung der Liturgie Ausdruck, die die Einheit, nicht mehr die Trennung von Gemeinde und Priester betonen wollte.
Schließlich ist auch die Wendung der 1960er Jahre zur Richtung des Betonbrutalismus, wie er beim Wohnhaus Zindler in Düsseldorf-Himmelsgeist (1965), beim Schriftstellerhaus der Jesuiten in München (1966 fertig gestellt) und beim Großprojekt des Flughafens Köln-Bonn (1966-1970) zum Ausdruck kommt, noch lesbar als Versuch, eine künstlerische Expressivität auch bei solchen Bautypen zu realisieren, bei denen sie bislang nicht erwartet wurde. Es kommt daher nicht unerwartet, dass es der architektonischen Entwicklungslinien und Richtungen gleich mehrere sind, die in der Person Schneider von Esleben einen ihrer frühen und originellsten Vertreter finden. So sind die immer wieder überraschenden Wendungen auch nur vermeintlich Indiz für fehlende Einheit und stilistische Unsicherheit. Der rote Faden der über mehrere Jahrzehnte präsentierten Lösungen wäre in einem permanenten Erneuerungswillen zu sehen. Es ist ein künstlerischer Duktus, der sich dem Stereotyp, der rationalen Wiederholbarkeit der einmal gefundenen Form zugunsten individueller Lösungen immer wieder zu entziehen suchte.
Ausstellungen:
16.07. - 18.10.2015 Pinakothek der Moderne, München
23.08. - 25.09. 2015 Architektenkammer NRW und Mannesmannhochhaus (NRW-Wirtschaftsministerium), Düsseldorf
Zur Ausstellung in München ist ein umfangreicher Katalog mit zahlreichen Illustrationen erschienen; mit Aufsätzen u. a. von Adrian von Buttlar, Sara Hayat, Regine Heß, Andres Lepik, Ursula Ringleben, Wolfgang Voigt, Jürgen Wiener. Hatje Cantz-Verlag.
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