Altes Bauordnungsrecht: Vollgeschoss oder nicht?

Architekt A. wendet sich mit folgender Frage an die Kammer: „Ich plane ein Einfamilienhaus mit einem Staffelgeschoss (Flachdach) in einem B-Plan Gebiet. Der Bebauungsplan ist von 1978. Er sieht ein Vollgeschoss vor. An diese Festsetzung halten sich die umliegenden Bungalows. Ich habe die Vollgeschossdefinition aus § 2 Abs. 6 BauO NRW 2018 angewendet. Das geplante Staffelgeschoss hat eine lichte Höhe von 2,60 m Die Bauaufsicht hat mich darüber informiert, dass zur Ermittlung der Vollgeschosse die Bauordnung NRW von 1970 anzuwenden sei. Ich bräuchte deshalb eine Befreiung von der festgesetzten Vollgeschosszahl. Wie soll ich vorgehen?“

11. März 2021

In der Praxis des Baugenehmigungsverfahrens stellen sich bei der Berechnung und Überprüfung der nach dem Bebauungsplan erlaubten Geschossigkeit häufig Fragen zur richtigen Umsetzung. Der Begriff des Vollgeschosses ergibt sich bis heute aus dem Bauordnungsrecht, weil es bisher nicht gelungen ist, über die Baunutzungsverordnung (BauNVO) eine bundeseinheitliche Definition im Planungsrecht zu finden. Vielmehr verweist die BauNVO in der jeweils gültigen Fassung (derzeit: § 20 BauNVO vom 21.11.2007) hinsichtlich der Definition des Vollgeschosses auf die landesrechtlichen Vorschriften. Während durch die Überleitungsvorschriften der jeweiligen BauNVO (derzeit: § 25d BauNVO vom 21.11.2007) klar ist, welche Fassung der BauNVO auf den jeweiligen Bebauungsplan anzuwenden ist, wurde erst mit dem Urteil des OVG NRW vom 3. Mai 2018 (Az.: 10 A 2937/15) die Diskussion um die Frage, ob es sich um einen „statischen“ oder einen „dynamischen“ Verweis auf den bauordnungsrechtlichen Vollgeschossbegriff handelt, beendet. Das OVG hat für NRW abschließend entschieden, dass es sich bei der Ermittlung der Vollgeschosse um einen „statischen“ Verweis auf die jeweilige Landesbauordnung handelt, die bei Beschlussfassung des Bebauungsplans gültig war, und diese auch anzuwenden ist. In den verschiedenen Fassungen des jeweiligen § 2 BauO NRW (bislang 1962, 1970, 1984, 1995, 2000, 2018) werden durchaus unterschiedliche Definitionen des Vollgeschosses gegeben. Daher ist es dringend zu empfehlen, für den korrekten Nachweises der Geschossigkeit zunächst immer zu ermitteln, welche Fassung der BauO NRW dem Bebauungsplan zugrunde liegt.


Insofern hat die Bauaufsicht Recht: In einem Bebauungsplan aus dem Jahre 1978 beantwortet sich die Frage der Geschossigkeit nach der BauO NRW 1970. In § 2 Abs. 5 Satz 1 BauO NW 1970 heißt es: „Vollgeschosse sind Geschosse, die vollständig über der festgelegten Geländeoberfläche liegen und über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche die für Aufenthaltsräume erforderliche lichte Höhe haben.“ Die lichte Höhe ergibt sich aus § 59 BauO NW 1970 im Allgemeinen zu 2,50 m, für Einfamilienhäuser und im Dachraum zu 2,30 m. Das heißt: Schon allein aus der lichten Höhe des geplanten Staffelgeschosses und daraus, dass - anders als im aktuellen Recht, § 2 Abs. 6 BauO NRW -nicht die Fläche des darunterliegenden Geschosses die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des Vollgeschosses ist, sondern die eigene Grundfläche folgt, dass es sich nach der anzuwendenden BauO NRW 1970 um ein Vollgeschoss handelt. Damit benötigt Architekt A bzw. sein Bauherr eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans. Eine Befreiung, § 31 Abs. 2 BauGB, steht nicht nur im Ermessen der Bauaufsicht, sie ist auch an gewisse Voraussetzungen geknüpft. So darf die Befreiung insbesondere nicht den Grundzügen der Planung widersprechen. Genau daran kann es in der hiesigen Fallgestaltung fehlen. Der Plangeber wollte eingeschossige Bungalows und eben keine Zweigeschosser, sodass es zweifelhaft erscheint, dass die Bauaufsicht hier zugunsten des Bauherrn entscheidet.

Praxistipp:

Aufgrund der Rechtsprechung des OVG NRW ist immer zu prüfen, welche Fassung der Landesbauordnung und somit welche bauordnungsrechtliche Vollgeschossdefinition zur Aufstellung des Bebauungsplans gültig war. Die BauO NRW aus 1970 hatte keine privilegierende Regelung zum Staffelgeschoss, weshalb es sich grundsätzlich um ein Vollgeschoss handelt. Damit wird ein Antrag auf planungsrechtliche Befreiung erforderlich, der nur dann Aussicht auf Erfolg haben wird, wenn das Staffelgeschoss nicht den Grundzügen der Planung widerspricht.

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