Elfter „Tag der Architektur“ in NRW mit über 35.000 Besuchern
„Wir haben ab neun Uhr hier in der Schlange gestanden, aber das war es auf jeden Fall wert!“ Die Dortmunderin Marlies Schulze musste einige Geduld aufbringen, bevor sie um kurz nach zehn im 21. Obergeschoss des neuen RWE-Towers stehen und den Blick auf ihre Heimatstadt aus 90 Metern Höhe genießen kann. Und um sich das höchste Bürogebäude in Dortmund durch Architekt Jens Haake vom Büro Gerber Architekten erläutern zu lassen. Mehr als 2 000 Interessierte versammeln sich am Sonntagmorgen (18.06.06) vor dem Portal des neuen höchsten Bürogebäudes der Stadt, um neue Architektur in NRW hautnah zu erleben. - Der RWE-Tower gehörte zu den am stärksten besuchten Objekten am diesjährigen „Tag der Architektur“ in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt wurden rund 35 000 Besucherinnen und Besucher gezählt.
Der neue Büroturm im Dortmunder Zentrum war eines von insgesamt 537 Objekten, die man am 17. und 18. Juni in NRW besichtigen konnte. In 197 Städten und Gemeinden des Landes standen Architektinnen und Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner bereit, um ihre Werke aus den vergangenen fünf Jahren der Öffentlichkeit zu präsentieren - und um darüber durchaus auch zu streiten.
„Wir nutzen den Tag der Architektur, um die Stadt Düsseldorf an ihre Verantwortung gegenüber einem aufwändig und mit viel politischen Ehrgeiz neu gestalteten Platz zu erinnern.“ Christiane Voigt, Architektin und Stadtplanerin im Essener Büro Contur 2, steht mit ihren Kollegen Alexander Nix und André Schiegler am späten Samstag Abend vor einer Döner-Bude auf dem Worringer Platz unweit des Düsseldorfer Hauptbahnhofs - und ärgert sich. Vor gut einem Jahr hat das Büro den problematischen Stadtplatz neu in Szene gesetzt. „Dass die Stadt unsere klare Platzstruktur durch Einbauten wie Dönerbude, Zeitungsständer und Mülltonnen entwerten lässt, und dass dadurch auch die gewünschte soziale Kontrolle der Platzsituation in diesem problematischen Stadtteil ad absurdum geführt wird, konnten die meisten unserer Besucher heute ebenso wenig nachvollziehen wie wir“, bedauerte Voigt. Das Interesse an Erläuterungen an diesem Abend jedenfalls ist groß. Viele Nachbarn sprechen die Stadtplaner an, um Informationen zu dem Planungskonzept zu erhalten.Große Vielfalt der Objekte
Szenenwechsel. Rolf Teschner und Silke Bednarz sitzen entspannt auf der Terrasse des Schulhofcafés des Hans-Böckler-Berufskollegs in Marl. „Es haben sich bislang nur wenige Interessierte hierher verirrt“, bedauert Landschaftsarchitekt Teschner. Dennoch sind er und seine Bürokollegin zufrieden. „Es ist eine anregende Erfahrung, ein solches Projekt wie die Umgestaltung des Kolleg-Schulhofs Laien und Kollegen erläutern zu können.“
Die beiden Landschaftsarchitekten haben aus einem Innenhof, der sich über verschiedene Jahrzehnte seit den 1950er Jahren eher zufällig ergeben hatte, eine einheitlich gestaltete Aufenthaltszone geschaffen, die den Bedürfnissen der jungen Erwachsenen, die auf dem Kolleg lernen, voll und ganz entspricht. Statt öder Betonflächen laden nun eine Freibühne, die neue Terrasse des Schulcafés und verschiedene Aufenthaltszonen zur Entspannung und zur Kommunikation ein. „Es war uns wichtig, das Bedürfnis der jungen Leute nach einem relaxten ‚Abhängen’ in den Pausen ernst zu nehmen“, erläutert Silke Bednarz.
Zum Entspannen während des Shoppens lädt das Café in den neuen Münster-Arkaden ein. Der Entwurf des Gesamtprojektes, das in unmittelbarer Nachbarschaft des historischen Prinzipalmarktes zu den städtebaulich wichtigsten Bauwerken in Münster zählt, stammt vom Büro Kleihues + Kleihues. Die Gestaltung des zentral liegenden Gastronomie-Rondells übernahmen die Münsteraner Bleckmann + Krys Architekten. „Wir hatten hier eigentlich drei Auftraggeber zu berücksichtigen: die Architekten Kleihues als Entwerfer, die Öffentlichkeit als Nutzer und natürlich unseren Bauherren“, erläutert Architekt Andreas Krys den Besuchern die besondere Schwierigkeit der Aufgabenstellung. Krys sitzt mit seinem Bauherrn Klaus Friedrich Helmrich auf einem Barhocker am Rande des Rondells, das den Gastbereich mit dem Verkaufsgeschäft des Auftraggebers - einem renommierten Münsteraner Feinkosthändler - verbindet. „Für ein solch anspruchsvolles Projekt brauchen Sie einen Architekten als Partner, der sensibel auf Ihre Wünsche eingeht und dabei die Kostenseite nicht aus den Augen verliert“, so Helmrich. Das Konzept sei in den Münsterarkaden voll und ganz aufgegangen.Publikumsmagnet: Einfamilienhäuser
Nur wenige Kilometer westlich der Münster-Arkaden ist ein weiterer zufriedener Bauherr anzutreffen. Gerhard Deike hat sich in einem Neubaugebiet am Rande der Stadt ein Haus errichten lassen, das auffällt. Unter Dutzenden freistehender Einfamilienhäuser mit Satteldach hat er zusammen mit Architekt Christian Kuckert (Münster) einen zweigeschossigen Bungalow realisiert, der sich mit seiner an der Moderne orientierten Architektursprache deutlich von der Umgebung absetzt. „Ich habe den Entwurf gesehen und sofort gesagt: Das ist es, das machen wir so“, erinnert sich Deike. Das Gebäude soll noch um drei weitere, baugleiche Häuser zu einer Reihe ergänzt werden. „Das Interesse ist sehr groß“, freut sich Ralf Diflo vom Büro gdk. Der Bau des zweiten Gebäudes werde in Kürze beginnen, weitere zwei seien in Planung. Diflos und Kuckerts Konzept der „Hofhäuser“ erscheint offenbar für viele attraktiv: Über 200 Besucher werden am Tag der Architektur am „Hofhaus“ in Münster innerhalb von vier Stunden gezählt.
Überhaupt ist das Interesse an modernen Wohnungen und Einfamilienhäusern ungebrochen. Auffallend sind im Jahr 2006 zwei Trends - der Wunsch, neue gemeinschaftsorientierte Wohnformen auszuprobieren (z. B. „Wohnhaus für 3 Generationen“ vom Architekturbüro Thomas Boos in Dorsten), und das Bedürfnis nach hochwertigem Mietwohnraum in zentralen städtischen Lagen (z. B. die „Rheinwerft“ von Oxen + Römer in Köln). Umnutzung von Industriegebäuden„Offenes Mauerwerk, korrodierte Stahlträger, bloßer Industrie-Estrich, dem man sein Alter ansieht - auf unsere Nutzer üben solche Räumlichkeiten einen starken kreativen Impuls und eine große Faszination aus.“ Architekt Piet Neiser hat mit Innenarchitektin Maria Fortmann und Axel Brunner schon verschiedene Industriegebäude aus dem beginnenden 20. Jahrhundert zu modernen Büros für das 21. Jahrhundert umgebaut. Am „Tag der Architektur“ präsentieren sie in Düsseldorf eine ehemalige Dampfwalzenfabrik von 1911. Neben dem Haupthaus mit seinen loftartigen Büros faszinieren die zahlreichen Besucher vor allem die alten Werkshallen im Hinterhof. Hier hat das Büro Neiser-Fortmann Architekten für eine Internet-Firma eine Mischung aus Großraum- und Einzelbüros realisiert, die von einem rauen, industriellen Charme in Kombination mit einer ruhigen Lage im begrünten Hinterhof profitieren. Gespräche und Kontakte überall
„Architektur lebt vom Gespräch“, konstatiert Architektin Jutta Heinze, die in Duisburg den Erweiterungsbau an der Evangelischen Kirchengemeinde Neudorf-Ost vorstellte. „Dieses Bauwerk ist in intensiven Dialogen erarbeitet worden, und auch heute - nach Fertigstellung - regt das Gebäude kontinuierlich einen weiteren Austausch über Fragen der Architektur an."
Mit über 35.000 Besucherinnen und Besuchern war der Tag der Architektur 2006 in Nordrhein-Westfalen erneut ein großer Erfolg.
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