EXPO 25: Harmonie in Architektur und Gesellschaft
Etwa 37 Millionen Menschen leben in der Metropolregion Tokio - nach der Region Guangzhou in China der zweitgrößte Ballungsraum der Welt. Wie funktioniert eine Stadt, die in ihren 23 selbstständigen Bezirken mit 14.500 Einwohnern pro Quadratkilometer eine der höchsten Dichten der Welt aufweist? Diese Frage allein hätte schon gereicht, Fachexkursionen für Architekt*innen und Stadtplaner*innen durchzuführen. Anlässlich der Weltausstellung EXPO 2025 in Osaka bot die Akademie der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit Poppe-Reisen insgesamt sieben Exkursionen im zurückliegenden Jahr an – die allesamt ausgebucht waren. „Japan ist für unsere Branche ein hochinteressantes Land, weil hier städtebauliche Entwicklungen und technische Innovationen mit traditioneller Architektur zusammentreffen“, meint auch Heiko Weissbach. Der Architekt und Fachautor aus Berlin führte die AKNW-Fachexkursionen und faszinierte die Besucher*innen aus NRW mit seinen Detailkenntnissen.
Kein Land der Welt hat mehr Pritzker-Preisträger als Japan. Seit Kenzo Tange 1987 als erster Japaner mit dem „Architektur-Oscar“ gewürdigt wurde, sind unterdessen insgesamt acht japanische Baumeister ausgezeichnet worden – darunter mit Kazuyo Sejima (Sanaa Architects) auch eine Frau.
Fassaden-Wettstreit auf der Prachtmeile Ginza
Nicht wenige der Pritzker-Preisträger sind mit Bauten auch auf Tokios Prachtboulevard im Stadtteil „Ginza“ vertreten. Das heute wohlhabende Quartier war eines der ersten, die der Tokioter Bucht abgetrotzt wurden. Alle internationalen Luxusmarken wetteifern hier mit zum Teil spektakulären Fassaden ihrer Flagship-Stores um die Aufmerksamkeit der internationalen Besucher. Auch europäische Architekturbüros wie Herzog & de Meuron haben hier etwa mit dem Prada-Gebäude markante Spuren hinterlassen.
Die Architektur-Gruppen aus NRW wechselten zwischen den stark frequentierten, kaum begrünten Stadträumen Tokios und Park- und Tempelanlagen. So wirkte beispielsweise der Hamarikyu Garden, der aus der Edo-Zeit (17. - 19. Jahrhundert) stammt, mit seinen Teichen und Teehäusern wie eine grüne Oase inmitten der Hochhäuser. An der Tokio-Bucht gelegen, sind die Teiche mit Bedacht mit dieser verbunden und nehmen somit an Ebbe und Flut teil.
Alltagsleben in Tokio
Nach dem Besuch in Ginza stellte der Austausch mit einem jungen deutschen Architektenpaar im nördlichen Tokioter Stadtteil Yanaka einen krassen Gegensatz her. „Wir bewegen uns hier in einem der ältesten Wohnviertel Tokios“, erläuterte Sebastian Gross, der mit seiner Frau Anne seit einem Studienaufenthalt in Tokio lebt und arbeitet. Bei einem Rundgang durch die historische Nachbarschaft Yanakas berichtete das Architektenpaar von dem Alltagsleben in Tokio jenseits der imposanten Hochhausbauten und glitzernden Einkaufstempel.
In Yanaka dominieren einfache, meist zweigeschossige Wohnbauten, die in einer Holz-Fachwerkstruktur gebaut wurden. Auch Sebastian und Anne Gross haben ihr gemeinsames Architekturbüro in einem typischen Quartiers-Wohnhaus innerhalb einer Blockrandstruktur eingerichtet: In der Einkaufsstraße des Quartiers gelegen, haben die beiden Architekten einen zur zentralen Straßenachse hin offenen Büroraum geschaffen, der – für manche Bewohner*innen der Nachbarschaft irritierend – mit offenen Glaswänden zur Kommunikation einlädt. Das kleine Gebäude, das in seiner Grundstruktur als typisches japanisches Wohnhaus erhalten blieb, nutzt das Paar auch immer wieder als Fläche für kleine Ausstellungen und kulturelle Events. „Wir versuchen, uns behutsam zu öffnen und Interessierte einzuladen“, berichtete Sebastian Gross der deutschen Architektengruppe. Nicht jeder nehme das Angebot an; es gebe aber einen wachsenden Kreis, der den Austausch mit den deutschen Planer*innen reizvoll finde.
So konnten Sebastian und Anne Gross auch ein weiteres Wohnhaus in der Nachbarschaft umbauen - zu einem kleinen Café mit benachbartem Galerieraum. „Wir betrachten die Häuser aus der Nachkriegszeit als Objekte mit viel Potenzial, das es herauszuarbeiten und zu entwickeln gilt“, erläuterte Sebastian Gross das Konzept des deutschen Architekturbüros während der Mittagspause im „Café Hagiso“ - einem Gebäude, das dem Abriss preisgegeben war, das aber durch eine örtliche Kulturinitiative gerettet werden konnte.
Beeindruckende Museumsbauten
Der besondere Charakter moderner japanischer Architektur, der international geschätzt wird und sich auch in der Vergabe der Pritzker-Preise widerspiegelt, kommt am deutlichsten in den Museums- und Kulturbauten zum Ausdruck. Im Ueno Park Tokios sind verschiedene Museumsbauten zu einem Cluster gruppiert: vom Museum of Western Art von Le Corbusier über die Metropolitan Festival Halle von Kunio Maekawa bis zur Gallery of Hory-Ji Treasures von Yoshio Taniguchi mit ihrem minimalistischen Ansatz, dessen einfache Kubus-Struktur mit großer Glasfront und poliertem Naturstein sich in einem Wasserbecken spiegelt.
Begeistert zeigte sich die Besuchergruppe, die Anfang Oktober Tokio, Osaka und die Expo besuchte, auch von dem Zwischenstopp am „Enoura Observatorium“ – eine zeitgenössische Kunst- und Architekturstätte in Odawara, die von dem Künstler Hiroshi Sugimoto entworfen wurde und auch seine Werke präsentiert. Die Anlage verbindet einfach strukturierte, langgezogene Baukörper auf einem Hügel über der Sagami-Bucht mit gestalteten Freiräumen, wobei traditionelle japanische Bautechniken mit modernen Konzepten verbunden wurden. „Mein absolutes Highlight dieser Exkursion“, zeigte sich Elke Beccard, Architektin aus Köln, begeistert.
Auch die Kinderbibliothek von Tadao Ando in Osaka und das dortige Nakanoshima Museum of Art von Katsuhiko Endo übten eine starke Faszination durch die Verbindung von spannungsreichen Raumfolgen, dem Umgang mit offenem Raum und einer klaren Materialität aus.
Harmonie als Konzept
Einen großen Eindruck machte auf die deutschen Besuchergruppen der rücksichtsvolle Umgang der Menschen in Japan miteinander. Selbst in der oft übervollen Tokioter U-Bahn, die zumeist auf die Minute pünktlich fährt, gibt es weder Gedrängel noch Lärm. Der gesellschaftliche Konsens, keinen Abfall zu hinterlassen, führt zu einer beeindruckenden Sauberkeit der Straßen und Plätze.
Das Konzept „Nagomi“ beschreibt eine tiefere Lebensweise, die Ausgeglichenheit und innere Ruhe in persönlichen Räumen, Beziehungen und im Alltag anstrebt; eine Haltung, die auch in der Architektur erkennbar ihren Ausdruck findet. Der Begriff „Wa“ betont die soziale Harmonie durch Gruppenkonsens und Konformität, bei der die Gemeinschaft wichtiger ist als persönliche Interessen.
Expo 25 und „Wa“
Anlass und fester Bestandteil der Architektur-Fachexkursionen der Akademie der Architektenkammer NRW war die Weltausstellung, die vom 13. April bis zum 13. Oktober 2025 in Osaka stattfand. Unter dem Motto „Designing Future Society for Our Lives“ stellten über 160 Länder sowie Organisationen ihre Ideen zur Zukunft der Gesellschaft vor.
Wahrzeichen und ein ungemein imposantes Bauwerk war der große, aus Holz errichtete Ring, der das Expo-Gelände mit einer Länge von zwei Kilometern umschloss. Architekt Sou Fujimoto hatte den „Grand Ring“, der auf einer Höhe von 26 Metern begehbar war und beeindruckende Perspektiven auf das Ausstellungsgelände bot, als Kreislauf-orientiertes Bauwerk konzipiert, das nach Ende der Expo 2025 rückgebaut und dessen Holzbalken weiterverwendet werden sollen.
Hintergründe zur Expo in Osaka, aber auch eine Einordnung des Konzeptes der Weltausstellungen bot Dr. Thomas Schriefers. Der Kölner Architekt und Künstler hat sich international einen Namen als Expo-Fachmann gemacht. Für ihn stellen die Weltausstellungen einen „Kristallisationspunkt des Zeitgeschehens“ dar - „in Architektur, Politik, Wissenschaft, Philosophie und Gesellschaft“, so Thomas Schriefers in einem Vortrag vor den AKNW-Exkursionsgruppen.
Der deutsche Pavillon, in dem die AKNW-Gruppen als Fachgäste persönlich empfangen wurden, griff in seinem Titel und Konzept den japanischen Begriff „Wa“ auf. „Wa“ bedeutet nicht nur gesellschaftliche Harmonie, sondern auch „Kreis“ sowie den Begeisterungsruf „Wow“. Das zentrale Thema des deutschen Pavillons (Architekturbüro LAVA mit GL events sowie facts and fiction) war die Kreislaufwirtschaft, das sich in der zirkulären Architektur, nachhaltigen Materialien und den Themen widerspiegelte. So wurde aus NRW unter anderem das Konzept „Circular Valley“ der Rhein-Ruhr-Region vorgestellt.
Dialog und Wissenstausch
Gerade in Zeiten internationaler Krisen sei es wichtig, das Format der Weltausstellungen als Treffpunkte der Weltgemeinschaft jenseits politischer Formate zu pflegen, die ein Publikum unterschiedlicher Bildungsniveaus und Herkunft zusammenzuführen verstünden, unterstrich Dr. Schriefers während des Rundgangs über das Expo-Gelände, auf dem sich täglich mehr als 200.000 Besucher*innen versammelten. Dass das Zentrum der Expo in Osaka nicht den Pavillons, sondern einem „Forest of Tranquility“ vorbehalten war, passte deshalb hervorragend in die Zeit, meinte Schriefers. „Diese Expo ist in hohem Maße angelegt auf Dialog, auch zwischen benachbarten Pavillons.“
Gemeinsam mit der Dramaturgin und Kuratorin Dr. Cordula Fink führte Schriefers die Gruppen über die Expo und erläuterte besonders interessante Länderpavillons – darunter die Präsentationen von Usbekistan, Tadschikistan, Polen, Malaysia, Österreich, Schweiz, Portugal sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten - die mit Saudi-Arabien im Jahr 2030 die nächste EXPO durchführen werden.
Teilen via








