Expo Milano 2015: Gedankennahrung für Architekten

Apfelbauer Eckart beißt herzhaft in einen Apfel und wirft diesen - virtuell - über die Köpfe der Besucher Stadtimkerin Erika zu. 200 Köpfe drehen sich nach links und verfolgen, wie Erika einen Stab mit frischem Honig an den Trinkwasserexperten Benjamin weiterreicht. Insgesamt fünf „Botschafter“ auf Monitoren unter der Decke begrüßen die Besucher des deutschen Pavillons auf der aktuellen Weltausstellung in Mailand, die am 1. Mai ihre Pforten öffnete. Bis zum 31. Oktober werden Menschen aus aller Welt in Pavillons und Beiträgen von 130 Nationen Informationen und Anregungen dazu erhalten, wie die Welt künftig ernährt und mit Energie versorgt werden kann. - Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen bietet für ihre Mitglieder und Architekturinteressierte spezielle Fachexkursionen zur Expo 2015 an, die bereits auf große Resonanz gestoßen sind.

21. Mai 2015von Christof Rose

„Feeding the Planet - Energy for life“ / „Den Planeten ernähren – Energie für das Leben“ lautet das Leitthema der Weltausstellung in Mailand, das im deutschen Pavillon intensiv bearbeitet wird: Die fünf „Botschafter“ stehen jeweils für ein Themenfeld, über das sich die Besucher im Bauch des Pavillons auf einem geführten Rundgang informieren können. Als interaktives Element hat sich das Team von Milla & Partner ein kleines Kartonbrett ausgedacht, auf das an vielen Stellen während des Rundgangs Informationen und Erläuterungsvideos projiziert werden. Ein Konzept, das relativ viel Zeit erfordert und deshalb von den meisten Besuchern eher punktuell-experimentell wahrgenommen wird. Auch die abschließende Show, bei der zwei Musiker die Zuschauer mit Mitsingen, -klatschen und -trampeln motivieren, kann nicht an den effektvollen Abschluss der Präsentation auf der Expo 2010 in Shanghai anknüpfen, die von demselben Team realisiert worden war.

Überzeugungskraft entwickelt hingegen die Architektur des Deutschen Pavillons. Schmidhuber Architekten laden die Besucher zu einem offen, frei zugänglichen Rundgang über „fields of ideas“ ein, der Deutschland als vielfältiges, gastfreundliches und landwirtschaftlich starkes Land präsentiert. Eine große Holzrampe lockt die Besucher auf den Pavillon. Ein sanfter Anstieg führt auf eine Höhe von 10 Metern, wo große Membrandächer in organisch wirkender Form Schatten spenden und auf das Potenzial der Solarenergienutzung verweisen. Zugleich bieten die künstlichen Bäume erste Einblicke in die Ausstellung, die im Inneren des Gebäudes wartet.

„Die Solarzellen sind eine neue Entwicklung, die im Prinzip auf jede Oberfläche und insbesondere auf Fassaden aufgedruckt werden können“, erläuterte Lennart Wiechell von Schmidhuber Architekten im Mai einer Besuchergruppe von Architektinnen und Architekten aus Nordrhein-Westfalen. Wiechell zeigte sich mit der ersten Resonanz der internationalen Besucher auf den Deutschen Pavillon sehr zufrieden. Insbesondere die bauliche Umsetzung habe - allen Schwierigkeiten mit dem italienischen Baurecht und den Brandschutzvorschriften zum Trotz - am Ende gut funktioniert. „Wir wollten eine einladende Landschaft schaffen; ich glaube, das ist uns gelungen.“ Drei Jahre Planung und 48 Millionen Euro Gesamtkosten liegen hinter dem Projekt, das an zentraler Stelle etwa in der Mitte des „Decumanus“ liegt.

Die Expo in Mailand setzt zwar weiterhin auf das Prinzip der Länderpavillons, sucht aber (im Vergleich zu den Vorgänger-Weltausstellungen) einen menschlichen Maßstab einzuhalten. Die „Decumanus“ genannte Hauptachse verläuft – nach Vorbild eines römischen Lagers – in West-Ost-Richtung und bietet allen teilnehmenden Ländern gleich breite Grundstücke. Auf die Ordnung nach Kontinenten oder Regionen wird bewusst verzichtet. „Ein faires Prinzip, das eine stärkere Durchmischung erlaubt als frühere Expos“, urteilt auch Dr. Thomas Schriefers. Der Architekt und Künstler aus Köln ist einer der international anerkanntesten Fachleute zum Thema; sein Buch „Weltausstellungsarchitektur“ ist das bislang umfassendste Werk zur Geschichte und Entwicklung der Weltausstellungen und wurde vom Bureau International des Expositions (BIE) in Paris, dem Veranstalter der Expos, als offizielles Kompendium anerkannt und anlässlich der Expo 2015 ins Englische übersetzt. Dr. Schriefers führt auf Einladung der Architektenkammer NRW die Architektengruppen aus Nordrhein-Westfalen über die Expo Milano.

„Es ist sicherlich eine gute Entwicklung, dass heute auf Monumentalbauten verzichtet wird und die Länder stärker thematisch arbeiten“, stellte Thomas Schriefers der Besuchergruppe aus NRW seine Einschätzung der Expo 2015 vor. Die Expo in Mailand hat aus seiner Sicht einen fast städtischen Charakter, da sich die Pavillons entlang der Hauptachse wie eine harmonisch wirkende Bebauung aufreihen und Vorplätze, Freiräume und Seitenachsen für Auflockerung sorgten. Der Vielfalt tut die einheitliche Grundstücksbreite keinen Abbruch: Von der poetisch-skulpturalen Lösung des britischen Pavillons über spielerisch-didaktische Ansätze wie bei den Brasilianern und den Deutschen bis hin zu fast asketisch-ästhetisch wirkenden Raumfolgen im Pavillon von Bahrein öffnet sich dem Besucher eine enorme Bandbreite an baulichen Attraktionen und inhaltlichen Impulsen. Dazu tragen auch zentrale Themenpavillons bei, die sich etwa dem Anbau von Kaffee und Tee oder regenerativen Energiepflanzen widmen.

Die Fachexkursionen der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen nutzen den dreitägigen Aufenthalt aber auch, um neue Entwicklungen in Mailand zu erkunden. Andrea Balestrini vom Büro LAND Landscape Architecture Nature Development führt zu den Stadtentwicklungsprojekten „Porta Nuova“ (u. a. mit den beiden spektakulären Hochhäusern „Bosco Verticale“ des italienischen Architekten Stefano Boeri) und „CityLife Milano“ (mit dem das alte Messezentrums der Stadt auf 170 000 m2 vollständig neu bebaut wird, u. a. mit Wohnhäusern von Zaha Hadid und Hochhäusern von Arata Isozaki und Daniel Libeskind). Zentrale Elemente sind in beiden Großprojekten Freiflächen und Grünzüge. „Mailand weist eine extreme Dichte auf“, erläuterte Landschaftsarchitekt Andreas Kipar der AKNW-Architektengruppe. „Diese Stadt hat – wie viele andere auch – gegenwärtig ein großes Thema: Grün, Grün, Grün!“
Eine Aussage, die sicherlich auch Apfelbauer Eckart vom Deutschen Pavillon unterschreiben würde. Biodiversität in der theoretischen Präsentation auf der Expo 2015 und in der praktischen Umsetzung an vielen neuen Beispielen in der Stadt: Beides ist bis zum 31. Oktober in Mailand zu erleben. Christof Rose

Termine im Herbst 2015: 13. – 16. September (Hotel Radisson Blu); 27. – 30. September (Hotel Best Western Galles); 18. – 21. Oktober (Hotel Best Western Galles).

Detailliertes Programm

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