Fachexkursion nach Buenos Aires: Eine Stadt der Immigranten

Präsidentenwahl, Fußballländerspiel und erste Blüte des fliederfarbenen Jacaranda-Baumes: Die Architektur-Reisegruppe der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, die vom 12. bis 19. November eine Delegationsreise nach Buenos Aires durchführte, erlebte die argentinische Hauptstadt in aufgeregter Verfassung.

21. Dezember 2023von Christof Rose

Der Besuch der Millionenmetropole am Rio de la Plata, in deren Großraum fast die Hälfte der rund 44 Millionen Argentinier leben, begann mit einer Überraschung: Buenos Aires wendet dem Fluss den Rücken zu. Das stark verschmutzte Gewässer spielt im Stadtbild keine Rolle, wohingegen die unterschiedlichen Stadtquartiere eigenständige, lebendige Einheiten sind, denen man ihre Gründungszeiten in den unterschiedlichen Einwanderungswellen oftmals deutlich ablesen kann. „Viele unserer Gäste glauben, sie seien in Rom, Paris oder Madrid“, empfing Alejandro Epstein Anfang November 2023 die Fachreisegruppe von Architektinnen und Architekten aus Nordrhein-Westfalen. „Diese Stadt hat aber viele Gesichter: vom ochsenblutfarbenen Präsidentenpalast bis zu den in Eigenbau errichteten Armenvierteln an den äußeren Rändern.“

Mit welchen Herausforderungen die argentinische Hauptstadt und das Land insgesamt in Fragen der Architektur und der Stadtplanung zu kämpfen haben, erfuhr die NRW-Delegation mit Austausch mit Repräsentant*innen der Architekturfakultät der Universität von Buenos Aires sowie im Gespräch mit der „Sociedad de arquitectos de Argentina“.

Einwanderer prägten die Stadt

Buenos Aires ist Tango – das ist überall im Stadtbild zu spüren und auf zahllosen Postern, Tafeln und Graffiti zu sehen. „In diesem Hof könnte der Tango entstanden sein“, spekulierte der argentinische Architekt und Fachguide Alejandro Epstein in einem sanierten Hofhaus im Stadtteil San Telmo. Das Mitte des 19. Jahrhunderts an der damals randständigen Straße „Defensa“ erbaute Hofhaus diente wohl ab den 1880er Jahren als lokaler Treffpunkt für Einwanderer, freigelassene Sklaven und Landarbeiter, deren vielfältige musikalische Hintergründe in einem neuen, lateinamerikanisch geprägten Rhythmus zusammenflossen. Das Haus und einige benachbarte Gebäude, die allesamt stark sanierungsbedürftig waren, kaufte ab 1985 der argentinische Unternehmer Jorge Eckstein. „Bei der Grundsanierung stellte man überrascht fest, dass das gesamte Viertel von unterirdischen Kanälen durchzogen war, die bei Errichtung von San Telmo der Abfuhr von Regen- und Schmutzwasser dienten“, berichtete Enrique Salmoiraghi. Der Kunstkritiker und Kurator erläuterte das Museum „El Zanjón“, das in einem der aus den 1830er Jahren stammenden Wohnhäusern eingerichtet wurde und durch welches er die Fachbesucher aus Nordrhein-Westfalen führte. „Es gibt in der Regel keine Pläne und wenig Wissen über die Entstehungszeit der Immigrantenviertel“, so Salmoiraghi weiter. Zum Teil greife man auf die Technik der „oral history“ zurück, um von älteren Bewohner*innen überlieferte Geschichten aus der frühen Nutzungszeit zu erhalten.

Während San Telmo als eines der ältesten Stadtviertel weiterhin von Einheimischen geprägt wird, hat sich der Arbeiterstadtteil La Boca zu einem touristischen Magneten entwickelt. Rund um Caminito, eine enge Gasse mit bunt gestrichenen Wellblechhäusern, die an die Frühzeit der Gegend als Einwandererviertel erinnern, finden sich hier Straßenkünstler, Steakhäuser und das Heimatstadion des Fußballvereins Boca Juniors – in dem an dem Besuchstag der deutschen Reisegruppe das Lokalderby Argentinien – Uruguay stattfand. Als einer der wenigen Neubauten beeindruckte das Museum für moderne Kunst „Fundación Proa“, die in Wechselausstellungen lateinamerikanische, zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler präsentiert und von ihrer Dachterrasse einen Blick auf die alten Hafenanlagen des Riachuelo-Flusses bietet.

Ebenso präsent wie der Tango ist im Stadtbild von Buenos Aires die Erinnerung an die Opfer des Terror-Regimes, welches das südamerikanische Flächenland von 1976 – 83 erlebte. Damals ließ das Militärregime etwa 30 000 Menschen „verschwinden“. Die Mütter (Madres de Plaza de Mayo) der „Desaparecidos“ protestieren bis heute jeden Donnerstag auf dem Platz der Mairevolution gegen die mangelnde Aufklärung dieser Verbrechen. Auch in großen Unternehmen wie der Staatsbank und an Universitäten wird an die damals „Verschwundenen“, deren Verbleib bis heute vielfach ungeklärt ist, mit großen Plakaten erinnert.

Baukultureller Austausch

So auch an der „Facultad de Arquitectura, Diseño y Urbanismo“ (FADU) der Universidad von Buenos Aires, der größten und bedeutendsten Architekturfakultät Argentiniens. Mit mehr als 25 000 Studierenden und sieben Disziplinen ist sie eine der größten Fakultäten der Universität. „Buenos Aires ist eine hochverdichtete Agglomeration, die uns städtebaulich und in Fragen der Nachhaltigkeit sehr fordert“, erklärte Prof. Andrea Winter im Gespräch mit der deutschen Architektengruppe. Der Denkmalschutz und die Entwicklung des Gebäudebestandes seien große Aufgaben, denen sich die junge Generation von Planer*innen aktuell zu stellen habe.

Andrea Winter stellte mit ihren Kollegen Javier Ugalde und Santiago Luppi, mit denen sie das Architekturbüro „A3“ betreibt, mehrere Beispiele aus der eigenen Büropraxis vor. „Wir arbeiten an denselben Themen“, konstatierte der Präsident der Architektenkammer NRW, Ernst Uhing. Vor allem die Wertschätzung und Entwicklung des Gebäudebestandes habe eine vergleichbare Entwicklung genommen. Es wurde vereinbart, den Austausch fortzusetzen.

Ein weiterer baukultureller Diskurs fand mit der Architektenverband „Sociedad Central de Arquitectos“ (SCA) von Buenos Aires statt. „Ihr Besuch ist ein starkes Zeichen für unsere internationale Zusammenarbeit als Architektinnen und Architekten“, begrüßte SCA-Präsidentin Rita Comando die Kolleg*innen aus Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam mit AKNW-Präsident Ernst Uhing unterzeichnete die SCA-Präsidentin einen „Letter of Understanding“, in dem der gemeinsame Einsatz für ein umweltverträgliches und nachhaltiges Planen und Bauen bekräftigt wurde.

Grün in der Stadt

So sehr Buenos Aires dadurch gekennzeichnet ist, dass die einzelnen Stadtteile jeweils einen eigenständigen Charakter aufweisen, so verbindet ein Element doch die gesamte Stadt: das Grün. Viele große Straßen sind als Alleen gestaltet, immer wieder trifft man auf Parks und Grünanlagen, die als Erholungsräume in der urbanen Dichte von Bürgerinnen und Bürgern gerne genutzt werden. Zur Reisezeit der NRW-Architektengruppe im November hatte in Buenos Aires der Frühling begonnen; viele Bäume standen in voller Blüte. Es vermittelte sich das Bild einer europäisch geprägten, lateinamerikanisch pulsierenden Stadt.

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