Grün-blaue Infrastruktur stärken!

Ein aktuelleres Thema hätte die Initiative „Baukultur NRW“ für ihre Tagung in Witten Anfang Juni nicht wählen können. Die jüngsten „Jahrhunderthochwasser“ im Süden Deutschlands (die Bezeichnung verliert angesichts der Häufigkeit des Ereignisses zunehmend ihren Sinn) haben der Tagung „Grün-Blau Grau - Was braucht die Stadtlandschaft?“ die Dringlichkeit einer klimagerechten Wende im Städtebau einmal mehr deutlich gemacht.

17. Juni 2024von Frank Maier-Solgk

„Wir haben nicht mehr viel Zeit“, betonte denn auch Peter Köddermann, Geschäftsführer Programm Baukultur NRW, der zudem eine stärkere bürgerliche Beteiligung einforderte.

Den meisten der Anwesenden dürfte die Notwendigkeit resilienter Stadtentwicklung jedenfalls ebenso bewusst sein wie das derzeit diskutierte Panorama geeigneter Maßnahmen: vom Bau von Rückhaltebecken bis zur Schwammstadtkonzepten, von den (überschaubaren) temperaturbezogene Effekten von Dach- bzw. Gebäudebegrünungen bis zu Entsiegelungsmaßnahmen und Neuanpflanzungen und dem damit verknüpften Thema der Flächen-Nutzungskonkurrenz besonders in Innenstädten. Und auch über die Chancen, die eine an Grün und Blau orientierte Raumentwicklung für das Klima, für die Gesundheit und letztlich auch ökonomisch bedeutet, dürfte unter Expertinnen und Experten vielfach Einigkeit bestehen. Und doch scheint auch diese Tagung zu bestätigen: Es wird aktuell zu wenig getan.
Von den Best-Practice Beispielen in NRW, die auf einer Tafel im Foyer des Wittener Saalbaus gezeigt wurden, lagen die meisten schon geraume Zeit zurück; größere städtebauliche Umwandlungen wie etwa die Freilegung und Renaturierung der Sieg in der Stadt Siegen schon mehr als zehn Jahre. Immerhin, mit der IGA 2027 steht ein Großereignis mit zahlreichen neuen Park- und Freiflächenprojekten bevor, die an vorhandene Grünzüge im Ruhrgebiet anschließt: IGA-Geschäftsführer Horst Fischer lieferte einen Vorbericht. Mit einer Veranstaltung dieses Zuschnitts lässt sich allerdings auch leicht argumentieren: Die angesichts der Besucherzahlen erwartbaren regionalwirtschaftlichen Effekte der IGA sind vermutlich nach wie vor eine mitentscheidende Kategorie im politischen Raum.

Priorität einfordern!

Wo liegen weitere Gründe für die derzeitigen Umsetzungsprobleme? Und wo finden sich Ansätze zu ihrer Überwindung? Der Stadtbaurat von Witten, Stefan Rommelfanger, machte für die Schwierigkeiten neben hohen Kosten und fehlenden integrierten Förderprogrammen vor allem eine Verlagerung der politischen Schwerpunkte verantwortlich: Derzeit hätten Wohnungs-, vor allem aber Bildungsthemen Priorität; das Thema „Grüner Umbau“ rangiere aktuell weiter hinten. Was tun? Prof. Tillmann Buttschardt vom Institut für Landschaftsökologie an der Universität Münster plädierte für die konsequente Aufstockung von Gebäuden und für ein generelles Höherbauen, um die Innenstädte zu verdichten und einen weiteren Flächenverbrauch zu vermeiden. Außerdem warb er für ein radikales Umdenken beim Autoverkehr.

Lernende Planung

Wie aber lassen sich solche gut gemeinten Forderungen zum Erfolg verhelfen? Vielleicht sind Umbaumaßnahmen, die im Zuschnitt überschaubar sind und mit Beteiligung der Bevölkerung durchgeführt werden, besser geeignet, um von der Machbarkeit ökologischen Städtebaus zu überzeugen. Keynote-Speaker der Tagung Ben Pohl vom Basler Büro „denkstatt sàrl“ stellte drei Beispiele aus Basel (Dreispitz-Areal, Klimapioniere; Gundeldinger Feld) und Zürich (Hardturmstrasse) vor, die mit einem induktiven Planungsansatz Erfolge verbucht hätten, der Korrekturen im Prozess zulässt und die Vorstellungen der Nutzer*innen auf mehreren Ebenen teilweise in Form temporärer Erprobungen einbezieht. Die Planungsämter hätten dabei jeweils nur die Rahmen abgesteckt, so Ben Pohl. „Lernende Planung ist der neue Masterplan“, postulierte der Basler Stadtforscher, „nicht mehr ein rigides Festhalten am alten Konzept der Nutzungsvielfalt.“

Ökosystemleistungen

Auf die Überzeugungskraft datenbasierter Fakten und ihrer wissenschaftlichen Darstellung setzt hingegen eine von der Forschungsgruppe „Raumbezogene Planung und Städtebau“ des ILS Dortmund vorgestellte neue Toolbox. Mit deren Hilfe soll eine umfassende Darstellung aller „Ökosystemleistungen“ gelingen, die sich wiederum in regulative (z.B. Kohlenstoffbindung, CO2-Verminderung) und kulturelle (Raum für sportliche Aktivitäten) Leistungen sowie Versorgungsleistungen (z.B. Grundwasser als Trinkwasser) aufteilen. Die Hoffnung ist, dass sich aus der quantifizierbaren Gesamtbetrachtung aller Ökosystemleistungen konkrete, nachvollziehbare Handlungsempfehlungen für die Kommunen ableiten lassen.
Ein großes Potenzial besitzen auch Gewerbegebiete, die immerhin heute rund 20 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsfläche ausmachen. Die Leiterin des Netzwerks „Gewerbegebiete im Wandel“ Hildegard Boisserée, betonte die Notwendigkeit (und die Möglichkeit) eines Austauschs der unterschiedlichen Stakeholder. Sie verwies exemplarisch auf das Beispiel der Firma Mitsubishi in Ratingen, die auf ihren Außenflächen einen Naturraum mit Wasserlauf entwickelte, der auch ein Regenrückhaltebecken beinhaltete. Breit diskutiert wurde ferner ein Projekt des Duisburger Landschaftsarchitekturbüros „Danielzik Leuchter + Partner“, das eine Neuanpflanzung von 38 Bäumen auf dem Mittelstreifen einer breiten Einfallstraße in Mülheim/Ruhr vorsieht. Die komplexen Anforderungen bei der Herstellung und Bewässerung einer ausreichenden Vegetationsfläche machen – nicht zuletzt aufgrund winterlichen Salzstreuung - eine technisch anspruchsvolle unterirdische Lösung notwendig, die den Bau von Rigolen und unterschiedlich „bespielbaren“ Regenwasserkanälen einschließt.

Umweltgerechtigkeit

Auf einen oft in diesem Zusammenhang oft unterbelichteten Faktor wies Prof. Heike Köckler von der Hochschule für Gesundheit in Bochum hin: Die Verteilung städtischen Grüns korreliere mit der Gesundheit und der Lebenserwartung der Menschen. „Environmental injustice“ sei ein vielfach bereits belegtes Faktum, das in der Regel Mehrfachbelastungen (Grünanteil, Lärm, Feinstaub etc.) beinhalte und einer weit stärkeren Beachtung durch die zuständigen Ämter bedürfte. Auch aus diesem Befund (entsprechende Analysen gibt es für die Städte Herne und Bochum-Wattenscheid) ergibt sich für Prof. Köckler die Aufforderung: „Wir müssen den Mehrwert von Grün für die Gesundheit stärker kommunizieren!“
Vielleicht war Kommunikation sogar das Fazit der Tagung von Baukultur NRW im Wittener Saalbau: Denn auch die These der Umweltpsychologin Dr. Isabella Uhl-Hädicke (Universität Salzburg) ließ sich so interpretieren: Vor dem Hintergrund unseres (allzu menschlichen) Nachahmungstriebs und unseres Wunsches, sozialen Normen zu entsprechen, eröffneten sich Möglichkeiten. Isabella Uhl-Hädicke: „Den Umweltschweinehund kann man nur durch Engagement beim Herausstellen positiver Beispiele eines Besseren belehren.“

Teilen via