Internationaler Architekturkongress auf der „glasstec“ präsentierte innovative Projekte
Mit 936 Ausstellern aus 47 Ländern war die Fachmesse „glasstec“ im Oktober in Düsseldorf ein nachgefragtes Forum. Auch das Planen und Bauen mit dem Werkstoff Glas wird traditionell auf der Messe diskutiert - im Rahmen eines „Internationalen Architektenkongresses“, den die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen als Partnerin der Messe in diesem Jahr erneut durchgeführt hat. Zu den prominenten Büros, die am 22. September unter dem Titel „Weitblick. Zukunftsfähige Architektur mit Glas“ innovative Projekte präsentierten, gehörten Renzo Piano Building Workshop (Paris), 3XN (Kopenhagen) und Neuteling Riedijk Architects (Rotterdam).
Letztlich gehe es beim Bauen mit Glas darum, „die Schwerkraft zu überwinden und Bauwerke von großer Leichtigkeit, ja schwebende Bauten zu schaffen“, sagte Bernhard Plattner vom Renzo Piano Building Workshop in seinem Vortrag auf dem Internationalen Architektenkongress. Der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Ernst Uhing, verwies in seinem Eingangsimpuls vor allem auf die Fortschritte, die im Bereich Photovoltaik und sommerlicher Wärmeschutz gegenwärtig realisiert werden: „Glas ist ein faszinierender und mehr als 3000 Jahre alter Baustoff – und kann doch immer wieder weiterentwickelt werden.“ Der Kongress „Weitblick – Zukunftsfähige Architektur mit Glas“ sei deshalb sehr gut in die Fachmesse „glasstec“ eingebunden. Hier könne deutlich gemacht werden, wie Fortschritt in der Glastechnologie auch gestalterisch genutzt werden kann. „Gute Architektur mit Glas ist immer das gelungene Zusammenspiel von Material, Technik und Gestaltung“, betonte Kammerpräsident Ernst Uhing.
Glas in der Kritik
Prof. Thomas Auer von der TU München warf zunächst einen kritischen Blick auf die Entwicklungen der zurückliegenden 40 Jahre. „Die größte Herausforderung ist der Gebäudebestand, da liegt vieles im Argen“, erklärte Prof. Auer. Gebäude seien zu eng gebaut worden, der Kälteschutz habe überhaupt nicht funktioniert, der sommerliche Wärmeschutz nur bedingt. Ein erstes gelungenes Beispiel sei das „Manitoba Hydro Place“ in Winnipeg gewesen, das als eines der ersten „grünen Hochhäuser“ gilt. Es verfüge über eine Doppelfassade, einen nach Süden gerichteten Wintergarten - und funktioniere mit seinen großen Glasflächen sowohl im Sommer (bei plus 35 Grad Außentemperatur) als auch im Winter (bei minus 35 Grad), so Thomas Auer. Auch dank der Nutzung von über 300 Erdwärmesonden habe zwei Jahre der „Einstellung“ des Bauwerks das geplante Betriebskonzept mit den angestrebten Energiewerten erreicht werden können. „Wir bauen atmende Gebäude; klimaadaptive Hüllen, die auf das Klima eingehen.“ Sein Büro habe ein Modell geschaffen, das aber noch nicht kopiert werde.
Glastürme als Irrweg?
Weltweit würden weiterhin „dumme Gebäude“ gebaut, meinte Prof. Auer. „Meine These ist also, dass die technologisch-intelligente Glas-Architektur als Modell versagt hat.“ So habe etwa eine europaweit durchgeführte Studie von Schulgebäuden ergeben, dass 95 Prozent nicht die berechnete Performance erreichten. Ein Forschungsprojekt der TU München habe ebenfalls gezeigt, dass ein „Performance-Gab“ zwischen Planung und Realität von 30 – 70 % bestehe; im Wohnungsbau teilweise bis zu 100 %. „Je ambitionierter der Bau, desto größer der Performance-Gap“, resümierte Prof. Thomas Auer. Der Architekt und Forscher der TU München warnte vor einer ausufernden Technisierung des Bauens. „Es glaubt doch niemand von uns, dass hochkomplexe Gebäude mit Sensoren in allen Räumen und an den Fassaden in 20 Jahren noch reibungslos laufen.“ Zudem gebe es eine „Effizienz-Falle“, in die viele tappten. „Wir bauen Räume, die nur genau für einen Zweck funktionieren - aber kaum umgenutzt werden können.“
Vor diesem Hintergrund erforsche er, gemeinsam mit dem Lehrstuhl von Florian Nagler in München, das einfache Planen und Bauen. „Es ist sicherlich nicht einfach, ein Umdenken durchzusetzen“, sagte Prof. Auer. Schließlich sei die aktive Architektengeneration mit Stahl-Glas-Gebäuden aufgewachsen und konditioniert. Wobei Mischformen denkbar seien – wie das Beispiel „Alnatura Arbeitswelt“ in Darmstadt von Haas, Cook, Zemmrich als Hybrid aus Glas- und Stampflehmbau zeige.
Offenheit und Schutzhülle
Dr. David Serero (Serero Architectes, Paris) stellte die „Bayeux Media Library“ vor, die er als Verbindung von Geschichte und Zukunft verstanden wissen wollte. Das Projekt in einer kleinen Stadt im Norden Frankreichs sei vor drei Jahren fertiggestellt worden. Das Projekt ging aus einem Wettbewerbsverfahren hervor. Realisiert wurde eine vollständige Glasfassade um 3000 m2 Grundfläche, gestützt auf dünne „Stahlnadeln“. Im Kern stehen zwei Baukörper aus Beton. „Wir nutzen Glas hier, um das Bauwerk offen erscheinen zu lassen, um das Innen mit dem Außen zu verbinden“, erläuterte Dr. Serero. Die 5,50 Meter und 1,80 Meter breiten Gläser der langgestreckten Nord-Ost-Fassade sind Doppelgläser; dahinter liegen farbige Röhren, die für Verschattung des Innenraums sorgen. „Glas ist ein wunderbares Material, weil die Komponenten vorproduziert werden können und eine vollständige Recyclingfähigkeit gegeben ist“, fasste David Serero seine Erfahrungen zusammen.
Historische Strukturen in Wert setzen
Dieter de Vos von Neutelings Riedijk Architects aus Rotterdam stellte das Projekt „Gare Maritime“ in Brüssel vor, das er als gelungenes Beispiel für die Transformation eines alten, qualitätvollen Lagergebäudes aus dem 19. Jahrhundert in eine moderne Nutzung verstanden wissen wollte. Drei große, 280 Meter lange Hallen aus Glas und Stahl wurden behutsam überarbeitet und zu einer „Stadt, in der es niemals regnet“ umgenutzt. Ein gemischtes urbanes Programm sieht Büroräume, eine Food-Hall sowie öffentliche Räume für Events und vielfältige Nutzungen vor. Teile der Deckenkonstruktion und alle Einbauten wurden in Holz realisiert. „Wir wollten ein wirklich nachhaltiges Bauwerk schaffen“, so Dieter de Vos. Der Einbau von 5000-m2-Haus-in-Haus-Volumina in Holz sei sehr gut und ohne Eingriffe in die bestehende Stahlkonstruktion möglich gewesen. Insgesamt sei das Projekt energiepositiv, historisch wertvoll und nachhaltig in der Nutzung der eingesetzten Baustoffe. Allein 10 000 m2 Holz wurden verbaut, was 3500 Tonnen CO₂-Ausstoß vermieden habe. Photovoltaik-Elemente sichern die Stromversorgung.
Lebendige Photovoltaikfassade
Mit dem „electric case“-Gebäude für das neue Amt für Umwelt und Energie in Basel stellte Prof. Ingemar Vollenweider (jessenvollenweider architektur ag, Basel) ein Projekt vor, das den Anspruch erfüllen sollte, nachhaltig und energieneutral zu sein. Geplant wurde eine Holz-Beton-Hybrid-Konstruktion mit einer Photovoltaikfassade auch aus polykristallinen Zellen. „Die Forschung ist aber schnell vorangegangen, sodass wir am Ende auf Photovoltaik mit Schmelzglas umgeschwenkt sind“, berichtete Prof. Vollenweider aus dem Planungsprozess. Die Gesamtfassade bringe heute einen Energieertrag, der das Gebäude rechnerisch in sieben bis neun Jahren energieneutral darstellt. „Wir haben lange erforscht, wie ein allzu hermetischer Eindruck vermieden werden kann. Das haben wir über die Schmelzglasformen erreichen können. Wir setzen das Glas in der Fassadengestaltung ein wie Stein.“
Transluzente Glasschindeln
Stepan Valouch (ov architekti, Prag) stellte die „Lasvit Headquarters“ vor, eine Glasmanufaktur in Novy Bor. Die böhmische Stadt wurde vor rund 300 Jahren rund um eine Glashütte gegründet im Stil der späteren Gartenstadtbewegung. Das neue Bauwerk ergänzt ein Ensemble und wurde in seiner Struktur an die traditionellen Holz-Schiefer-Häuser der Region angelehnt. „Unsere Idee war, die Glas-Bücherei mit einer Schindelfassade aus transluzentem Glas auszustatten“, berichtete Stepan Valouch. Dazu wurde eine Beton-Stahl-Struktur aufgebaut; die Fassade besteht heute aus 30 verschiedenen Schindelformen. „Das Gebäude verändert sich mit dem Licht, die Einwohner von Novy Bor sind heute stolz auf das Gebäude“, resümiere Stepan Valouch.
Bauwerk und öffentlicher Raum
Den „unboxing cube berlin“ stellte Torben Ostergaard von 3XN aus Kopenhagen vor. „Es ging darum, einen privaten Bürowürfel in den öffentlichen Raum am Lehrter Bahnhof zu stellen“, erklärte Ostergaard. Das habe man als besondere Verantwortung verstanden. Das Bauwerk sollte für die Betrachter interessant erscheinen, sodass jede Fassadenseite leichte Variationen aufzeigen sollte. Einbuchtungen in der Fassade bieten Raum für langgezogene Balkone. Das Erdgeschoss ist für öffentliche Nutzungen geöffnet, z. B. für Gastronomie am Washingtonplatz. „Unser Ziel war, dass das Gebäude mit den Passanten flirtet“, so Torben Ostergaard. Die mehrfach geknickte Fassade bietet vielfältige Reflektionen, „ähnlich einem Kaleidoskop“. Dazu bedurfte es einer speziellen Glasfassade. Nach verschiedenen Versuchen wurde entschieden, eine einfache Außenhaut und eine Dreifachverglasung als Innenhaut vorzusehen.
Das Bauwerk wurde vollständig in BIM geplant. 6000 Glaselemente mussten geplant und verbaut werden. „Die Struktur ist komplex, aber das Bauprinzip ist eigentlich simpel“, meinte Torben Ostergaard. „Wir glauben an den technologischen Fortschritt beim Planen und Bauen, aber wir müssen die Nutzer mit einbinden. Denn wir gestalten Lebensräume und öffentliche Räume.“
Glas haucht Leben ein
Einen breiten Überblick über die Projekte des „Renzo Piano Building Workshop“ gaben Bernhard Plattner und Carla Baumann „Glas ist das Material, das wir brauchen, um Architektur Licht und Leben einzuhauchen“, sagte Bernhard Plattner. Kein anderes Material könne ein solches Niveau an Transparenz und Stimmung erzielen. Für Renzo Piano und sein Team habe schon beim Centre Pompidou die gläserne Fassade eine wichtige Rolle gespielt, um die technoide Architektursprache mit einem transparenten, einladenden Effekt zu verbinden.
Der Wiederaufbau der Seilbahn Les Grands-Montets in Chamonix-Mont-Blanc sei „das längste Projekt, das wir je bearbeitet haben“, führte Carla Baumann ein. Die Seilbahn zieht sich über fünf Kilometer und überwindet dabei zwei Kilometer Höhenunterschied. Die Stationen wurden als transparente Würfel geplant, die an kristalline Strukturen („Pyrit am Berg“) erinnern sollen und zugleich die Massivität üblicher Seilbahnstationen vermeiden.
Wie Eisschollen versteht sich auch das „Float“ im Düsseldorfer Medienhafen, das aus fünf Baukörpern besteht, die – teilweise offene – Zwischenräume ausbilden. Eine Passerelle mit Bäumen soll urbanen öffentlichen Raum schaffen. Nur die Südfassade bedarf einer Verschattung. „Maximale Transparenz“ lautete das Konzept, das sich auch im P&C-Weltstadthaus in Köln (2005) wiederfinden lässt. „Der große Wahlfisch war eine unserer ersten amorphen Glaskonstruktionen“, blickte Bernhard Plattner zurück. Das Prinzip sei auch bei der „Jérome Seydoux Pathé Foundation“ in Paris zum Einsatz bekommen. Die Verbindung von Holz-Aluminium-Bindern mit gebogenen Glasflächen diene dem Ziel, „die Schwerkraft zu überwinden und eine leichte, ja schwebende Architektur zu erreichen“, schloss Plattner seine Tour d’Horizon durch fünf Jahrzehnte des Planens und Bauens mit Glas.
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