Karl Ganser: Ein Lebenswerk mit Nachhall
Die Nachrufe sind alle geschrieben worden. Mit Dankbarkeit, mit Respekt, ja Bewunderung nahm man Abschied von Karl Ganser (1937 – 2022), der im April in seiner bayrischen Heimat mit 84 Jahren verstarb.
Besonders gilt dies für Nordrhein-Westfalen, wo man eine Persönlichkeit ehrte und auch ehren wollte, die (als langjähriger Geschäftsführer der IBA Emscher Park) dem schwierigsten Teil des Bundeslandes, dem Ruhrgebiet, eine neue Idee von sich selbst und tatsächlich auch in vieler Hinsicht ein neues Gesicht gegeben hat. Große Veranstaltungen auf Zeche Zollverein, spektakuläre Ausstellungen im Oberhausener Gasometer oder auch ganz persönliche Erlebnisse in einem nächtlich märchenhaft erstrahlten Landschaftspark Duisburg Nord – all das hätte ohne ihn, den „Architekten des neueren Ruhrgebiets“, nicht stattgefunden.
Mit Karl Ganser, dem im bayrischen Schwaben geborenen Geographen und Stadtplaner, verband sich wie mit niemandem sonst der Begriff des „Strukturwandels“. Es ist ein Begriff, der, wenn man recht sieht, im Revier seine eigentliche Prägung erhalten hat. Für seine Lebensleistung, die Transformation einer überstrapazierten Industrieregion durch rund 120 städtebauliche, soziale, kulturelle und ökologische Projekte organisiert zu haben, erhielt Karl Ganser 2003 den Staatspreis des Landes NRW.
Karl Ganser bleibt allen, die ihn kennengelernt hatten, als Visionär, Pragmatiker und nicht zuletzt als lebendiger Diskutant in Erinnerung. „Baukultur durch Planungskultur“ lautete beispielsweise der Titel eines Impulsvortrages, den Karl Ganser auf einem der Internationalen Architekturkongresse der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen („Inselkongress 2005“ auf Usedom) hielt; zwei Begriffe, die den Rahmen seines erfolgreichen Schaffens abstecken. Wer damals dabei war, wird sich an das eindringliche Auftreten Gansers erinnern, an die geradezu feurige Leidenschaft des Überzeugen-Wollens, die er hier wie bei zahllosen anderen Diskussionen an den Tag legte - ganz gleich ob mit Ministern und Ministerinnen, Architekten und Architektinnen oder Studierenden.
Der Strukturwandel im Ruhrgebiet ist freilich kein abgeschlossener Prozess. Wie er in Zukunft verläuft, und wie stark man dabei auf die Strategien der 1980er Jahre setzen kann, auf Gansers Erfindungen der „Industriekultur“ oder einen umfassenden Landschaftsbegriff, der Stadt, Land samt aller Zwischenräume umfasst und gleichwohl identitätsstiftend wirkt, darüber ließe sich trefflich diskutieren. Nach dem Jahr 2000 jedenfalls wurden im Ruhrgebiet Schwerpunkte gesetzt, die sich aus Gansers Arbeit durchaus ableiten ließen: Zu erinnern ist an Großereignisse wie die Kulturhauptstadt RUHR 2010, aus der wiederum künstlerisch-kulturelle Nachfolgeinitiativen wie die „Emscher Kunst“ und die „Urbane Künste Ruhr“ hervorgingen, welche die frühere kulturelle Landmarken-Politik im Kleinen und in der Fläche fortsetzten. Und was die Ökologieseite betrifft, so hat das Generationen-Projekt des Umbaus der Emscher in diesem Jahr 2022 – 30 Jahre nach seinem Auftakt – einen Abschluss gefunden: Heute fließt kein Abwasser mehr in diesem Flüsschen, das mehr als 100 Jahre lang zurecht in üblem Rufe stand.
Und schließlich wird man auch die „Regionalen“ nennen können, die seit 2000 als integrative regionale Strukturmaßnahme in ganz NRW alle zwei bis drei Jahre durchgeführt werden und die durchaus im Sinne Gansers landschaftliche und kulturelle Aspekte verbinden. Vielleicht würde man heute stärker als früher bei neuen Projekten die Menschen vor Ort einbeziehen. Und sicherlich fordern neue Entwicklungen, allen voran Fragen des Klimawandels, aber auch die Bevölkerungsentwicklung und das veränderte Freizeitverhalten neue Schwerpunkte der Strukturpolitik.
Nachdem vor Kurzem der Nachlass Karl Gansers, zahllose Kisten mit Briefen, Notizen und Redemanuskripten, aus Bayern ins Baukunstarchiv NRW nach Dortmund gewandert ist und der Forschung nun offensteht (die Stiftung Deutscher Architekten fördert aktuell ein entsprechendes Habilitationsprojekt, vgl. DAB 06/22), wird man solchen Fragen der regionalen Planung und der regionalen Identität systematisch nachgehen können. Ganz im Sinne Gansers aber wäre es, wenn alsbald irgendwo zwischen Rhein und Ruhr bzw. Emscher eine Tagung stattfinden würde, die sich in kundigem Kreis engagiert und sich durchaus streitfreudig dem Nachwirken der Ideen Karl Gansers widmen würde.
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