Kommentar: Für eine Jugend in Präsenz

Unsere Gesellschaft braucht schnell eine klimagerechte, zukunftsfähige Architektur. Und die ist nur zu erreichen, wenn die jungen Kolleginnen und Kollegen bestmöglich ausgebildet werden.

13. März 2023
Dipl.-Ing. Architektin BDA Susanne Crayen - Foto: Markus Luigs

Lieber Kollege,
liebe Kollegin!

Wer im Sommersemester 2020 sein Architekturstudium begonnen hat, steht in diesem Jahr vor dem Bachelor-Abschluss - und hat vermutlich den Großteil seiner bisherigen akademischen Ausbildung online absolviert. Glücklicherweise sind die Corona-Kontaktbeschränkungen nun vorüber. Gleichwohl wird diskutiert, was an positiven Erfahrungen für die Zukunft genutzt werden kann. Insbesondere die Videokonferenzen gelten in mancherlei Hinsicht als neu errungene Kulturtechnik, die in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern weitgenutzt werden kann.
Zweifellos ist es sinnvoll, kurze Abstimmungen in „ViKos“ zu erzielen, statt Gremien quer durch die Lande reisen zu lassen. Und auch das Home-Office hat sich für bestimmte Zeiten und Arbeitsaufgaben als hilfreich erwiesen - sowohl ökonomisch als auch ökologisch.
In der Ausbildung junger Menschen ist allerdings Vorsicht geboten. Rückblickend scheinen sich die meisten Fachleute einig zu sein, dass die Schulen zu oft und zu schnell geschlossen blieben. Bei der reinen Wissensvermittlung und Aufgabenbearbeitung mag das Tele-Learning funktionieren. Der Mensch als soziales Gruppenwesen braucht aber auch die persönliche Interaktion. Für Kinder und Jugendliche ist das Lernen (und Spielen) in Gruppen gänzlich unerlässlich, dient es doch auch und unbedingt dem Erlernen sozialer Verhaltensweisen und der Persönlichkeitsbildung. Gruppenarbeiten und Teamwork bleiben für Studierende wichtig, und auch der Besuch kultureller Veranstaltungen und von Partys sind eben kein reiner Spaß, sondern Lernprozesse. (Und das meine ich nicht nur augenzwinkernd.)

Wenn also jetzt diskutiert wird, ob - und wenn ja, zu welchem Anteil - das Architekturstudium künftig auch in Online-Vorlesungen und virtuellen Übungen abgelegt werden kann, ist Vorsicht geboten. Bislang sind in Nordrhein-Westfalen nur Absolventinnen und Absolventen der Studiengänge Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung „kammerfähig“, die ihr akademisches Programm überwiegend in Präsenz absolviert haben. (Die Corona-Zeit bildet dabei aktuell eine begründete Ausnahme.)

Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen weiß sich in dieser Frage völlig einig mit den anderen Länderkammern, und auch die Hochschul-Professorinnen und -Professoren unterstützen diese Haltung mehrheitlich. Als wir Anfang Februar zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder zu einem „Dekaninnen- und Dekanegespräch“ einluden, kamen viele Lehrende der NRW-Studiengänge im Baukunstarchiv NRW in Dortmund zusammen, um sich untereinander austauschen und um mit den Repräsentant*innen der Architektenkammer NRW über die Zukunft der Hochschulausbildung in unserem Bundesland zu diskutieren.
Einigkeit herrschte u. a. in der Einschätzung, dass das „Bauen im Bestand“ und das „Klimagerechte Planen und Bauen“ thematisch stärker in der Lehre verankert werden müssen. „Ich glaube, dass wir das auf eine viel breitere Basis stellen müssen und dass Klimaschutz Grundbestandteil in allen Fächern und Modulen sein muss“, sagte etwa Prof. Christian Schlüter von der Hochschule Bochum in einem Impulsvortrag. (Sie können die Kernaussagen einiger Dekaninnen und Dekane in einem Videoclip auf dem YouTube-Kanal der Architektenkammer NRW abrufen.)
Am Ende des Dekaninnen- und Dekanedialogs der AKNW stand die Verabredung, die Gespräche regelmäßig fortzuführen, um über aktuelle Fragen der Ausbildung des Architekten- und Stadtplanernachwuchses zu sprechen. Die Themenpalette reicht von der Anerkennung von Abschlüssen und Leistungsmodulen über die Frage von Präsenz- und Online-Lehre bis hin zu inhaltlichen Fragestellungen. Wobei die Architektenkammer NRW die Freiheit von Forschung und Lehre wertschätzt und ihre eigene Rolle als Diskussionspartnerin sieht.
Klar ist: Unsere Gesellschaft braucht schnell eine klimagerechte, zukunftsfähige Architektur. Und die ist nur zu erreichen, wenn die jungen Kolleginnen und Kollegen bestmöglich ausgebildet werden. Daran wollen wir alle gemeinsam mitarbeiten. Damit die Jugend immer wieder kritische, neue Impulse in die Branche bringen kann und wird.

Es grüßt Sie herzlich


Ihre
Dipl.-Ing. Susanne Crayen
Vizepräsidentin der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen

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