Rund 170 Interessierte verfolgten das 16. Architekturquartett am 9. November in der Alten Papierfabrik Wuppertal. AKNW-Pressesprecher Christof Rose stellte die drei am Abend besprochenen Projekte vor. – Foto: Mathias Kehren

Kreisläufe neu denken

„Wir müssen vom Leuchtturm in die Fläche kommen, denn mit Leuchttürmen werden wir die Welt nicht retten, wir werden die Welt nur retten, wenn wir neue Standards etablieren.“ – Diesen Appell richtete Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführende Vorständin der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, im Rahmen des 16. Architekturquartetts NRW in Wuppertal an die gesamte Baubranche.

14. November 2023von Lea Pawelzik

Die Nachhaltigkeitsexpertin diskutierte am 9. November zusammen mit der Architektin Vera Hartmann (Sauerbruch Hutton, Berlin), dem Moderator Max Moor (ttt - titel, thesen, temperamente) und dem Stadtplaner Prof. Tim Rieniets (Leibniz Universität Hannover) über zirkuläres Bauen, konkret über drei aktuelle Projekte in NRW, in denen das Thema „Kreislauf“ auf ganz unterschiedliche Art und Weise verwirklicht wurde. 

Rund 170 Interessierte verfolgten die lebhafte Diskussion in der Alten Papierfabrik vor Ort; auch die Live-Übertragung auf dem AKNW-YouTube-Kanal verzeichnete konstant 100 weitere Teilnehmer*innen.

AKNW-Präsident Ernst Uhing wies in seiner Begrüßung auf die immensen Bau- und Abbruchabfälle hin, die Deutschland jährlich produziere und die gut 55 Prozent des gesamten deutschen Abfallaufkommens ausmachen würden. Das Prinzip „Cradle to Cradle“ sei ein Ansatz, um diesem Problem entgegenzuwirken, indem ein Abriss schon bei der Planung von Gebäuden mitgedacht wird. Auch das Bauen im Bestand gewinne immer mehr an Bedeutung, betonte Uhing. Vor diesem Hintergrund seien intelligente Lösungen gefragt, um Ressourcen zu schonen und CO₂-Emissionen zu reduzieren. 

Das „Quartett“ hatte die drei Projekte, über die gesprochen wurde, bereits tagsüber bereist. Christof Rose, Pressesprecher der Architektenkammer NRW, stellte dem Publikum die Bauwerke in kompakter Form mit Fotos und Videos jeweils vor.

Ressourcen schützen

Den Beginn machte das Holzhybrid-Bürogebäude „The Cradle“ vom Düsseldorfer Architekturbüro HPP Architekten  (Bauerr: INTERBODEN GmbH & Co. KG, Ratingen). Wie der Name bereits verrät, setzen die Verantwortlichen hier auf das Prinzip „Cradle to Cradle“, indem sie die Baukonstruktion so entwickelten, dass sie demontierbar und bei einem möglichen zukünftigen Abriss oder einer Umnutzung einfach rückbaubar wäre. Das Quartett diskutierte das Projekt, das sich in direkter Wasserlage im Düsseldorfer Medienhafen befindet, kritisch.

„Es gibt gute Ansätze – sicherlich ist es sinnvoll Brauchwasser zu nutzen und es ist gut mit Holz zu Bauen“, befand die Architektin Vera Hartmann. Doch Ressourcen müssten auch materialgerecht und ressourcenschützend eingesetzt werden. Hartmann kritisierte dabei den Schutz des Holztragwerks durch die vorgelagerten Glasflächen, was zu einem doppelten Einsatz von Material führe. Ebenfalls problematisch sah das Quartett das Prinzip, die Hoffnung nur in einen zukünftigen Rückbau zu setzen. „Ich hätte es konsequenter gefunden zu sagen, wir bauen ein Gebäude komplett aus alten Teilen“, erklärte Prof. Tim Rieniets. Gleichzeitig stellte das Quartett jedoch fest, dass in Deutschland aktuell noch die Strukturen fehlen, um ein Projekt aus vollständig recycelten Bauteilen umzusetzen.

Archivbau mit Recyclinganteil

Weiter ging es mit dem Kreisarchiv Viersen, das ebenfalls auf das Prinzip „Cradle to Cradle“ setzt. Das Gebäude wurde von DGM Architekten aus Krefeld geplant; die Landschaftsarchitektur stammt vom Düsseldorfer Büro KRAFT.RAUM und die Innenarchitektur vom Düsseldorfer Büro Raumkontor. Im Kreisarchiv kamen nicht nur neuwertige Materialen zum Einsatz, sondern auch wiederverwendete. So stammt die Ziegelverkleidung des Magazinkubus aus einer alten niederrheinischen Fabrik, und im Boden wurden Gussasphalt-Reste genutzt.

„Was mir sehr gut gefallen hat, war der Gedanke des Kerns, des Schutzraums für die Archivalien und drumherum aber diese Offenheit“, lobte Max Moor. Moor hob zudem die flexible Bauweise ohne tragende Wände hervor, die Raum für zukünftige Umgestaltungen lasse. Vera Hartmann ergänzte, dass die Holzskelettbauweise zudem besonders materialsparend sei. Auch dass es sich beim Bauherrn, dem Kreis Viersen, um einen kommunalen Bauherren handle wurde positiv hervorgehoben. „Wir haben da auf der kommunalen Ebene ein großes Potenzial“, so Dr. Christine Lemaitre. Als Kritikpunkt wurde jedoch genannt, dass das Gebäude auf einer zuvor noch nicht versiegelten Fläche errichtet wurde, die zuvor landwirtschaftlichen Zwecken diente. 

Bauen von Menschen für Menschen

Zuletzt wurde der BOB Campus in Wuppertal vorgestellt – ein Projekt der Montag Stiftung Urbane Räume, die hier inmitten des sozial durchmischten Stadtteils Oberbarmen einen Ort für das gesamte Quartier in einer leerstehenden Textilfabrik verwirklicht hat – mit u.a. einer Nachbarschaftsetage, Wohngebäuden, einem Co-Working-Space, einer Kita und einer Schule. Das Kölner Büro raumwerk.architekten plante das Projekt im Bestand und das Berliner Landschaftsarchitekturbüro atelier le balto entwarf den terrassierten Nachbarschaftspark.

Das Quartett zeigte sich begeistert von dem Projekt, in dessen Entwicklung die Menschen vor Ort eng miteinbezogen wurden. „Es ist wirklich Bauen von Menschen für Menschen, der Ursinn des Bauens ist hier voll erfüllt“, würdigte Max Moor das Projekt. Darüber hinaus müsse das Projekt keine großen Gewinne abwerfen, trage sich aber dennoch wirtschaftlich. Zirkularität könne hier nicht nur auf einer physisch materiellen Ebene gedacht werden, erläuterte Prof. Rieniets. „Wenn ich mit Bürgerinnen und Bürgern zusammenarbeite, ist das ja auch ein Wissenstransfer, von den Bürgern zu den Planern und wieder zurück“, so Rieniets.

„Wir brauchen mehr solcher Projekte, vor allem in Kiezen, wo wir Probleme haben, wo wir soziale Durchmischung brauchen“, zeigte sich auch Vera Hartmann begeistert. Zudem stieß auch der sehr behutsame Umgang mit dem Bestand auf Zuspruch. Es brauche hier Behörden, die nicht an der Erfüllung von Normen aus der Ist-Zeit beim Bauen im Bestand festhalten, appellierte Hartmann. Zudem habe man mit der kybernetischen Energiefassade ohne Dämmung ein echtes, innovatives Experiment gewagt. Mehr solcher Experimente im Bestand, und den Mut diese umzusetzen – das wünschte sich das 16. Architekturquartett zum Abschluss des Abends.

16. Architekturquartett NRW: Aufzeichnung des Livestreams

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Livestream vom 9.11.2023

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