Tag der Architektur in NRW mit 437 Architektur-Erlebnissen

„Wir sind zum zweiten Mal am Tag der Architektur unterwegs: Im vergangenen Jahr haben wir uns die grundsätzliche Gestaltung verschiedener Einfamilienhäuser angesehen, heute wollen wir uns von der Innengestaltung inspirieren lassen.“ Iris und Dirk Schulte aus Schwerte zeigten sich am Abend des 29. Juni 2013 etwas erschöpft, aber weiterhin hoch motiviert auf ihrer Rundreise zum „Tag der Architektur“. Fünf private Wohnhäuser hatten sie an diesem Tag schon besucht, das Haus von Carola Schober-Listmann war am Samstag Abend das sechste. Und ein durchaus würdiges Finale für einen erlebnisreichen Tag der Architektur, denn die Innenarchitektin hatte mit ihrem Mann und Kindern einen in die Jahre gekommenen Bungalow von 1970 in ein Smart-House von 2013 verwandelt. – Nur eins von insgesamt 437 Bauwerken und Objekten, die Interessierte in Nordrhein-Westfalen zum Tag der Architektur lockten.

01. Juli 2013von Christof Rose

„Architektur leben!“ hieß in diesem Jahr bundesweit das Motto des Tags der Architektur. Bei passendem Wetter machten sich wieder mehrere zehntausend Architekturfans, angehende Bauherren und interessierte Fachleute und Laien auf den Weg, um in 153 Städten und Gemeinden unseres Landes neue und erneuerte Bauwerke zu besichtigen – und um vor Ort mit Architekten und Bauherren ins Gespräch zu kommen.

Potenziale des Bestands nutzen

Ein zentrales Thema des diesjährigen Tags der Architektur war die Weiterentwicklung von Bestandsgebäuden. Nicht überraschend, denn immerhin fließen mittlerweile rund 60 Prozent der Investitionen des Bausektors in den Gebäudebestand. „Es war uns ein Anliegen, mit unserem eigenen Haus zu zeigen, welches Potenzial in einem älteren Wohnhaus steckt“, betonte Innenarchitektin Carola Schober-Listmann. Wie Fotos des Bestandsbauwerks zeigen, war der Bungalow am Rande der Landeshauptstadt stark in die Jahre gekommen. „Düster und etwas bedrückend“ sei der erste Eindruck gewesen, den ihre Familie von dem Haus gehabt hätten, erzählte die Düsseldorfer Innenarchitektin den zahlreichen Besuchern, die aus dem ganzen Land und darüber hinaus nach Hubbelrath gereist waren, um das neue alte Bauwerk zu bewundern. „Der Waffenschrank und die Hirschgeweihe mussten raus“, fasste Frau Schober-Listmann pointiert zusammen, was viele ältere Wohnhäuser aus heutiger Sicht belastet: niedrige Decken, zu kleine Fenster, verwinkelte, zu enge Grundrisse. Das neue Wohnhaus wurde zudem um eine Etage aufgestockt, in der nun das Atelier der Innenarchitektin angesiedelt wurde. „Eine Sanierung und Erweiterung in dieser Art kommt einem Neubau gleich“, räumte die Innenarchitektin ein. „Allerdings haben wir viele Elemente des Altbaus erhalten, was unserem Haus einen ganz eigenen Charme gibt.“

Architektur als fester Teil der Corporate Identity

Ähnliche Erfahrungen in einem ganz anderen Bauaufgabenfeld machte die Hagener Eisenbahner Wohnungsgenossenschaft. Ihr Bürogebäude in der Innenstadt war vom Architekturbüro Schulte überarbeitet und mit einer neuen Fassade bereichert worden, die nun markant das Corporate Design der Genossenschaft widerspiegelt und eine deutliche Positionierung des Unternehmens an einer der meist befahrenen Hauptstraßen der Stadt Hagen vornimmt. „Die farbige Glasfront gibt uns eine neue Präsenz in der Stadt und stellt für unsere Mitglieder eine beliebte Anlaufstelle dar“, erklärte Ingrid Wagner, Geschäftsführerin der Eisenbahner Wohnungs-Genossenschaft. Die EWG verband den Tag der Architektur mit ihrem traditionellen Sommerfest, so dass die interessierten Besucher mit vielen Mitgliedern der Genossenschaft ins Gespräch kommen konnten. „Wir wollten eine starken Akzent in der heterogenen Bebauung des Straßenzugs setzen“, erläuterte Architekt Martin Schulte, der sich erleichtert zeigte, dass der Vorstand der EWG den mutigen Entwurf der Architekten umsetzte. „Man braucht Bauherren, die den Architekten vertrauen und gerade bei der Arbeit im Bestand den Mut zu Innovation aufweisen“, unterstrich Schulte, der mit seiner Partnerin Architektin Claudia Pieper schon seit mehr als zehn Jahren für die Eisenbahner Wohnungsgenossenschaft tätig ist. Schulte verstand die Teilnahme am Tag der Architektur als berufsständisches Engagement, um mit interessierten Laien in einen baukulturellen Dialog eintreten zu können.

Wohnungsbau in der City

Mut und Innovation waren auch zentrale Stichworte für Michael Henkel während seiner Führungen durch die „Bilker Höfe“ in Düsseldorf. 219 Mietwohnungen realisierte das Büro Petzinka Pink Architekten im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk in innerstädtischer Lage. „Die Herausforderung war, eine nachhaltige städtebauliche Figur zu entwickeln, die individuelles Wohnen auf begrenztem Raum ermöglicht“, so Henkel. Dazu wurde das Gelände rund um die historische Anlage eines Garnisonslazaretts so gestaltet, dass sich ein öffentlicher Bereich nebst Parkanlage im Umfeld eines denkmalgeschützten Zentralbaus ergibt, der um enger gestaltete, mit Mietergärten aufgewerteten Mietwohnungen ergänzt wurde. Ein semi-öffentlicher Bereich, in welchem die Bewohner Ruhe finden, inmitten des Herzens der Düsseldorfer City. „Ein überzeugendes Wohnungsbauprojekt, das belegt, dass auch in der Stadt auf Rest- und Konversionsflächen anspruchsvolles Mietwohnen möglich ist“, resümierte Gunther Adler, Staatssekretär im Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes NRW. Der Staatssekretär zeigte sich nicht nur privat interessiert an der baulichen Entwicklung innerstädtischer Quartiere in der Praxis, sondern unterstrich auch den Charakter des Tags der Architektur in NRW: „Es ist fantastisch zu sehen, wie viele Bürgerinnen und Bürger sich für Architektur und die städtebauliche Entwicklung ihrer Region und unmittelbaren Nachbarschaft lebhaft interessieren.“

Das zeigte sich auch auf eindrucksvolle Weise bei dem neuen Einfamilienhaus, das Architekt Markus Kirschnick am Dortmunder Phoenixsee realisiert hatte. Vor der Tür des kubischen weißen Bauwerks bildeten sich am Sonntag lange Besucherschlangen. „Wir haben schon vier weitere Häuser hier bauen können, das ist für uns als junges Büro eine Riesenchance“, erklärte der junge Dortmunder Architekt. Er sei seinen Bauherren sehr dankbar, die ihm die Teilnahme am Tag der Architektur ermöglicht hätten. „Wir hoffen natürlich auf weitere Bauherrenkontakte an einem solchen Tag.“ Mit dem enormen Interesse hatten allerdings weder Architekt noch Bauherr gerechnet.

Das ging auch Landschaftsarchitekt Frank Stüve und seinen Auftraggebern Claudia und Klaus Plesser in Duisburg ähnlich. Bereits vor Öffnung des Garten am Sonntag Vormittag standen die ersten Besucher vor dem Gartentor der Doppelhaushälfte im Duisburger Süden. Stüve hatte mit seinem Büro freiraumplus den zuvor wenig gestalteten Hausgarten am See in einen terrassierten Freiraum verwandelt, der das Hausinnere nach außen öffnet und einen freien Blick auf die Wasserfläche ermöglicht. „Wir hatten keine festen Vorstellungen darüber, wie unser Garten aussehen sollte, und haben uns von den Entwürfen unseres Landschaftsarchitekten einfach begeistern lassen“, erzählte Claudia Plesser den zahlreichen Besuchern. Frank Stüve war die Teilnahme am Tag der Architektur wichtig, „weil es uns ein Anliegen ist, einer breiten Öffentlichkeit deutlich zu machen, welche Dienstleistungen Landschaftsarchitekten für ihre Bauherren erbringen können – und welche Potenziale auch in kleinen Freiflächen und ganz normalen Hausgärten verborgen liegen“, unterstrich der Krefelder Landschaftsarchitekt.

Der Tag der Architektur wurde landesweit stark frequentiert. In 153 Städten und Gemeinden bestand die Möglichkeit, neue und erneuerte Architektur und Objekte der Innenarchitektur, der Landschaftsarchitektur und der Stadtplanung zu erleben. In Münster beispielsweise drängelten sich die Besucher in einer Kita, die das Büro Bolles + Wilson in der ehemaligen Kirche St. Sebastian eingebaut hat. Der elliptische Innenraum des mit Backstein umhüllten Baus von 1962 beherbergt nun fünf Kindergruppen und auf einer oberen Ebene einen halboffenen, nicht wärmegedämmten Spielplatz, der baurechtlich als Freifläche gilt. „Wir freuen uns über das große Interesse an einer solchen Bauaufgabe“, betonte Stephanie Eickelmann vom Architekturbüro Bolles + Wilson. Die Münsteraner Architekten hätten sich auch deshalb am Tag der Architektur beteiligt, um das rege Interesse von Nachbar und Architektur-Fans zu befriedigen, die immer wieder um Führungen gebeten hätten.

Breite Medienresonanz

Positiv war auch die breite Resonanz in den Medien zum Tag  der Architektur in Nordrhein-Westfalen. Neben zahlreichen großen Zeitungsberichten stieg auch der WDR umfänglich in das Thema ein und berichtete in den meisten seiner „Lokalzeiten“ in der Aktuellen Stunde.

Die folgenden Berichte sind in der Mediathek abrufbar:

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