Impulsgeber und Diskutanten (v. l.): Ricardo Ferreira, Bettina Haase, Dr. Gerd-Ulrich Kapteina, Moderatorin Susanna Schönrock-Klenner (SeniorConcept), Martin Harter, Ernst Uhing, Friedrike Proff, Cornelia Zuschke, Markus Greitemann, Diane Jägers, Frauke Burgdorff und Nadine Weber – Foto: Ingo Lammert/Architektenkammer NRW

Zwei Seiten einer Medaille

Ohne weitere Digitalisierung des Baugenehmigungsverfahrens werde es keinen zügigen Fortschritt im Bauen geben. Mit dieser programmatischen Aussage begrüßte der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen über 100 Kammermitglieder und Vertreter*innen der Bauaufsichtsbehörden von Düsseldorf, Köln, Essen und Aachen zum Austausch „Architektenschaft trifft Bauaufsicht“. In Impulsen und Arbeitsgruppen wurde diskutiert, wie die Zusammenarbeit zwischen Architekturbüros und Baugenehmigungsbehörden in NRW verbessert werden kann.

20. Juni 2023von Christof Rose/Simon Adenauer

„Es geht heute nicht darum, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben“, sagte die Moderatorin der Veranstaltung, Susanna Schönrock-Klenner (SeniorConcept), augenzwinkernd zur Einführung. Ziel sei es vielmehr, anhand des Abgleiches von Erfahrungen und Erwartungen sowie von Best-Practice-Beispielen daran zu arbeiten, die Abstimmung und Kooperation zu verbessern.

Cornelia Zuschke, Beigeordnete der Landeshauptstadt Düsseldorf, hatte die Veranstaltung mit angeregt auf Basis von Gesprächen, die sie in der Landeshauptstadt bereits mit Architektinnen und Architekten geführt hatte. „Wir sind die beiden Seiten der Medaille – keiner von uns kann ohne den anderen erfolgreich planen und bauen“, so Baudezernentin Cornelia Zuschke.

Aachens Baudezernentin Frauke Burgdorf betonte, dass die Baubehörden „Teil von Wertschöpfung sind, nicht Teil von Verhinderung“. Die Digitalisierung sei wichtig, aber nicht per se die Problemlösung. „Wir haben in dieser Aufgabe noch einen Weg zu gehen. Aktuell kommt die Digitalisierung on top zu der Arbeit, die wir sowieso zu erledigen haben.“ Frauke Burgdorf warb dafür, die Bauaufsichten zu stärken, damit die freien Architektinnen und Architekten kompetente und engagierte Partner*innen auf der anderen Seite des Schreibtischs fänden. Burgdorf wies darauf hin, dass der Bauantragsverfahren zwar ein entscheidender Faktor innerhalb jedes Bauprozesses sei, aber in der Branche nicht gewertschätzt werde.

Austausch unverzichtbar

Grundlage für die gegenseitige Wertschätzung sei eine partnerschaftliche Kommunikation, meinte Ricardo Ferreira, Architekt aus Meerbusch. „Wir bräuchten mehr Zeit für das fachliche Gespräch, damit wir gemeinsam auch kreative Lösungen finden können.“ Er wünsche sich, dass Auflagen und Forderungen klar kommuniziert werden - auch um Rechtssicherheit gegenüber Dritten (etwa Nachbarn) zu erhalten.

„Wenn man in der Bauaufsicht seine Arbeit gut macht, merkt es keiner“, sagte auch Martin Harter, Baudezernent der Stadt Essen. Ein Hauptproblem sei der Personalmangel. „Daraus resultiert die Erwartungshaltung der Politik, dass wir einfach Bauanträge möglichst schnell durchlaufen lassen.“ Wie seine Kolleginnen warb auch Martin Harter dafür, dass die Bauaufsichten in den jeweiligen Verwaltungen selbstbewusster auftreten.

Markus Greitemann, Beigeordneter der Stadt Köln, sah als Herausforderung, den Dialog mit den Architekt*innen und den Bürger*innen der Stadt wieder verstärkt zu suchen. Zudem wolle er die Digitalisierung vorantreiben. „Wir haben bislang erst 36 digitale Bauanträge bekommen. Erst mal läuft es langsamer, weil beide Seiten erst an die neuen Abläufe herangeführt werden müssen“, erläuterte Markus Greitemann. „Wir haben einen Dialogprozess mit der Kölner Architektenschaft gestartet, um uns besser abzustimmen.“

Mangel an Fachpersonal

Einig waren sich die Baudezernet*innen, dass das Fachpersonal der Bauaufsicht angemessen bezahlt werden müsse. „Lassen Sie uns – in den großen Städten unseres Bundeslandes – gemeinsam darauf hinwirken, dass die Eingruppierung unserer Kolleginnen und Kollegen angemessener wird“, warb Markus Greitemann. Ein gemeinsames Anliegen war darüber hinaus eine höhere „Dauerhaftigkeit der Landesbauordnung.“

Ein Wunsch, durch den sich Diane Jägers in die „Höhle der Löwen“ versetzt sah. Die Leiterin der Abteilung „Bauen“ im NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung erläuterte, dass die Novellierung der Landesbauordnung gegenwärtig im Landtag beraten werde und nach dem Wunsch von Ministerin Ina Scharrenbach am 1. Januar 2024 in Kraft treten solle. „Die Landesbauordnung unterliegt einem ständigen Revisionsprozess“, erklärte Diane Jägers. Die Forderungen zur energetischen Erneuerung übten auf alle Regulierungen einen enormen Druck aus.

Novellierung des BauO NRW

„Eine detaillierte, fachliche Abstimmung zwischen den Regulierungen auf Landes- und auf Bundesebene kann bei dem aktuellen Änderungstempo kaum sichergestellt werden.“ Änderungen in der Landesbauordnung würden die Abstände zwischen Windkraft- und Solaranlagen und Bebauung betreffen, die vielfach entfallen sollen. Zudem sollen Abweichungen erlaubt werden, um das ökologisch orientierte Bauen besser zu ermöglichen.

Verlässlichkeit des gesetzlichen Rahmens

Über die „Rahmenbedingungen des Baugenehmigungsverfahrens“ sprach Dr. Gerd-Ulrich Kapteina, der eine „dramatische Zuspitzung“ der Spannungen zwischen Bauwilligen und Baubehörden feststellte. Das Verständnisdefizit resultiere häufig daraus, dass die Baubehörden „durch das Land hinweg drastisch personell unterbesetzt sind“, so Dr. Kapteina. Ein weiteres Problem sei die überzogene Regelungsdichte in Deutschland, die nach seiner Beobachtung dazu führe, dass Investoren in andere Länder abwandern. Der ehemalige Richter warb für mehr Verlässlichkeit in der Gesetzgebung – und für eine Konzentration des Gesetzgebers auf die Kernaufgabe „Gefahrenabwehr“ im Baurecht.

In seinem Bericht aus der juristischen Praxis warb Ulrich Kapteina für mehr Selbstbewusstsein der Bauämter, die nicht aus Angst vor Nachbarschaftsklagen und Regressansprüchen Bauanträge zurückweisen dürften. Städte bräuchten starke, unabhängige Baubehörden. Eine moderne Bauaufsichtsbehörde müsse sich als Ermöglicherin verstehen, als „beste Wirtschaftsförderung der Stadt“. Er appellierte an die Bauverwaltungen: „Im Zweifel für die Baufreiheit entscheiden!“ Hilfreich seien auch informelle Abstimmungsgespräche „bei hinreichender Expertise auf beiden Seiten“ und ein spezifisches Konfliktmanagement für Beschwerdeeingänge.

Statements aus der Praxis

Die Sicht der Architektenschaft wurde durch Vertreterinnen und Vertreter des Berufstandes vorgetragen. „Schatz wir müssen reden“, lautete die Aufforderung von Nadine Weber. Die Architektin aus dem Kreis Soest stellte klar, dass auch in der Beziehung zwischen Bauaufsichten und Architektenschaft der Ton die Musik mache.

Architektin Bettina Haase plädierte für die Bauwende. „Nutzt den Bestand und macht Umnutzungen, Aufstockungen und Erweiterungen einfacher“, appellierte sie an die Bauaufsichten und die Gesetzgeber.

Dazu könne auch die weitere Digitalisierung der Bauverwaltung beitragen, sagte Architekt Ricardo Ferreira. Er mahnte einheitliche Standards an, um die Prozessabwicklung digital weiter zu vereinfachen und zu beschleunigen.

„Is Time Money?“ fragte die Düsseldorfer Architektin Friederike Proff, die auch Mitglied im Vorstand der Architektenkammer NRW ist. Sie beantwortete ihre Frage positiv, indem sie die wirtschaftlichen Folgen langwieriger und aufwendiger Verfahren schilderte.

Auch seitens der Bauaufsicht wurde in Diskussionsforen praktische Erfahrungen geschildert. Ulrike Lappeßen, Amtsleitung der Bauaufsicht Stadt Düsseldorf, reagierte auf den Wunsch der Architektenschaft, mangelhafte Unterlagen nicht nur mit der BauPrüfVO zu begründen, sondern auch die Relevanz für das jeweilige Bauvorhaben zu benennen. Martina Stefens, Amtsleiterin der Bauaufsicht Essen, erläuterte den in Essen möglichen Ablauf der digitalen Antragseinreichung. Ihrer Meinung nach sollte eine digitale Einreichung von Bauanträgen in allen Bauaufsichtsbehörden aufgebaut werden.

Stefan Kriege, Amtsleiter der Bauaufsicht Köln, berichtete aus der Praxis über die prozessorientierte und transparente Aufbauorganisation der Genehmigungsverfahren.

In der Abschlussdiskussion zeigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig, dass „Kommunikation“ und ein respektvolles Miteinander ist der Schlüssel zu einer verbesserten Zusammenarbeit seien. Die Veranstaltung „Architektenschaft trifft Bauaufsicht“ war hier ein erster und wichtiger Impuls. 

Präsentationen der Referent*innen:

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