
„Bohrungen“ im Baukunstarchiv NRW
„Mich interessieren Themen, die von der Gesellschaft vernachlässigt werden oder mit denen man sich vielleicht auch nicht wohlfühlt.“ Mit diesen Worten führte der aus Essen stammende Künstler Andreas Golinski in seine neue Ausstellung „Bohrungen/Drillings“ ein, die bis Ende März im Baukunstarchiv NRW zu erleben ist. Rund 70 Gäste besuchten die Vernissage am 16. Januar in Dortmund und konnten dabei außergewöhnliche Orte und Installationen im Haus am Ostwall 7 entdecken.
Die Ausstellung „Bohrungen/Drillings“ entwickelte Andreas Golinski gezielt für das Baukunstarchiv NRW. Er nimmt dabei Bezug auf die Spannungen zwischen der historischen Geschichtsschreibung und der Geschichte der Erinnerung. Golinski zeigt künstlerische Räume und Installationen, in denen Elemente vergangener Epochen mit Spuren der Gegenwart verknüpft werden; Spuren, die nach Empfinden des Künstlers nur allzu oft mit Kriegen, Unglücken und Katastrophen verbunden sind.
Dreiteilung der Ausstellung
Der künstlerische Leiter des Baukunstarchivs NRW, Prof. Wolfgang Sonne, würdigte im Rahmen der Vernissage die spezifische räumliche Wirkung der Rauminstallation von Andreas Golinski. „Der Künstler hat den Lichtraum in eine Höhle verwandelt, die Kellergänge zu Klangräumen gemacht.“ Das biete den Besucherinnen und Besuchern eine außergewöhnliche Erfahrung.
Visualisiert wird die Ausstellung unter anderem durch Projektion von Relikten aus vergangenen Zeiten. Die Installationen erinnern an die Geschichte des Baukunstarchivs NRW. So verwandelt eine Soundinstallation im Souterrain mit Zitaten aus Schriften von Leonie Reygers (Gründungsdirektorin des Museums am Ostwall) die Räume in Echokammern des Vergangenen. Ergänzte Sounds und Töne gestalten ein beeindruckendes, in den Kellergängen bisweilen leicht unbehaglich machendes Klangerlebnis.
Die Hauptinstallation füllt den gesamten Lichthof des BKA NRW aus und zitiert das Bild eines archivalischen Kartons, dessen Inneres mit einem Konstrukt aus Baugerüstteilen an eine Baustelle gemahnt. Der Künstler benennt weltpolitische Ereignisse, die die Welt von 1872 – dem Startjahr des Baus des Gebäudes am Ostwall 7 - bis heute bestimmt haben. Wichtigen Ereignisse werden Medienbilder von Katastrophen der jeweiligen Zeit gegenübergestellt. Wie Dr. Friederike Wappler, freie Kuratorin und ehem. Wissenschaftliche Leiterin der Kunstsammlungen der RUB, in Ihrem Festvortrag anlässlich der Vernissage bemerkte, erinnert die Arbeit Golinskis an die Appelle Walter Benjamins nach einer politisierten Ästhetik.
„Bohrungen/Drillings“ rege die Besucher*innen an, die Vergangenheit zu reflektieren. Der Künstler selbst versteht die in seiner Ausstellung präsentierten Arbeiten als eine „Bohrung in die tiefsten Schichten der Erinnerung der Besucherinnen und Besucher“. Treppen führen aus dem abgedunkelten Raum in die Höhe - ins Licht. Die obere Fläche des Ausstellungskubus ist ein offener, lichtdurchfluteter Raum, der den Besucher auf sich selbst zurückwirft. Aus Stahl gefertigte, stereometrische Objekte spielen auf Objekte des Minimalismus an. Die Besucher*innen spiegeln sich hier auf matter Oberfläche; die Wahrnehmung der Skulpturen und der Besucher selbst geschieht situationsabhängig.
Dr. Friederike Wappler zeigte sich von der Gesamtinstallation beeindruckt: „Der Eingriff von Andreas Golinski macht das Haus auf ungewohnte Weise erfahrbar. Er schließt mit seiner Haltung an dekonstruktivistische künstlerische Konzepte an“, führte Dr. Wappler aus. Mit Blick auf die in der Ausstellung gezeigten Katastrophenbilder ergänzte sie: „Schocks lassen sich nur gegenwärtig parieren. Angesichts unserer Gegenwart ist es wünschenswert, dass Kunst wieder politisiert. Lassen Sie sich darauf ein!“
Verknüpfung von Architektur und Geschichte
Im Künstlergespräch vertiefte Prof. Dr. Philip Ursprung (ETH Zürich) die Hintergründe zur Ausstellung. Im Gespräch mit Andreas Golinski thematisierte er Motivationen, künstlerisches Vorgehen und Ausblicke.
Philip Ursprung interpretierte dabei die dreiteilige Rauminstallation tiefenpsychologisch, mit dem Keller als Unterbewusstes, das Erdgeschoss als „Ich“ und die leere Plattform als Über-Ich. Golinskis Kunst befinde sich in der Regel in Architektur, und bei interessanten Arbeiten verschmelze die Grenze zwischen beiden Disziplinen.
„Mir hat gefallen, dass man auf der oberen Ebene unter dem Glasdach dem Himmel sehr nah ist“, kommentierte der Künstler. Auf die Frage, wie er bei den Recherchen zu „Bohrungen/Drillings“ vorgegangen sei, erklärte Andreas Golinski: „Ich gehe in Archive, führe analoge Recherchen durch, um Quellen zu finden, die nicht digital abrufbar sind.“ Denn: „Unsere Geschichte ist ja sehr viel reicher, als es das Internet hergibt.“
Die Ausstellung sei aus dem Ort entstanden, aus der Historie des Hauses. „Bohrungen beziehe ich auch auf die besonderen Räume des Baukunstarchiv“, so Golinski weiter. Zum Abschluss erklärte der Künstler: „Mit der Ausstellung hier will ich die Architektur dieses Hauses auch feiern.“
Breites Rahmenprogramm
Besucher*innen haben neben den regulären Öffnungszeiten des Baukunstarchivs NRW auch im Rahmen eines breiten Rahmenprogramms zu „Bohrungen/Drillings“ die Möglichkeit, die Ausstellung zu erkunden.
Termine: Am 25. Januar sowie am 13. Februar und am 22. März werden exklusive Führungen durch die Ausstellung angeboten. Am 13. Februar sind alle Interessierten außerdem zu einer Katalogpräsentation und einem Meet & Greet mit Andreas Golinski geladen. Zudem wird eine Erweiterung der Ausstellung angeboten: Führung durch den „nicht öffentlichen Archivbereich“ – freitags bis sonntags, 14.00 bis 16.30 Uhr. Eine Teilnahme ist nur nach Anmeldung unter info@baukunstarchiv.nrw möglich.
Bohrungen/Drillings. Eine Ausstellung im Baukunstarchiv NRW (Ostwall 7, 44135 Dortmund). Laufzeit der Ausstellung: 17. Januar – 30. März 2025. Hinweis: In der Ausstellung werden mit Bildern auch Katastrophen und Gewaltverbrechen der Menschheitsgeschichte dokumentiert. Der Besuch der Ausstellung wird erst ab 16 Jahren empfohlen. Informationen zur Ausstellung und zum Programm unter www.baukunstarchiv.nrw
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