Dissertation - Zwischenbericht

Harald Deilmann: Zwischen Souveränität und Neugier

Seit April 2009 arbeitet Stipendiat Stefan Rethfeld mit Unterstützung der Stiftung Deutscher Architekten an seiner Dissertation über den Architekten Harald Deilmann. Ein Zwischenbericht.

25. Oktober 2010von Stefan Rethfeld

Es sind vor allem Wohnbauten, die das Frühwerk (1955-1975) Harald Deilmanns charakterisieren. Neben zahlreichen Wohnanlagen und Siedlungen sind es allein über achtzig Einfamilienhäuser, die er für Unternehmer, Wissenschaftler und Selbstständige vorwiegend im Raum Münster und Westfalen, vereinzelt im weiteren Bundesgebiet baut. Als er sich im Jahr 1955 im Alter von fünfunddreißig Jahren selbstständig macht, drängt es ihn, der Architektur eine moderne Gestalt zu verleihen.

Gleich anderen Vertretern seiner Generation wie Roman Reiser (Bochum), Paul Schneider-Esleben (Düsseldorf), Hans Kammerer und Walter Belz (Stuttgart), Friedrich und Ingeborg Spengelin (Hamburg), Fred Angerer (München), Joachim Schürmann (Köln), Peter und Ursula Trint (Köln), Kurt Ackermann (München) oder Hans-Busso von Busse (München) vertritt er ein erneuertes Verständnis des Bauens und ist gegenüber neuen Tendenzen aufgeschlossen. In der Nachkriegszeit bieten hier vor allem die westlichen Nachbarländer und die USA Anschauungsmaterial, deren moderne Vertreter oftmals die maßgeblichen Zwanziger-Jahre-Ansätze von Bauhaus und „Neuem Bauen“ in den Zentren Berlin, Frankfurt/M., Stuttgart, Dessau oder Breslau in die junge Bundesrepublik zurückspiegeln. Richard Neutra (USA), Alvar Aalto (Finnland) und vor allem der Däne Arne Jacobsen erweisen sich für diese Generation als wegweisend, auch für Harald Deilmann. Für Jacobsen (1902-1971), der sich als Bewunderer des Bauhauses und als „reiner Funktionalist“ verstand, war es ein Ziel, „klare, gesunde, leicht verständliche Architektur ohne modische Zutaten“ zu erreichen. Und das sollte nun erst Recht für die Wohnbauten gelten.

Deilmanns erste Wohnbauten entstehen 1956 in Bad Salzuflen. Hier hatte er einen Wettbewerb für eine Kurklinik samt Wohnumfeld für das Personal gewonnen. Die Wohnhäuser scheinen wie aus einem anderen Land, so ausgewogen, aber auch raffiniert treten sie auf. Die Wände aus Ziegelmauerwerk, Stahl-betondecken und – dach, welches mit Schiefer gedeckt ist. Dazu schlichte weiße Holzfenster. Mit wenigen Linien und Materialien markiert Deilmann in Ansicht und Grundriss die Funktionen und Elemente. Auch seine ersten privaten Einfamilienhäuser, die er in Münster, Marl und Bielefeld 1955 errichtet, sprechen die gleiche Sprache.

Noch vielschichtiger und aufschlussreicher gerät dagegen sein eigenes Wohnhaus, das er 1956 für seine Familie und für sein Büro an der Jessingstraße in Münster baut. Und es weckt Sympathie wenn er sagt: „Nichts ist schwieriger, anstrengender und undankbarer für einen Architekten, als in eigener Sache auftreten zu müssen. Es gibt andererseits auch selten etwas Schöneres.“

So lässt denn auch gerade dieses Haus sich als engagiertes Statement und Vorwegnahme für sein künftiges Bauen lesen. Funktional stellt es eine Verbindung von Wohnen und Arbeiten dar. Im Innern gliedert er das Gebäude in einen straßenseitigen Bürotrakt und einen hinteren, zum Garten orientierten Wohnbereich – beides auf versetzen Geschossen verteilt. An der Verbindungsstelle liegt sein Arbeitszimmer. Die Dachform mit verschieden geneigten Seiten übernimmt er von seinem Projekt in Bad Salzuflen und kann damit eine örtliche Satteldachvorgabe umspielen. Wieder sind die Hauptbaustoffe roter Backstein, Sichtbeton, Holz und Schiefer. Vieles scheint logisch und geklärt an diesen funk-tionalen, formalen und konstruktiven Überlegungen, und doch ist es, so Deilmann, nicht weniger als ein „Organismus“ der hier zu einer neuen Baukörperform führt und die Gestalt des Hauses bestimmt. Das eigene Haus als Prototyp

Sein Haus erweist sich in den Folgejahren 1957-64 als „Prototyp“ für eine Reihe von Wohnhäusern, die von ihm überwiegend in Münster als eine Art „Case Studies“ entstehen. Die Häuser eint die durchgängige Handschrift einer „gediegenen Backsteinmoderne“ (Wolfgang Pehnt), da sie auf ein gemeinsames Formen- und Materialvokabular zurückgreifen, und doch findet jedes einzelne durch seine spezifischen Rahmenbedingungen (Kontext, Raumprogramm) zu einem eigenen Charakter.

Beispielhaft sei hier das Wohnhaus Görtz genannt. Gebaut seinerzeit für eine Mutter mit ihrem erwachsenen Sohn zeigt es sich als gemeinsame Adresse zur Straße, bietet im Innern jedoch zwei gleiche Wohneinheiten übereinander mit gemeinsamer Zwischenebene.

Zum Erkennungsmerkmal wird die Proportionierung der Baukörper sowie die der Fassade: eine Komposition mit Ziegellochfenstern, Schornstein, weißer Attika, rotem Ziegelstein und nahezu quadratischen, weiß gestrichenen, bündigen Holzfenstern. Mit der Zeit versteht es Deilmann gemeinsam mit den Bauherren, die Grundrisse immer weiter zu entwickeln, sie offener und fließender zu gestalten. Dort, wo es baurechtlich erlaubt ist, experimentiert er mit flachgedeckten Atriumhäusern oder Kuben, immer mehr kann er auch dank des neuen Baustoffs Beton die Räume spannen.

Einen Höhepunkt stellt sodann das Wohnhaus Dr. Steinmann (1965) in Ahlen dar, das er für eine Arztfamilie mit fünf Kindern errichtet. Wohnraum, Esszimmer und Arbeitsraum bilden ein differenziertes Raumgefüge mit Erweiterungsmöglichkeit in den Außenbereich, die Schlafräume sind im Obergeschoss angeordnet. Das Äußere entspricht in seiner plastischen Durchformung dem inneren Gefüge. Beton und Holz prägen das äußere Erscheinungsbild.

Deilmann leistet mit seiner Architektur Übersetzungsarbeit: Er leitet aus den gesellschaftlichen Veränderungen immer wieder – analytisch wie schöpferisch - neue Wohnformen ab und gießt sie in eine neue Baugestalt – auf eine maßvolle, heitere wie auch unkonventionelle Weise. Was in den Einzelfällen des Wohnhausbaus studiert und probiert wird, stellt wenig später eine wichtige Grundlage für den in großer Zahl einsetzenden Wohnungsbau dar, der Gegenstand einer nun weiteren Untersuchung darstellt.

Info:
Im Jahr 2008 hat die Stiftung Deutscher Architekten erstmals in Zusammenarbeit mit der TU Dortmund zwei Promotionsstipendien vergeben und damit ihre Tätigkeiten im Bereich der Förderung des Architektennachwuchses intensiviert. Mit den Stipendien wird das Erstellen eigenständiger Doktorarbeiten gefördert, bei denen Nachlässe oder Nachlassteile aus Architektur-Sammlungen aufgearbeitet werden. 

Teilen via