Eröffnungspanel (v. r.): Moderatorin Anni Dunkelmann, Michael Biel, Julia von Heinz, Tanja Alemany Sanchez de León, Esther Schipper und Sebastian Turner – Foto: Christof Rose/Architektenkammer NRW

Kreativwirtschaft in Zeiten von KI

Der Begriff Kultur umschreibe „die normative Vereinbarung unseres Zusammenlebens“, stellte Robert Habeck in seiner Grundsatzrede vor der deutschen Kreativwirtschaft am 27. November in Berlin fest.

03. Dezember 2024von Christof Rose

„Ich glaube, dass die Durchdringung unserer Lebens- und Arbeitswelten mit künstlicher Intelligenz gerade für die Kultur- und Kreativwirtschaft empfindliche Einflüsse ausüben wird.“ Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz nutzte das Forum im Kongresszentrum „WECC Westhafen“ dazu, um die wirtschaftliche, aber auch die gesellschaftliche Bedeutung der kreativen Berufe herauszustellen. „Die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland nimmt Herausforderungen immer auch als Chancen wahr“, so Habeck. Anschaulich belegt wurde diese Aussage durch die Auszeichnung von „Kultur- und Kreativ-Pilot*innen“, zu denen - erstmals seit längerer Zeit - auch wieder ein Architekturbüro gehörte: OX2architekten aus Aachen.

„Als Kultur- und Kreativpilot*innen wollen wir eine Flughöhe erreichen, die Klima- und ressourcenschonendes Bauen ganz oben auf die Agenda von Politik und Gesellschaft hebt.“ Ina-Marie Orawiec zeigte sich auf dem Bundeskongress in Berlin nicht nur begeistert von der Auszeichnung für das Projekt „rethink* rotor“, mit dem OX2architekten Konzepte für die architektonische Nachnutzung ausgemusterter Rotorblätter von Windkraftanlagen entwickelt haben. „Ich finde es wichtig, dass wir stellvertretend für unsere Branche die Leistungen von Planer*innen innerhalb der kreativen Berufe gegenüber der Politik und der Gesellschaft deutlich machen können“, betonte die Aachener Architektin und Stadtplanerin, die mit ihrem Team nach Berlin gereist war, um konkrete Planungsbeispiele für den Einsatz von Rotorblättern als Baumaterial im Rahmen der Ausstellung zum Auszeichnungsverfahren zu präsentieren.

Out-of-the-box-Denken

Wie wichtig solche ungewöhnlichen kreativen Ideen für die Transformation unserer Gesellschaft sind, hob zum Auftakt des „Forums Kultur- und Kreativwirtschaft“ auch Dr. Andreas Görgen, stellvertretender Ansprechpartner der Bundesregierung für die Kultur- und Kreativwirtschaft, hervor. „Gerade das kreative Denken, das Out-of-the-box-Denken, mit dem Sie immer wieder neue Impulse geben, ist unverzichtbar, damit wir den laufenden Wandel schaffen. Dazu brauchen wir ganz konkret Ihre Produkte und Dienstleistungen.“ Deshalb wolle und müsse das Bundesministerium für Kultur die Kreativwirtschaft weiterhin aktiv fördern.

Es sei dabei wichtig, die Vielfalt und Verschiedenheit ernst zu nehmen und in den Unternehmen zu nutzen. „Wir kommen aus einer Zeit, in der die Homogenität von Vorstellungen als Schönheit verstanden wurde. Die Demokratie lebt davon, dass Fortschritt aus Verschiedenheit und Widerspruch entsteht“, sagte Dr. Görgen unter dem Applaus des Auditoriums.

Change-Maker der Kreativwirtschaft

„Change-Maker aus Politik und Kreativwirtschaft“ stellten sich im ersten Kongresspanel den Fragen von Moderatorin Anni Dunkelmann. Michael Biel, Staatssekretär bei der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, verwies auf die Attraktivität, die die Kreativwirtschaft für die Bundeshauptstadt Berlin ausmache. „Wir Kreativwirtschaft haben die Chance, uns als Innovationsökonomie zu beweisen.“ Die Mode- und Designindustrie beispielsweise sei weltweit eine der stark umweltbelastend arbeitenden Branchen. Hier könnten die deutschen Kreativen mit gutem Beispiel vorangehen. Die Förderpolitik seines Hauses heiße: „Wir machen nichts, was nicht auch praktisch gebraucht wird.“

Tanja Alemany Sanchez de León, Unterabteilungsleiterin Innovationspolitik und digitale Wirtschaft im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, stellte die wirtschaftliche Bedeutung der Branche mit etwa zwei Millionen Mitarbeitenden heraus.
Julia von Heinz, Filmregisseurin und Drehbuchautorin, unterstrich die Bedeutung der Länder-Kulturförderung, die glücklicherweise stabil weiterlaufe. Mit der gezielten Förderung von Frauen in der Branche sei sie allerdings „absolut nicht zufrieden“; da habe sich die Branche mehr gewünscht. „Ich weise aber darauf hin, dass wir Frauen keine ‚diverse Gruppe‘ sind. Wir sind einfach mal die Hälfte der Menschheit“, rief Julia von Heinz unter dem Applaus des Publikums. Wenn der Film in Deutschland relevant bleiben solle, müsse eine echte Parität bei der Vergabe von Fördergeldern her.

Stärkere Wertschätzung von Kultur?

Auch um den Sektor der Kunstvereine und Galerien sei es gegenwärtig schlecht bestellt, konstatierte die Berliner Galeristin Esther Schipper. Die international aufgestellte Fachfrau, die ihre erste Galerie 1989 in Köln gegründet hatte und heute Niederlassungen in Paris und Seoul hat, stellte ein „drastische Verschlechterung“ der Kulturlandschaft in Deutschland fest. „Notwendig ist vor allem, dass Künstler und Kreative in unseren Städten leben und sich Mieten leisten können“, betonte Schipper.
Sie selber habe etwa 50 Mitarbeitende in Berlin und verstehe sich als Unternehmerin. Insgesamt wünsche sie sich eine deutlichere Wertschätzung von Kunst und Kultur in der Politik. In Frankreich etwa setze sich der Präsident persönlich für die Kunstförderung ein. Auch in einem Land wie Korea stelle die Museumslandschaft einen Teil des Wirtschaftsverständnisses aus – auch von großen Unternehmen.
Sebastian Turner stellte zwei Entwicklungslinien fest: die technische Innovation und „die Verwüstungen, die damit einhergehen“. Beispiel: „Der Berufsstand der Grafikdesigner stirbt gerade innerhalb von Monaten aus – und wird durch Prompts ersetzt“, so der Medienunternehmer und Publizist. Wichtig sei eine zeitgemäße Ausbildung. „Suchen Sie die kreativen Pioniere, und geben Sie denen Professuren“, appellierte Turner an die Bildungspolitik. Entscheidend für die Branche sei auch, dass Kreative sich auch als Unternehmer*innen verstünden. Es gebe zu wenig global erfolgreiche Gründungen in der Kreativwirtschaft in Deutschland.

k3d-Panel: KI als Wachstumsmotor?

Die Architektenschaft ist über die Bundesarchitektenkammer in der „Koalition Kultur- und Kreativwirtschaft“ (k3d) vertreten. In einem der Diskussionspanel, das von k3d bestritten wurde, stellte Florian Scheible den Diskussionsstand der BAK-Arbeitsgruppe „KI“ dar. „Künstliche Intelligenz liefert uns ein Instrument, um unsere tägliche Arbeit im Planungsbüro effizienter zu machen.“ KI sei stark in der Planungsphase als Inspiration für die Gestaltung. „Die Ausarbeitung der Planung, städtebaulicher Zusammenhänge und der Details sind noch nicht automatisiert und qualitätvoll möglich“, so der Berliner Architekt und Direktors von „Schöne Neue Welt Ingenieure“.

KI in der Architektur und Planung

Chancen sah Florian Scheible in der Steigerung der Produktivität und in der Reduktion von Wissensbarrieren; schließlich verspreche KI in der Planung verlässlichere Grundlagen für komplexe Entscheidungen. Seiner Einschätzung nach könnten mithilfe von KI bei der Qualität von Bauwerken, die bislang ohne die Planung durch Architektinnen und Architekten entstehe, positive Effekte erzielt werden. Relevante Fragen seien Fragen von Datenhoheit und Urheberschutz, aber auch die Rückführbarkeit auf menschliche Entscheidungsträger und Verantwortlichkeiten. „Wir werden die Haftung und die Verantwortung nicht auf KI-Systeme delegieren können.“

Impulse aus anderen kreativen Branchen

Wie die Kultur- und Kreativwirtschaft im KI-Zeitalter Wachstumsmotor“ bleiben kann, stellten Vertreter*innen verschiedener kreativer Branchen im k3d-Panel dar. Für die Modebranche etwa erläuterte Anna Franziska Michel ihr KI-gestütztes Verkaufsberatungstool yoona.ai, mit dessen Hilfe Mode-Labels ihre Verkaufsstrategien objekt- und trendbezogen optimieren können.
Der Vorstandsvorsitzende von „game“, Lars Janssen, stellte Anwendungsbereiche in der digitalen Spielebranche vor. KI spiele schon lange eine Rolle im Aufbau von Games; allerdings steige nun der Anteil lernender KI, was zunehmend rechtliche Fragen aufwerfe, etwa - auch hier - nach Urheberschutz.
Dass auch Radiostationen schon KI-gestützt senden können, zeigte Dr. Christina Oelke vor. Die Justiziarin von vau.net verwies auf Wetter- und Verkehrsmeldungen, die bereits seit geraumer Zeit von vielen privaten Sendern als KI-generiert genutzt werden. RTL News setze einen KI-assistierten Newsdesk ein, der die Auswahl von News-Meldungen erleichtere. „Letztlich bleibt die redaktionelle Verantwortung aber bei den Journalistinnen und Journalisten“, betonte Dr. Oelke. Mit Sorge betrachtete sie das das Problem der Marktdominanz einiger weniger Großunternehmen.
Nico Wilfer, CPO Frankfurter Allgemeine Zeitung, sprach über Generative KI im Journalismus. „Verlage nutzen generative KI für Effizienzsteigerungen, kreative Prozesse und innovative Produkte – mit klaren KI-Richtlinien und der gebotenen Verantwortung“, betonte Wilfer. KI werde auch genutzt, um Texte zu gestalten – in der Vorbereitung, als Anregung oder für kurze Meldungen. In der FAZ-App könnten Userinnen und User zudem KI-generierte Zusammenfassungen längerer Artikel abrufen. Generative KI verändere gegenwärtig das digitale Ökosystem: „Suchmaschinen werden Antwort-Maschinen.“ Ärgerlich sei, dass die Archive von Verlagen längst in „Large Language Models“ (LLM) eingeflossen seien – ohne Lizensierung. Die Erstellung von Inhalten werde immer leichter und günstiger; „das ist Vorteil und Nachteil zugleich, vor allem, weil Deep-Fakes auf diese Weise sehr einfach erstellt werden können“, warnte Nico Wilfer. Für die FAZ gelte: Keine KI-generierten Inhalte ohne weitere journalistische Überprüfung.

Bosetti: Kreativer Diskursraum

„Eine Gesellschaft muss sich selbst verarbeiten, sonst ist sie nur eine Ansammlung von Menschen.“ Für die Autorin, Satirikerin und Late-Night-Talkerin Sarah Bosetti verstellt der Blick auf die ökonomischen Faktoren der Kreativbranche häufig die viel wichtigere gesellschaftliche Funktion der Branche:  die als demokratischer Diskursraum“. Die Kultur- und Kreativbranche sei systemrelevant, gerade in Zeiten der Krise und der Transformation. „Von uns wird viel mehr erwartet, als nur zu unterhalten - und zugleich werden die Fördermittel gekürzt. Das ist, als würde man im Herbst absichtlich die Gasspeicher halb leeren…“, sagte Sarah Bosetti mit einem Seitenhieb auf Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und vor allem auf die Staatssekretärin für Kultur und Medien, Claudia Roth.
Beide Angesprochene unterstrichen in ihren Reden vor dem Auditorium der deutschen Kreativwirtschaft in Berlin die Bedeutung der Branche für die Entwicklung des Landes und für die Gesellschaft.

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