Landschaftsarchitektentag: Einfach Dach – Greening the City

Zum Auftakt gab es Anschauliches: Noch vor der Eröffnung des Landschaftsarchitektentages 2022 im beeindruckenden SANAA-Gebäude auf Zeche Zollverein – Motto „Einfach Dach – Greening the City" - hatte man zur Besichtigung auf das Dach des Verwaltungsgebäudes der benachbarten RAG-Stiftung eingeladen. Das Büro „Greenbox Landschaftsarchitekten“ hatte hier die ausgedehnte Dachfläche zu einem sehenswerten Platz entwickelt, der den Ökologiegedanken (Intensivbegrünung + Photovoltaikelemente + Regenwassernutzung) mit guten Aufenthaltsqualitäten für die Mitarbeiter verbinden konnte. Die Vortragsreihe der Veranstaltung selbst, zu welcher der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Ernst Uhing, erstmals seit zwei Corona-Jahren wieder persönlich rund 180 Fachkollegen und Kolleginnen begrüßen konnte, befasste sich dann intensiv mit der Frage, wie die „fünfte Fassade“ verstärkt für Begrünungen und auch als nutzbare Grünfläche aktiviert werden kann.

10. Mai 2022von Dr. Frank Maier-Solgk

Die Fachveranstaltung eröffnete Gunter Mann, Vorsitzender des Bundesverbands GebäudeGrün e.V. (BuGG). Mann resümierte die vielfältigen positiven Wirkungen, über die „Ökosystemleistungen des Alleskönners“ Gebäudegrün: von der Starkregen- und Überflutungsvorsorge über Hitzevermeidungseffekte, die CO₂-Reduktion und die Stärkung der Biodiversität bis hin zu den Langzeiteffekten der Dachabdichtung durch (sowohl intensive wie extensive) Begrünung - was manchmal übersehen werde. Nach Umfragen unter Dachdeckern in Deutschland nämlich erhöht sich die Lebensdauer von begrünten Dächern signifikant.

„Aufs Ganze betrachtet“, so lautete das Fazit von Gunter Mann, „ist Deutschland in Sachen Gebäudegrün weltweit Spitze“. Dies gelte für die jährlich hinzukommenden Begrünungsflächen (in 2020 hatte der Bundesverband einen Zuwachs von rund acht Millionen Quadratmetern verzeichnen können) wie für den Gesamtbestand an bereits begrünten Dächern in Deutschland (geschätzt 110 bis 130 Mio. m²), die vorhandene Kompetenz sowie die Vielfalt an Förderinstrumenten. „Viele andere Länder beneiden uns darum“, führte Gunter Mann im Gespräch aus. Wenn man gleichwohl sieht, dass der Zuwachs von 8 Mio. m² in 2020 lediglich 8 Prozent des gesamten Zuwachses darstelle, könne man erkennen, wieviel Potenzial eigentlich vorhanden sei.

Nicht nur Fakten und Zahlen fördern die Bereitschaft zum Umdenken, sondern auch die Macht der Bilder. Sowohl Yorck Förster, Publizist und Kurator u.a. für das Deutsches Architekturmuseum in Frankfurt, als auch die Architektin Almut Grüntuch-Ernst boten anhand einer Vielzahl von ansehnlichen Beispielen von Dach- wie Fassadengrün Anregungen aus der Praxis.

Markante Beispiele für gelungene Begrünungen

Yorck Förster stellte insgesamt acht Beispiele begrünter Gebäude vor: von dem bereits in den 1970er Jahren realisierten Darmstädter Baumhaus des Architekten Ot Hoffmann, der zu den Pionieren der ökologischen Architektur gehörte, bis zu dem ehemaligen Flakbunker auf St. Pauli, einem 40 Meter hohen massivgrauen Block, der mit dem neuen, spektakulären öffentlich zugänglichen Dachgarten und sogenannten grünen Pfaden, die vor den Fassaden angebracht wurden, zu einer baulichen Sehenswürdigkeit der Hansestadt geworden ist. Einige der Projekte – Kampung Admiralty, ein Wohnkomplex mit integriertem Altersheim und medizinischem Zentrum von WOHA in Singapur, sowie das Meggies Leeds Center für Krebspatienten von Heatherwick Studio betrafen medizinische und Pflegeeinrichtungen. Sie machen auf einen Aspekt aufmerksam, der in den Diskussionen um das Gebäudegrün noch wenig Beachtung findet: die positiven Effekte von Gebäudegrün auf die Seele.

Interdisziplinäre Forschung

Können wir beim Thema Gebäudegrün von Pflanzen lernen? Wie könnte eine engere Verknüpfung von Architektur und Natur aussehen? Prof. Almut Grüntuch-Ernst, die das „Institute for Design und Strategy“ (idas) in Braunschweig leitet, präsentierte unter dem Motto des von ihr geprägten Begriffs der „Hortitecture“ ein spannendes Panoptikum an Beispielen aus Architektur, Kunst und Biologie. Ziel wäre es aus ihrer Sicht, aus den unterschiedlichen Ansätzen dieser verschiedenen Disziplinen zu einem „neuen synthetischen Wissen“ zu gelangen, das ökologische Aspekte des Bauens mit Fragen der Formgebung und der Ästhetik der Architektur verbindet.

Zu den Ansätzen, die Grüntuch-Ernst in den vergangenen Jahren näher untersuchte, gehören die Baumhäuser der Architekten Ferdinand Ludwig und Daniel Schönle oder die aus der Gebäudewand horizontal herauswachsenden Pflanzen der Biologin Alina Schlick. Es zählen dazu die Forschungen des Architekten Chris Precht (Penda Studio) zu einer zukünftigen Integration von Gebäude und Agriculture oder die Experimente der Künstlerin Diana Scherer: Ihre Untersuchungen zur Wurzelbildung verschiedener Pflanzen und deren Steuerung, die zur Ausbildung von textilem Material führte, könnte an vielen verschiedene Stellen zum Bestandteil einer zukünftigen ökologischen Architektur werden.

Gründachstrategie Hamburg

Hanna Bornholdt vom „Amt für Naturschutz, Grünplanung und Energie“ der Freien und Hansestadt Hamburg stellte mit der „Gründachstrategie“ der Stadt eine der ersten Programme auf diesem Feld vor. Die Strategie war 2014 nach mehreren Starkregenereignissen eingeführt worden (Motto: „Auf die Dächer, fertig, grün“), um einen Beitrag zu Klimaschutz und -anpassung der Stadt zu leisten und den erheblichen Verlust an Freiraum infolge innerstädtischer Verdichtung zu kompensieren.

Seit der Einführung konnten nach Bornholdt inzwischen in Hamburg rund 70 Hektar neue Gründachflächen realisiert werden; avisiert bis 2024 sind 100 Hektar. Als Teil der weiter gefassten „Qualitätsoffensive Freiraum“ umfasse die Strategie ein Bündel an Aktionen und Maßnahmen, darunter neue Fördermaßnahmen. Die Behörde selbst beteiligte sich mit einer Fördersumme von rund 3,5 Mio. Euro, sowohl für Begrünungen von Neubauten als auch von Bestandssanierungen. Ferner entwickele man eine Vielzahl von Dialogplattformen für interessierte Bauherren und Eigentümer und schreibe auf dieses Ziel gerichtete Wettbewerbe aus, erläuterte Dr. Hanna Bornholdt. Ein weiterer Fokus der Strategie liege auf der Verbesserung der rechtlichen Möglichkeiten, wobei sowohl das Baugesetzbuch und die Hamburgische Bauordnung als auch Abwasser- und Naturschutzgesetze entsprechende Aktualisierungen erfuhren.

Dachpark in Rotterdam

Dass Dachbegrünungen auch das Potenzial für einen ausgewachsenen Park besitzen, der ein ganzes Stadtviertel aufwerten kann, beweist der 2014/15 realisierte „Dakpark“ von Rotterdam, den Landschaftsarchitekt Edwin Santhagens, Direktor des Büros „sant en Co Landschapsarchitectuur“ (Den Haag) vorstellte.

Auf dem Dach eines neu errichteten Büro- und Einkaufszentrums legten sie einen terrassierten Park an, der über eine Strecke von 1,2 Kilometern auf neun Metern Höhe verläuft, eine Fläche von 8,5 Hektar einnimmt und überdies auch als Hochwasserschutz fungiert. Während auf einer Seite vielfältige Wege die Verbindung zum angrenzenden Stadtviertel aufnehmen, bricht die Anlage auf der gegenüber Seite oberhalb einer mehrspurigen Verkehrsstraße steil ab. Das Parkgelände selbst gliedert sich in unterschiedliche Zonen für verschiedene Altersgruppen: Ein Spielplatz, weite offene Flächen, ein Nachbarschaftsgarten zum gemeinsamen Gärtnern und ein mediterraner Garten bieten diverse Nutzungsmöglichkeiten. Hingucker ist eine breite Wassertreppe, die nicht nur zum Spielen für Kinder geeignet ist, sondern auch akustisch die stadtferne Atmosphäre unterstreicht. Nicht zuletzt beweist das Großprojekt, dessen Kosten sich in 65 Mio. für das Gebäude, 13 Mio. für die Dachkonstruktion und 15 Mio. für den Park aufteilen, dass sich auf innerstädtischen Brachen unterschiedliche Nutzungsinteressen miteinander vereinen lassen.

Notwendig: Gute Beispiele und gesetzliche Vorgaben

Welches Fazit lässt sich vom „Landschaftsarchitektentag 2022“, der von Peter Köddermann, Programmgeschäftsführer Baukultur NRW, moderiert wurde, in der Sache ziehen? Die Argumente für den „Alleskönner Gebäudegrün“ dürften inzwischen hinlänglich bekannt sein. Insofern ist eine stärkere Zusammenarbeit von Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten mit ihren Kolleg*innen vom Hochbau sicherlich zielführend, worauf abschließend Friedhelm Terfrüchte, Landschaftsarchitekt und Vorstandsmitglied der Architektenkammer NRW, hinwies. Eine notwendige Aufgabe bleibt es sicherlich auch, immer wieder Best-practice-Beispiele aufzuzeigen, die auf eventuelle Bedenken vor allem hinsichtlich höherer Kosten antworten. Eine andere, noch offene Frage ist jedoch, ob man zukünftig nicht doch verbindliche gesetzliche Vorschriften entwickeln muss, um aus Gebäudegrün mehr als ein wünschens- und sehenswertes „nice to have“ zu machen.

Teilen via