Fanden sich auf dem BOB Campus ein, um über urbane Freiräume und Mobilität zu diskutieren (v.l.): Marc Pozoul (atelier le balto, Berlin), Elina Schniewind (Geschäftsführung Urbane Nachbarschaft BOB gGmbH), Annette Berendes (Ressortleitung Grünflächen und Forsten, Wuppertal), Dr. Juliane Haus (Wissenschaftszentrum Berlin), Friedhelm Terfrüchte (Vorstandsmitglied der Architektenkammer NRW), Simon Hubacher (neubig hubacher – Architekten und Stadtplaner PartG mbB, Köln), Ernst Uhing (Präsident der Architektenkammer NRW), Véronique Faucheur (atelier le balto, Berlin), Johanna M. Debik (Vorständin der Montag Stiftung Urbane Räume) und Christof Rose (Moderation / Abteilungsleitung Medien + Kommunikation der Architektenkammer NRW) – Foto: Mathias Kehren / Architektenkammer NRW

Urbane Freiräume stärken! - Tag der Landschaftsarchitektur 2024

„Fußverkehr ist keine Verdrängung des Straßenraums, sondern die Schaffung funktionaler Angebote“, erklärte der Kölner Architekt Simon Hubacher in seinem Vortrag im Rahmen des „Tags der Landschaftsarchitektur“ am 4. Juli in Wuppertal vor rund 200 interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Unter dem Motto „Was geht? - Urbane Freiräume und Mobilität" hatte die Architektenkammer NRW zum intensiven Diskurs in die Nachbarschaftsetage des „BOB Campus“ in Wuppertal eingeladen, um in Impulsen und Diskussionen der Frage nachzugehen, wie Verkehrsräume in der Stadt gewinnbringender genutzt werden können, und welche Gestaltungsoptionen es für diese Freiräume gibt.

01. August 2024von Martina Pöcker / Lea Pawelzik

Die Veranstaltung bette sich thematisch in die aktuell breite Fachdiskussion zur Mobilität und Infrastruktur ein, führte Moderator Christof Rose, Abteilungsleiter Kommunikation der Architektenkammer NRW, in die Veranstaltung ein. Erst im Juni habe sich der Konvent der Baukultur intensiv mit dem Thema „Infrastruktur“ auseinandergesetzt, der neue Baukulturbericht 24/25 der Bundesstiftung Baukultur liefere umfangreiche Daten und Analysen zum Thema.

Zentrales Thema: Mobilitätswende

Bereits in der Begrüßung durch den Präsidenten der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen kristallisierte sich ein gesellschaftlich relevantes und zentrales Thema des Tags heraus: der Umgang mit dem Klimawandel, den Klimafolgenanpassungen und der dazu notwendigen Mobilitätswende. Ernst Uhing erläuterte, dass die AKNW vor diesem Hintergrund immer wieder die Forderung erhebe, dass ein Freiflächengestaltungsplan im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens verankert werden müsste. Zudem werbe die Architektenkammer in ihren politischen Gesprächen dafür, einen zweiten Hochschulstandort für Landschaftsarchitektur in NRW zu etablieren.

„Autoblindheit“ im öffentlichen Raum

Das Auto habe sich im Laufe der letzten 60 Jahre vom „Fahr-“ zum „Stehzeug“ gewandelt, stellte Dr. Juliane Haus vom Wissenschaftszentrum Berlin in ihrem „Manifest der freien Straße“ fest. Sie präsentierte sieben Thesen, deren pointierte Aussagen und Illustrationen sowohl der Inspiration als auch der Irritation dienen sollten. „Wir haben uns eine Auto-Blindheit antrainiert“, verdeutlichte Dr. Haus. Orte der Begegnung seien im Laufe der Zeit zugunsten der parkenden Autos immer weniger geworden. Die Soziologin beschwor den Mut der Bevölkerung urbaner Räume zu Veränderungen und den politischen Willen dazu. Auch für Planer*innen gelte es, Konflikte auszuhalten - denn Transformation brauche Zeit.

Radikale Maßnahmen zur Veränderung

Prof. Rainer Sachse von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen schloss in seinem Vortrag an die Argumentation von Frau Dr. Haus an. Durch ca. 830 km² festgelegte Parkfläche würden im öffentlichen Raum dieselben Quadratkilometer an Freifläche fehlen. Mit Projekten wie dem Ketzerbach in Marburg oder der Umgestaltung des Stiftsplatz in Bonn zeigte Prof. Sachse, dass radikale Maßnahmen zu Veränderung führen können. Großes Interesse erweckten auch die von ihm vorgestellten Merkblätter EKlima (R2), EAR 2023 (R2) und RAST 2025 des Verlags der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen.

Blick auf die Schweiz

Simon Hubacher (neubig hubacher – Architekten und Stadtplaner) lenkte den Blick in die Schweiz. Er präsentierte Praxisbeispiele aus dem Nachbarland, die aus dem vom „Fußverkehr Schweiz“ und dem Bundesamt für Straßen ausgelobten Wettbewerb „Flaneur d’Or“ hervorgegangen waren. Am Beispiel des Projektes „Bern baut“ und dem Gewinner „Passerelle Rayon Vert“, entstanden am drittgrößten Bahnhof der Westschweiz, stellte Hubacher klar: „Wenn wir über Fußverkehr reden, reden wir nicht über das Verschönern der Straße.“

Bundesgartenschau 2031 Wuppertal

Annette Berendes, die bei der Stadt Wuppertal das Ressort „Grünflächen und Forsten“ leitet, wagte einen Blick in die Zukunft. Wuppertal, die bereits jetzt (im Vergleich des öffentlich nutzbaren Grünraums) grünste Stadt Deutschlands, hat die Bundesgartenschau 2031 für sich gewonnen. Berendes stellte die geplanten Maßnahmen vor, die auf drei Kernarealen entwickelt werden. „Wir träumen davon, und irgendwann wird’s realisiert“, so Berendes zu diesem Meilenstein auf dem Weg in eine nachhaltige und grüne Zukunft der Stadt.

Projekte zur „Verkehrsentmutigung“

Den Blick weitete abschließend Landschaftsarchitekt Christian Dobrick aus dem Büro West 8 aus Rotterdam. Er stellte zwei von 50 Maßnahmen vor, mit denen es gelungen sei, den Norden und Süden Madrids wieder miteinander zu verbinden. Dafür hatte die Stadt Madrid 43 Kilometer Straßenraum untertunnelt, um die Stadtautobahn in den Untergrund zu verlegen. Mit den Projekten „Salon de Pinos“ sowie „Parque de la Arganzuela“ schuf West 8 neuen, begrünten öffentlichen Raum über diesem Tunnelsystem. Als Projekt der „Verkehrsentmutigung“ stellte Dobrick zuletzt die Revitalisierung der Prachtstraße „Coolsingel“ in Rotterdam vor. Hier wurde der Fuß- und Fahrradverkehr durch breite Wege gestärkt, während der Autoverkehr deutlich eingeschränkt wurde.

„Es geht vieles – wenn man will“

Friedhelm Terfrüchte, Landschaftsarchitekt und Vorstandsmitglied der Architektenkammer NRW, zog angesichts der wertvollen Impulse ein positives Fazit und lud zum weiteren Diskurs im Anschluss in die Räumlichkeiten und den Nachbarschaftsgarten des BOB Campus ein. „Unser ‚Tag der Landschaftsarchitektur‘ hat gefragt: ‚Was geht?‘ - Wir haben gesehen: eine ganze Menge, wenn man wirklich will“, resümierte Landschaftsarchitekt Terfrüchte.

BOB Campus Wuppertal

Zu der inspirierenden Atmosphäre des Tags der Landschaftsarchitektur trug auch der Veranstaltungsort bei: Schon im Vorfeld hatten die Architektenkammer NRW und die Montag Stiftung Urbane Räume dazu eingeladen, den BOB Campus in geführten Rundgängen kennenzulernen. BOB-Campus-Geschäftsführerin Elena Schniewind präsentierte die vielfältigen Räumlichkeiten, Véronique Faucheur und Marc Pozoul vom Berliner Landschaftsarchitekturbüro atelier le balto den „Nachbarschaftspark“. 

„Der BOB Campus ist ein herausragendes Projekt, das bundesweit betrachtet wird“, lobte Ernst Uhing den Veranstaltungsort, der u.a. 2023 mit dem Schulbaupreis der Architektenkammer NRW und des NRW-Schulministeriums ausgezeichnet wurde. Johanna M. Debik, Vorständin der Montag Stiftung Urbane Räume, ermutigte das Publikum: „Wir haben Lust auf solche ambitionierten Projekte, weil wir sehen: Es wirkt. Man darf uns nachmachen!“

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